von Sabine Kuegler– Eine Buchempfehlung, die Betrachtung eines Bestsellers und das Streben nach individuellem Glück aus psychologischer Sicht (Teil I)
Obwohl das Buch kein Psychologie-Buch im klassischen Sinne darstellt, enthält es eine große Zahl an psychologischen Elementen und Motiven, beschreibt grundlegende menschliche Triebe als zentrale Bestandteile und bildet so einen psychologischen Rahmen Kuegler schreibt von zwei parallelen Welten, von zwei Psychologien und Kulturen, die sie in sich trägt. Das prägende, dominierende Thema der Handlung ist die Suche nach dem persönlichen Glück aus psychologischer Sicht.
Das erste Buch von Sabine Kuegler „Dschungelkind“ (2005), war ein absoluter Welt-Bestseller. Kuegler, die als hellhäutige Tochter von deutschen Forschern, im tiefsten Dschungel von Papua-Neuguinea beim eingeborenen Stamm der Fayu aufwuchs, erzählt darin von ihrer Kindheit. Vermutlich auch durch diesen Erfolg angespornt, erschien 2023 ihr zweites biografisches Buch „Ich schwimme nicht mehr da, wo Krokodile sind“ im Westend Verlag. Wie sich herausstellt, ist bei dieser Geschichte vieles anders als es scheint. Im ersten Teil des Blog-Beitrages geht es um die Hintergrundgeschichte, die Rahmenhandlung und um grundlegende menschliche Triebe und Motive.
Marketing auf hohem Level
Alleine schon das Coverfoto des Buches, wirkt sehr stark auf den Kunden im Buchladen. Fotografiert ist das Gesicht einer jungen Frau, mit geheimnisvollem Lächeln und grünen Augen, sie liegt offensichtlich im Wasser. Das Coverbild stellt eine gute Verbindung zum Titel dar. Bei Erscheinen des Buches, brachten viele Zeitungen Artikel über Kuegler. Das Sujet der menschenessenden Urwaldvölker fasziniert offensichtlich bis heute. Vor allem Kannibalismus dominierte auch die Schlagzeilen der Zeitungsartikel, welche das Buch vorstellten. Dabei war dieses Thema bereits eines der Fixpunkte jeder Reisebeschreibung im 18. Jahrhundert nach Afrika oder Asien. Verbunden mit ausufernder, geradezu animalischer Sexualität der Eingeborenen, ließen diese Themen die Zeitungsleserschaft Westeuropas, in Mord- oder Lustfantasien schwelgen (Lendjel, 2017, S. 114). Zum Ende des 19. Jahrhunderts, verschmolz Erotik mit Todessehnsucht und den dunklen Wesen aus der Hölle (Lendjel, 2009, S. 61-66). Angstlust, meist mit Voyeurismus verbunden, ist ein bekannter Effekt in der modernen Psychologie (Schwelgengräber, 2022, S. 60). Phobien vor Tieren (vor allem Insekten, Reptilien, Spinnen) ist in Europa weit verbreitet (Taghavi, 2021, S. 107-120). Somit bedient der Titel des Buches, in Kombination mit dem Cover und den Zeitungsartikeln, etliche Elemente der menschlichen Urängste und Fantasien.
Die Story und das Mädchen
Kuegler kehrt um das Jahr 2000 als junge Erwachsene nach Deutschland zurück und ist zuerst vollkommen verloren. Danach findet sie jedoch gesellschaftlichen Anschluss, eine adäquate Ausbildung, heiratet, bringt Kinder auf die Welt und erkrankt schließlich schwer. All das wird im Zeitraffer erzählt und bildet die Vorgeschichte zur Haupthandlung. Die immer chronische Erkrankung wird bei jedem Anfall schwerer. Da die westliche Medizin nicht mehr helfen kann -sie gilt als austherapiert- verabschiedet sich Kuegler von ihren drei Kindern und von Europa und fliegt nach Papua-Neuguinea zurück. Ein alter Freund, der moderne Stammeshäuptling Micky (ihm widmet sie auch das Buch), soll ihr behilflich sein, Heilung zu erfahren. Dafür wollen sie die tief im Dschungel wohnenden Stämme aufsuchen und dort um Urwaldmedizin bitten. Es folgt eine Reise in eine andere Welt voller Anstrengung, zunehmenden Archaismus, Zauberei, Mischwesen und pflanzlichen Heilmitteln. Zentrales Element der Geschichte sind die beiden unterschiedlichen Kulturen -Urwaldgemeinschaft als Kollektiv und die egoistische westliche Zivilisation- welche einen Kampf in Kuegler austragen und sie hin- und hergerissen ist. Damit verbunden ist das eigene Streben nach Glück, als zentrales Motiv der gesamten Handlung. Glücklich zu sein, ist eines der wichtigsten menschlichen Bedürfnisse- ohne zuerst zu wissen, dass Glück auf verschiedenen Ebenen und Arten existiert und es in verschiedenen Kulturen andere Definitionen besitzt. Glück und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinschaft sind zentrale Elemente der Maslow´schen Bedürfnispyramide (Genkova et Schreiber, 2024, S. 119-137).
Die Story hinter der Geschichte
„Ich schwimme nicht mehr da, wo Krokodile sind“ ist eine Ich-Erzählung und beruht auf tatsächlichen Begebenheiten. Es ist allerdings nur vordergründig ein reales Dschungelbuch. Es handelt nämlich hauptsächlich von den Gegensätzen der modernen Welt und dem Dschungel, von dem Grau in Grau einer Stadt und den vielen Nuancen des Grün der Natur, von dem negativ lauten Europa und den positiv lauten Dschungelklängen, vom westlichen Menschen und den Eingeborenen. Die Story mit der Erkrankung erscheint nur ein Spannungsbogen zu sein, der die Geschichte umfasst. Diese besteht nämlich aus einzelnen Kapiteln, in welchen einerseits die chronologische Suche nach Heilung und andererseits in nicht chronologischer Reihenfolge besondere Gegebenheiten ihres Lebens, miteinander verwoben werden. Die schwere Erkrankung von Kuegler wird nicht konkret benannt sondern als in Europa der Medizin unbekannt, dargestellt. Auch die Symptomatik könnte so ziemlich alles sein. Im Dschungel hingegen, kennen die Eingeborenen die Krankheit sehr gut, haben allerdings ebenso keinen Namen dafür und behandeln sie mit Naturmitteln. Hier stellt sich die Frage, ob die verabreichten Medikamente nicht einfach nur Gift sind oder im Sinne von Paratherapien und Placeboeffekten, dem Zusammenspiel von intrinsischer Erwartungshaltung und extrinsischen Einflüssen handelt, somit auch eine Wechselwirkung von Auto- und Fremdsuggestion stattfindet (Payk, 2017, S. 41-50). Die Reise mit dem Stammeshäuptling geht immer weiter in den Dschungel hinein. Das Thema der Jagd mit Pfeil und Bogen, der natürliche menschliche Jagdtrieb, kommen immer stärker zur Geltung, bilden von Anfang bis Ende eine Umrahmung der eigentlichen Geschichte. Mit dem tieferen Eindringen in den Urwald, werden die mythologischen Elemente bis hin zur Sichtung eines Fantasiewesens, immer stärker und Kuegler verliert zunehmend an menschlichen Zügen und gibt mehr und mehr ihre animalischen Seite frei.
Ethnologie, Anthropologie, Zoologie, Geschichte, Kriminalität, gesellschaftliche Parallel-Strukturen, Soziologie, Jagd- und Sexualtrieb
Diese sind nur einige Themen, die in dem Buch verarbeitet sind. Die Frage nach Individualismus und Egoismus sowie nach dem gemeinsamen Willen des Stammeskollektivs, wird ebenso angeschnitten, wie ein Ausflug in die Archäologie oder dem Aussehen von diversen Urvölkern auf abgeschiedenen Inseln. Gleichzeitig wird auch auf alte Stammeskulturen und der höchst ethischen Frage nachgegangen, ob die westliche Zivilisation einen Eingeborenenstamm vollkommen in Ruhe lassen oder Errungenschaften des modernen Lebens, wie Waffen, Medizin, Impfungen, Kleidung, Strom, KFZ etc. versorgen soll, um ihnen einen Aufschwung zu ermöglichen. Es ist nicht überraschend, dass beinahe alle indigenen Völker sich eindeutig für die moderne Technologie entscheiden. So erstellen der Häuptling und die Autorin, Solaranlagenkonzepte für die beinahe in Isolation lebenden Stämme und ihre primitiven Behausungen. In einer solchen Hütte im tiefsten Dschungel, übernachtet sie lange Zeit hindurch, manchmal im Fieberdelirium und dann wieder bei voller Gesundheit. Kuegler wird dabei von Ratten angenagt, von Moskitos zerstochen, ihre Haare von Läusen heimgesucht, ihre Haut von Flöhen gebissen. Trotzdem entscheidet sie sich, fortan als Teil dieses Stammes zu leben und vergisst einfach ihre Kinder, die in Deutschland auf sie warten. Das Überleben des Kollektivs steht im Dschungel über dem Individuum. Dies scheint sie so zu faszinieren, dass die Autorin beinahe alles individuelle und europäische von sich streicht, tierähnlich im Verhalten, im Empfinden und im Aussehen wird, somit ganz im Stammeskollektiv aufgeht. Das ist jedoch, wenn die optische Verwandlung von Kuegler in Deutschland zwischen den beiden Büchern beobachtet wurde, nicht wirklich glaubhaft. Sie verwandelte sich von der kurzhaarigen jungen Frau in eine blonde, langhaarige Business-Woman, die ihre Bücher mit viel Aufwand, Geschick und Erfolg in etlichen Talkshows und noch mehr Zeitungen vermarktet.
Zwischenfazit
Wer auf sexuell erregende Geschichten aus dem Dschungel hoffte, den Geschmack von Menschenfleisch erklärt bekommen wollte oder einfach nur an abenteuerhaften Krokodilbegegnungen interessiert war, wird in dem Buch nicht allzu viel finden. Im zweiten Teil des Blogbeitrags, werden die Verbindung und Bedeutung von Sexualität und Jagd, aber auch der Umgang mit dem Tod sowie Legenden und Fabelwesen des Dschungels behandelt.
Literatur:
Genkova, Petia et Schreiber, Henrik: Streben nach Glück als globale Vorstellung und Kompetenz. In: Genkova, Petia [Hrsg.]: Handbuch globale Kompetenz. Springer, Wiesbaden (2024) [S. 119-137]
Kuegler, Sabine: Ich schwimme nicht mehr da, wo die Krokodile sind. Westend, Neu-Isenburg (2023)
Lendjel, Csaba: Der Vampir als Muse der schönen Künste. Die ungarischen Wurzeln des Nosferatu- Der Vampir in den Zeitungsberichten von den Vorfällen in den österreichischen und ungarischen Grenzgebieten im 18. Jahrhundert sowie der ungarischen Literatur. Diplomarbeit an der Universität Wien. Eigenverlag, Wien (2009)
Lendjel, Csaba: Oberstuhlrichter Dr. Emil Tallián. Jagden, Abenteuer und das Leben eines ungarischen Adeligen aus dem Burgkomitát Torontál im Spannungsfeld zwischen Kolonialismus und Postkolonialismus. Dissertation an der Universität Wien. Eigenverlag, Wien (2020)
Payk, Theo: Psychologische Heilkunde. Suggestion und Placebo. Paratherapien. Springer, Berlin (2017)
Schwelgengräber, Wiebke: Wer sehen will, muss spüren. Warum uns manche Serien und Filme berühren und uns andere kaltlassen. Springer, Wiesbaden (2022)
Taghavi, Leyla: Spinnenangst. In: Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. Volume 20. Springer, Berlin (2020)[S. 107-120]
Titelbildquelle: Eigene Fotografie/ Darstellung des Buches (2024)