Als die Region rund um das Ahrtal von einem schweren Hochwasser getroffen wurde, riefen sämtliche Medien dazu auf, sich an der Flut-Hilfe zu beteiligen. Kurz darauf meldeten sich zahlreiche Freiwillige, um bei der Beseitigung der Schlammmassen zu helfen. Ob freiwillige Helfer in Katastrophengebieten, Suppenküchen oder Nachbarschaftsinitiativen: Oft zeigen Menschen Verhaltensweisen, die ihnen keinen direkt erkennbaren Nutzen einbringen. Für manche mag das unsinnig erscheinen. Daher stellt sich die Frage, was Menschen dazu bewegt, Freiwilligenarbeit zu leisten und welche Vorteile sie möglicherweise für sich sehen.
Prosoziales Verhalten
Menschen helfen, wenn Situationen es erfordern, mit der Absicht, das Wohlergehen ihres Umfeldes zu verbessern. Deshalb wird Hilfeverhalten dem prosozialen Verhalten zugeordnet, welches von der Gesellschaft als nützlich für andere erachtet wird. Hilfeverhalten liegt egoistischen oder altruistischen Motivation zugrunde, jedoch nicht beruflichen Verpflichtungen (Levine & Manning, 2014, S. 360). Egoistisch motiviertes Hilfeverhalten resultiert aus einem persönlichen Unbehagen, das durch selbstzentrierte Emotionen ausgelöst wird. Überwiegt das Unbehagen, soll das Hilfeverhalten die eigene Gefühlslage verbessern (z.B. Reduzierung der Angst durch Hilfeleistung). Altruistisch motiviertes Hilfeverhalten wird hingegen durch Empathie ausgelöst, die durch auf den anderen gerichtete Gefühle (z.B. Mitleid) entsteht. Hier steht die Gefühlslage der anderen Person im Mittelpunkt, nicht die eigene, und es werden auch keine extrinsischen Belohnungen erwartet (Werth, Seibt & Mayer, 2020, S. 428).
Daher gilt altruistisches Handeln als selbstloses Handeln und kann mit mehr Nach- als Vorteilen verbunden sein, wodurch es das Gegenteil von egoistischem Handeln bildet. Das Handeln altruistisch motivierter Menschen widerspricht jedoch dem Prinzip des Homo oeconomicus, der prosoziales Verhalten nur für Gegenleistungen zeigt. Diese können materieller, affektiver (z.B. angenehme Emotionen) oder sozialer (bspw. Dank oder Anerkennung durch das Umfeld) Natur sein (Fischer, Jander & Krueger, 2018, S. 62).
Altruistische Motive
Verschiedene theoretische Ansätze beleuchten die Motive prosozialer Verhaltensweisen. Ein bekannter Ansatz ist die Empathie-Altruismus-Hypothese und bezieht sich auf das altruistische Hilfeverhalten. Demnach helfen Menschen altruistisch motiviert, wenn sie gegenüber der hilfeempfangenden Person ein gewisses Maß an Empathie verspüren. Sie umfasst die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in die Emotionen und Nöte anderer Menschen hineinversetzen zu können. So postuliert die Theorie der Verantwortlichkeit, dass Menschen eher dann helfen, wenn die hilfebenötigende Person an ihrer misslichen Lage nicht schuld ist und diese nicht eigenständig kontrollieren kann. Dann entstehen prosoziale Emotionen (u.a. Empathie), die Hilfeleistungen begünstigen. Wird trotz ausbleibender Empathie dennoch geholfen, geschieht dies aufgrund egoistischer Motive, nämlich wegen der Erwartung negativer Konsequenzen (z.B. Schuldgefühle), die vermieden werden sollen (Fischer et al., 2018, S. 67–68; Garms-Homolová, 2022, S. 49–50).
Egoistische Motive
Mit egoistischen Motiven setzt sich die Theorie des sozialen Austausches auseinander. Danach helfen Menschen nur dann, wenn die Hilfeleistung nach einer Kosten-Nutzen-Analyse für sie positiv ausfällt und mehr Nutzen als Kosten zu erwarten sind. Der Nutzen kann sich aus finanziellen, affektiven oder sozialen Belohnungen ergeben (Fischer et al., 2018, S. 66).
Eng damit verbunden sind zwei sich in der Art der Belohnung unterscheidende Ansätze: nämlich ob ein Stimmungszustand gehoben oder erhalten werden soll. Die Negative-State-Relief-Hypothese besagt, dass Menschen anderen helfen, um ihre eigene neutrale oder negative Stimmungslage zu heben. So versprechen sich Menschen durch ihre Hilfeleistung eine Stimmungsaufhellung, da sie den Abbau von Schuldgefühlen oder den Dank der hilfeempfangenden Person erwarten. Hier ist der Nutzen der Stimmungsaufhellung bedeutender als die Kosten der Hilfeleistung. Hingegen sind Menschen nach der Mood-Maintenance-Hypothese in einer positiven Stimmungslage eher dazu bereit, Hilfe zu leisten. Hier wird das Hilfeverhalten als stimmungserhaltendes Mittel verstanden, sofern die Kosten für die Hilfeleistung gering sind (Werth et al., 2020, S. 434–437).
Der Einfluss von Normen
Durch die Hypothesen lassen sich soziale Normen erklären, die in viele Kulturen vertreten sind. Diese Verhaltensregeln gründen auf drei Prinzipien: Das Prinzip der sozialen Verantwortung fordert, dass bedürftigen Menschen (z.B. Kinder, Kranke oder Abhängige) im altruistischen Sinne geholfen wird, ohne Gegenleistungen zu erwarten. Das Prinzip der Gerechtigkeit fordert, dass denen geholfen wird, die Hilfe verdienen. Wird die Ursache der Notlage einer Person external attribuiert (sie ist unverschuldet in die Situation geraten), wird wahrscheinlicher geholfen, als wenn die Ursache internal attribuiert wird (selbstverantwortlich, z.B. durch Alkoholkonsum). Das Reziprozitätsprinzip hingegen ist egoistisch motiviert: Menschen helfen, damit ihnen später auch geholfen wird. Das tritt vor allem bei langfristigen Situationen auf, in denen die hilfeerhaltende Person sich verpflichtet fühlt, ihre Schuld zu begleichen (Werth et al., 2020, S. 440–441). Helfendes Verhalten wird auch durch persönliche Normen bestimmt. So muss die helfende Person die Konsequenzen der Notlage erfassen, darauf vertrauen, die Situation beeinflussen zu können und sich zuständig fühlen (Garms-Homolová, 2022, S. 42).
So erklärt sich, dass sich Freiwilligenarbeit auf mehreren Dimensionen positiv auf die helfende Person auswirkt: Das Befolgen sozialer Normen stärkt nicht nur das soziale Gruppenerleben, sondern auch das Selbstwertgefühl. Je nach Arbeitsfeld werden zusätzliche Qualifikationen erworben und Verantwortung getragen, was Gefühle der Genugtuung auslöst (Rohmann & Bierhoff, 2020, S. 4).
Fazit
Menschen helfen sowohl aus egoistischen als auch altruistischen Motiven heraus. Doch für viele Menschen ist Egoismus ein negativ behafteter Begriff, der nicht zur Freiwilligenarbeit passt, da sie oft mit Selbstlosigkeit assoziiert wird. Dabei ist Egoismus ein unterschätzter und wichtiger Faktor, der Menschen zum Helfen bewegt. Egal, ob es um die Befriedigung selbstdienlicher oder prosozialer Bedürfnisse geht – Freiwilligenarbeit ist eine wichtige Säule in unserem gesellschaftlichen System, die hilfsbedürftigen Menschen nützt und zum gesellschaftlichen Allgemeinwohl beiträgt. Daher können egoistische Motive durchaus als Argument genutzt werden, um mehr Menschen zur Freiwilligenarbeit zu begeistern.
Literaturverzeichnis
Fischer, P., Jander, K. & Krueger, J. (2018). Sozialpsychologie für Bachelor. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56739-5
Garms-Homolová, V. (2022). Sozialpsychologie der Zuneigung, Aufopferung und Gewalt. Über Liebe prosoziales Verhalten Aggression und Hass (Lehrbuch). Berlin, [Heidelberg]: Springer.
Levine, M. & Manning, R. (2014). Prosoziales Verhalten. In K. Jonas, W. Stroebe & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (Springer-Lehrbuch, S. 357–400). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-41091-8_10
Rohmann, E. & Bierhoff, H.‑W. (2020). Ehrenamt und Freiwilligenarbeit. In P. Genkova (Hrsg.), Handbuch Globale Kompetenz (S. 1–16). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30684-7_77-1
Werth, L., Seibt, B. & Mayer, J. (2020). Sozialpsychologie – der Mensch in sozialen Beziehungen. Interpersonale und Intergruppenprozesse (Lehrbuch, 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage). Berlin, [Heidelberg]: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53899-9
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