Der Verlust eines Elternteils ist für viele Menschen ein erschütterndes Erlebnis. Im Erwachsenenalter bereitet man sich in der Regel auf den Tod der eigenen Eltern vor. Man ist sich der begrenzten Lebenszeit bewusst und kann den Tod als biologisches Phänomen greifen. Dieser Erkenntnisstand ist das Resultat einer langen Entwicklung. Für Kleinkinder wird der Tod von Bezugspersonen zunächst als eine Abwesenheit auf Zeit verstanden, was den Trauerprozess maßgeblich beeinträchtigen kann. Viele Eltern versuchen Kinder von Trauersituationen fernzuhalten, mit dem Gedanken sie zu schonen. Dabei kann das mit einbeziehen der Kinder eine große Stütze bei der Verarbeitung des Verlusts eines Elternteils darstellen.
Der Tod aus kindlicher Perspektive – eine Entwicklung
Um betroffenen Kindern entwicklungsangemessene Hilfestellungen geben zu können, muss ein Verständnis für die kindliche Sicht auf den Tod geschaffen werden. Kinder können die Endgültigkeit des Todes erst mit zunehmendem Alter erfassen. Kinder unter drei Jahren können den Tod noch nicht begreifen. Für sie ist die Abwesenheit der Verstorbenen begrenzt. Trotzdem nehmen die Kinder die mit dem Todesfall einhergehende Veränderungen wahr und spüren die Abwesenheit der Verstorbenen (Vgl. Wieland, 2019). Im Vorschulalter ist der Tod nach wie vor ein vorübergehender Zustand. Die Kinder bereiten sich auf die Rückkehr der Verstorbenen vor, indem sie beispielsweise beim Abendbrot für sie mitdecken. Der Tod von Bezugspersonen kann einerseits anerkannt werden, andererseits aufgrund der Komplexität nicht ununterbrochen als Realität wahrgenommen werden (Vgl. Fischinger, 2018, S. 392). Im frühen Grundschulalter entwickeln die Kinder eine gewisse Art an Faszination für den Tod. Die Faszination bezieht sich unter anderem auf biologische Verwesungsprozesse. Der Wunsch nach ausführlichen Antworten auf die Frage nach dem Tod ist in diesem Alter sehr groß. Der Fakt der eigenen Sterblichkeit wird auch im späteren Grundschulalter oft noch abgewehrt. Kinder im späteren Grundschulalter haben häufig schon endgültige Abschiede erlebt. Damit wird die Endgültigkeit des Todes für viele Kinder realer. In der Vorpubertät werden Kinder an das Faktenwissen und sachliche Aspekte des Todes herangeführt. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Kinder in diesem Alter auf intellektueller Ebene eine ähnliche Vorstellung vom Tod wie Erwachsene haben (Vgl. Fischinger, 2018, S.392-393).
Der Verlust eines Elternteils
Der Verlust eines Elternteils kann nachhaltige Auswirkungen auf das Leben eines Kindes haben. Psychische Belastungen der Eltern und familiäre Todesfälle gelten als Risikofaktoren für die Entstehung psychischer Auffälligkeiten (Vgl. Rank, 2020, S.19). Der Verlust einer Bezugsperson kann schon im Säuglingsalter Einfluss auf die Entwicklung haben. Einige Säuglinge weigern sich zu essen, agieren nicht mehr mit der Umwelt oder hören sogar auf zu wachsen (Vgl. Fischinger, 2018, S.392). Bei trauernden Kindern besteht die Gefahr, dass sie in frühere Entwicklungsstufen zurückfallen. So kann es passieren, dass Kinder wieder Einnässen obwohl die Sauberkeitserziehung zuvor erfolgreich waren (Vgl. Schweich et al., 2021, S.47). Die häufigste Trauerreaktion bei Kindern die ein Elternteil verloren haben, ist die Angst auch noch den anderen Elternteil zu verlieren (Vgl. Schweich et al, 2021, S.48 zitiert nach Bowlby, 1987). Bei älteren Kindern spielt die Trauer in Form von Traurigkeit, Schmerz und Wut eine enorme Rolle. Die Trauer bei Kindern ist sehr individuell und damit auch die Reaktionen auf die Trauer. Da die kognitive Entwicklung bei Kindern noch nicht vollständig ausgereift ist, reagieren sie vermehrt psychosomatisch (Vgl. Chome et al., 2022, S. 560). Die häufigsten psychosomatischen Symptome bei Kindern sind Kopfschmerzen, Atemnot, Bauchschmerzen, Erschöpfung und allergische Reaktionen (Vgl. Schweich et al., 2021, S.48).
Handlungshilfe für Eltern
Kinder können den Tod mit allen Konsequenzen erst mit zunehmendem Alter erfassen. Im Gespräch ist es deshalb wichtig, sich auf das zu beschränken, was sie begreifen können. Kinder zeigen häufig großes Interesse gegenüber dem Tod. Auf der Suche nach Erkenntnis stellen sie ihren Eltern viele Fragen über den Tod, welche nicht immer leicht zu beantworten sind. Kinder im frühen Grundschulalter äußern häufig den Wunsch an der Beerdigung einer Bezugsperson teilzunehmen. Viele Eltern möchten das eigene Kind schützen, indem sie es von Abschiedsfeiern fernhalten. Die Mitgestaltung bei Abschiedsfeiern (z.B. in Form von Blumen verteilen oder Luftballons steigen lassen) kann den Kindern dabei helfen, die Endgültigkeit des Todes zu begreifen. Dennoch ist es wichtig den Kindern in solchen emotionalen Situationen einen Rückzugsort zu bieten und dem Kind einen verantwortlichen Erwachsenen zur Seite zu stellen, der einen verlässlichen Anker bietet (Vgl. Fischinger et al., 2018, S. 392). Kinder dürfen auch in den eigenen Trauerprozess eingebunden werden. Verharmlosende Bezeichnungen des Todes, wie z.B. das Schlafen, sollten vermieden werden, da das Kind dadurch Hoffnung bekommt, dass die Verstorbenen zurückkommen. Wenn sie merken, dass dies nicht der Fall ist, entwickeln sie im schlimmsten Fall Schlafstörungen und die Angst vor dem ins Bett gehen (Vgl. Betanet, 2021).
Fazit
Kinder entwickeln erst mit der zeit ein Verständnis dafür, dass der Tod etwas endgültiges ist. Aus diesem Grund neigen Kinder, die schon sehr früh ein Elternteil verlieren, zu Verhaltensweisen, die eine Rückkehr der Verstorbenen beinhalten. Dies kann zunächst befremdlich wirken, ist aber ganz normal. Der Verlust eines Elternteils kann Auswirkungen auf die Entwicklung und das spätere Leben der Kinder haben, da sie z.B. anfälliger für die Entwicklung psychischer Störungen sind. Die Eltern können dem zumindest etwas entgegenwirken, indem sie unter Berücksichtigung der kognitiven Reife des Kindes offen und ehrlich über den Tod sprechen.
Literaturverzeichnis
Betanet (2021). Tod und Trauer > Kinder. Zugriff am 20.04.2023. Verfügbar unter https://www.betanet.de/tod-und-trauer-kinder.html
Bowlby, J. (1987) Verlust, Trauer und Depression. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch (Originalarbeit erschienen 1980: Loss, sadness and depression, Vol. 3: Attachment and loss).
Fischinger, E. (2018). Das Undenkbare denken lernen – Kinderwissen und Kinderweisheit im Umgang mit dem Tod. In: Kränzle, S., Schmid, U., Seeger, C. (eds) Palliative Care. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56151-5_25
Rank, S.M. (2020). Prävention psychischer Auffälligkeiten im Säuglings- und Kleinkindalter. In: Psychische Auffälligkeiten im Säuglings- und Kleinkindalter. Springer, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27810-6_2
Schweich, T., Luxen, T., Bell, C., Federspiel, J. (2021). Trauer bei Kindern und Jugendlichen. In: Böhmer, M., Steffgen, G. (eds) Trauer an Schulen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-62759-4_3
Wieland, A. (2019). Die Sicht der Kinder auf den Tod. Zugriff am 19.04.2023. Verfügbar unter https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/tod_und_trauer/sterben/pwiediesichtderkinderaufdentod100.amp
Chome, J., Hentges, M., Hück, A., Nicolas, S., Paulsen, G., Grün, H. (2022). Trauererleben, Trauerbewältigung und die professionelle Unterstützung bei Kindern und Jugendlichen. In: Heinen, A., Samuel, R., Vögele, C., Willems, H. (eds) Wohlbefinden und Gesundheit im Jugendalter. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35744-3_25
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