Im Rahmen ihrer 54. Vollversammlung veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die «internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit». Das Klassifikationssystem ordnet unter Berücksichtigung von internationalen Konventionen die grundlegenden Menschenrechte ein und umfasst jegliche menschlichen Funktionen und Aktivitäten, die zur Gesundheit beitragen. Dabei wird die Fähigkeit zu Körperkontakt als elementarwichtig eingestuft – auf gleicher Ebene wie bspw. die Fähigkeit zur sozialen Interaktion. Die Funktionen und Aktivitäten auf dieser Ebene werden innerhalb des Klassifikationssystems als Grundvoraussetzung für Selbstständigkeit und der Teilnahme an allen Bereichen der Gesellschaft angesehen. (Jansen & Streit, 2015, S. 2)
In Studien konnte gemessen werden, dass sowohl die Herzrate, der Blutdruck, das Stresshormon Cortisol als auch das auf psychosozialen Stress reagierende Speichelenzym Alpha-Amylase positiv auf Körperkontakt reagiert. Körperkontakt wirkt sich also positiv auf die Gesundheit aus. (Rohleder, Nater, Wolf, Ehlert & Kirschbaum, 2004, S. 260) Eine Studie um Grewen (2003) bestätigt dies: Die Probanden der Studie wurden dazu aufgefordert, vor einer Gruppe einen dreiminütigen Kurzvortrag zu halten. Damit der Stress der Probanden noch weiter erhöht wurde, wurden die Kurzvorträge aufgezeichnet. Um herauszufinden, wie sich der Körperkontakt auf Stress auswirkt, wurden die Probanden vor dem Kurzvortrag in zwei Gruppen geteilt. Die eine Gruppe verbrachte die Zeit vor dem Kurzvortrag allein, die andere wurde dazu aufgefordert, die Zeit dicht neben ihrem Lebenspartner sitzend mit anschliessender Umarmung zu verbringen. Bei den Probanden, die zuvor Körperkontakt mit ihrem Lebenspartner hatten, stieg der Blutdruck weniger an und auch die Herzrate blieb tiefer als bei den Probanden der Vergleichsgruppe. (Grewen et al., 2003, S. 126) Eine ähnliche Studie macht deutlich, dass die Anwesenheit des Lebenspartners allein noch keine körperliche Reaktion hervorruft. Erst der Körperkontakt wirkte sich positiv auf den Stresspegel und die Herzrate aus. Dies nicht nur kurzfristig im Moment, sondern auch nachhaltig in die Zukunft. Der positive Effekt des Körperkontaktes auf den Stresspegel konnte noch etwa 50 Minuten nach Beendigung des Körperkontaktes festgestellt werden. (Jansen & Streit, 2015, S. 15)
Körperkontakt mindert nicht nur Stress und wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus, sondern trainiert auch soziale Fähigkeiten. So stärkt Körperkontakt die soziale Wahrnehmung und Empathie. Eine hohe Ausprägung dieser beiden Attribute gehen mit weniger aggressivem, zynischem und arrogantem Verhalten einher. Je stärker die soziale Wahrnehmung und Empathie bei einer Person jedoch eingeschränkt ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese Person eine Körperkontaktstörung entwickelt hat. (Jansen & Streit, 2015, S. 28) Bereits vom Säuglingsalter an bis ins hohe Alter ist Körperkontakt wichtig. Bei Säuglingen wirkt sich Körperkontakt neben der allgemeinen Gesundheit auch positiv auf die Schmerzempfindlichkeit, die Schlaf-Wach-Regulation und die geistige Entwicklung aus. Bei Frühgeburten ist enger Körperkontakt nochmals bedeutend wichtiger, um den verpassten Reifungsprozess im Mutterbauch nachzuholen. Auch bei älteren Menschen ist Körperkontakt von elementarer Wichtigkeit. Viele von ihnen werden bei Körperkontakt sichtbar entspannter und ihr Gesicht drückt mehr Freude aus. Durch einfühlsamen Körperkontakt können bei älteren Menschen unmittelbar positive Gefühle ausgelöst werden. Dies umso mehr, wenn andere Sinnesleistungen wie Sehen oder Hören nachgelassen haben. (Jansen & Streit, 2015, S. 16-17) Des Weiteren hemmt Körperkontakt auch die Schmerzwahrnehmung. So fühlen Säuglinge bei einer Impfung weniger Schmerz, wenn sie während dem Piks Körperkontakt erfahren. Auch bei Erwachsenen können Körperkontakt und Massagen das Schmerzempfinden nach Operationen oder Verbrennungen lindern. Erfährt ein Mensch zu wenig Körperkontakt, werden ihm die damit verbundenen positiven Erfahrungen und Gefühlszustände genommen, was im Extremfall zu Körperkontaktstörungen mit potenziell gravierenden Folgen führen kann. (Jansen & Streit, 2015, S. 20) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Körperkontakt für alle Menschen vom Säuglingsalter bis hin zum hohen Alter wichtig ist und er sich wohltuend auf Psyche und Physis auswirkt. Die positive Wirkung des Körperkontaktes beschränkt sich nie auf nur eine Person, sondern erstreckt sich über alle Teilnehmer. Als abschliessenden Ausblick wird auf die Faustregel für Umarmungen von Virginia Satir eingegangen. Laut der amerikanischen Familientherapeutin braucht ein Mensch vier Umarmungen pro Tag, um zu überleben. Acht Umarmungen pro Tag, um sich gut zu fühlen und tägliche zwölf Umarmungen für das innerliche Wachstum. (Bendel, 2021, S. 344)
Literaturverzeichnis
Bendel, O. (2021). Soziale Roboter – Technikwissenschaftliche, wirtschaftswissenschaftliche, philosophische, psychologische und soziologische Grundlagen. Wiesbaden: Springer Gabler.
Grewen, K., Anderson, B., Girdler, S. & Light, K. (2003). Warm partner contact is related to lower cardiovascular reactivity. In: Masters, K. (2005). Annals of Behavioral Medicine – An official publication of the society of behavioral medicine. Volume 29 (3. Auflage). Oxford: University Press.
Jansen, F. & Streit, U. (2015). Fähig zum Körperkontakt: Körperkontakt und Körperkontaktstörungen – Grundlagen und Therapie – Babys, Kinder & Erwachsene – IntraActPlus-Konzept. Berlin Heidelberg: Springer.
Rohleder, N., Nater, U., Ehlert, U. & Kirschbaum, C. (2004). Psychosocial stress-induced activation of salivary alpha-amalyse: an indicator of sympathetic activity? In: Yehuda, R. & McEwen, B. (2004). Biobehavioral Stress Response: Protective and Damaging Effects (1032 Auflage). New York: Academy of Sciences.
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