In den vergangenen Wochen war es für viele Menschen das Gesprächsthema: ein wichtiges Mitglied der britischen Königsfamilie ist verstorben. Innerhalb kürzester Zeit wurde die Nachricht weltweit verbreitet, während sich die ersten Trauernden vor dem Buckingham Palast in London versammelten. Mit dem Blick auf die Bilder von weinenden, sich in den Armen liegenden Menschen und Kondolenzbekundungen aus aller Welt und kommt vielen eine Frage auf: Wie kann der Tod einer Person, die die meisten Menschen wahrscheinlich nie persönlich kennen gelernt haben, sie so berühren?
Wie entsteht Trauer?
Trauer ist eine Emotion. Emotionen lassen sich als zeitlich begrenzte, unwillkürliche, bzw. affektive objekt-/ereignisbezogene Reaktion verstehen, die das individuelle Erleben und Verhalten eines Individuums beeinflussen und mit Erregung (Aktivierung) einher gehen. Durch die affektive Komponente können Emotion als angenehm und unangenehm empfunden werden (Bak, 2019, S. 146–147).
Emotionen haben eine informative Funktion (schnelle Einordnung von Reizen), eine verhaltenslenkende und motivierende Funktion (zur Zielerfüllung) sowie eine soziale Funktion (Übermittlung von Informationen über den Zustand an die Umwelt) (Bak, 2019, S. 178). Trauer, bzw. Traurigkeit zählt zu den Basisemotionen, wozu ebenfalls Freude, Überraschung, Furcht, Ärger und Ekel gehören. Dies sind angeborene Emotionen, die bei allen Menschen zu finden sind, egal wie alt sie sind oder wo sie herkommen. Das bedeutet auch, dass jede einzelne Basisemotion kulturübergreifend durch einen gleichartigen mimischen Ausdruck geäußert wird (Brandstätter, Schüler, Puca & Lozo, 2018, S. 205).
Zur Erklärung von Emotionen existieren verschiedene Theorien, die sich in der Gewichtung der Aspekte Physiologie, Erleben und Verhalten unterscheiden und ihr Zusammenspiel entsprechend begründen. So postulieren die evolutionsbiologischen Ansätze, dass Emotionen vererbte Verhaltensmuster sind, die mittels Adaptionen das Überleben sichern sollen. Vertreter dimensionaler Emotionstheorien nehmen an, dass Emotionen aus der Ausprägung einer anderen Dimension (z.B. Lust-Unlust oder Hinwendung-Abwendung) entstehen. Hingegen besagen die kognitiv-evaluativen Ansätze, dass Emotionen als Reaktion auf die kognitive Bewertung einer Situation entstehen und Anpassungsreaktionen einleiten (Schweizer & Klein, 2008, S. 151–152).
Trauer kann als tiefgehende und langwierige Reaktion verstanden werden, die auf den Eintritt einer ungewollten Veränderung oder das Ausbleiben einer gewollten Veränderung folgt. Die Ursache liegt meist in einem Verlust, der als existenziell bedeutsam empfunden wird. Dieser findet im sozialen Kontext statt, wodurch der trauernden Person das Wechselverhältnis zwischen ihr und der Bindung zu ihrem Verlust aufgezeigt wird: So wurden über den Verlust individuelle Selbst- und Weltbilder entwickelt, durch die freundschaftliche Verhältnisse, partnerschaftliche oder elterliche Beziehungen entstanden. Entsprechend wirkt sich jede Veränderung dieser Bindung auf die individuellen Vorstellungen eines Individuums aus (Böhner & Zirfas, 2012, S. 128).
Der Verlust kann damit den Abschied einer geschätzten Tätigkeit, eines wichtigen Wertes oder einer geliebten Person betreffen aber auch das Nichterreichen von Wünschen und Zielen (Leu, 2019, S. 14).
Kollektive Trauer
Trauer ist eine kulturübergreifende Emotion, die u.a. durch einen fundamentalen Verlust hervorgerufen wird. Die meisten Menschen, die um die aus dem Königshaus stammende Person trauern, kennen diese nicht persönlich. Daher sollte aufgrund der offensichtlich fehlenden persönlichen Bindung keine Trauer vorhanden sein. Doch hier spielt die mediale Darstellung des Ereignisses eine entscheidende Rolle. Sie ruft kollektiven Trauer hervor, eine gesellschaftliche Äußerungsform von Verlust, Trauer und Abschied, die von medialem Interesse und der Betroffenheit einzelner Personen gekennzeichnet ist und ansteckend wirkt. Dabei übermitteln die verschiedenen Medien (Print, Radio, Fernsehen, soziale Netzwerke) über einen längeren Zeitraum emotional aufgeladene Geschichten und Details über die zu betrauernde Person, genauso wie Interviews und Berichte über Hinterbliebene. Diese emotionalen Reize haben aufgrund ihrer informativen Funktion eine stark aufmerksamkeitserregende Wirkung, der sich nur schwer entzogen werden kann. Darüber hinaus werden Symbole der kollektiven Anteilnahme (wie Blumen und Kerzen) dargestellt, die die Zuschauenden zum Trauern einladen. So fungieren Medien nicht nur als Informationsübermittler, sondern auch als Meinungsbildner und Impulsgeber für kollektiven Trauer (Bak, 2019, S. 178; Brauchle, 2022, S. 14–15).
Die ansteckende Wirkung der kollektiven Trauer kann durch die Gruppe der Spiegelneuronen erklärt werden. Die visuelle Darstellung trauender Menschen aktiviert die Spiegelneuronen der Betrachter*innen. Sie führen beim bloßen Beobachten sichtbarer Emotionen anderer Menschen zu einer neuronalen Spiegelung, sodass eine neuronale Kopie der wahrgenommenen Emotion entsteht. Dadurch empfinden die Beobachter*innen bei dem Betrachten weinender Menschen die gleichen wahrgenommenen Emotionen, was in ihnen unwillkürlich Trauer hervorruft (Kindermann, 2020, S. 219).
Fazit
Der weltweite Trauer ist eine Reaktion auf eine ungewollte Veränderung, nämlich der Tod einer jahrzehntelang regierenden Monarchin. Die trauernden Menschen sehen sich mit Vergänglichkeit konfrontiert, dem Wegfall einer gewissen Stabilität sowie ihrem damit aufgebauten Weltbild. Verstärkt wird diese kulturübergreifende Emotion durch die mediale Verbreitung, die kollektiven Trauer hervorruft. Die durch die Massenmedien verbreiteten emotionalen Berichte erregen viel Aufmerksamkeit und sorgen gleichzeitig für eine ständige mentale Präsenz. Hinzu kommt, dass Symbole der Anteilnahme und Bilder weinender Menschen durch die Aktivierung von Spiegelneuronen regelrecht ansteckend wirken, sodass die Betrachter*innen echten Trauer spüren – obwohl sie keinen direkten Verlust erlitten haben.
Abschließend lässt sich sagen, dass der Tod der Monarchin angesichts der aktuell herrschenden Krisen, der Corona-Pandemie und dem in Europa stattfindenden Krieg für viele Menschen wohlmöglich viel mehr bedeutet, als es im ersten Moment anzunehmen ist. Für sie bedeutet er das Ende einer Ära, ein Abbruch von Stabilität und der Abschied eines Weltbildes, in dem die Farbe eines royalen Hutes mehr Aufmerksamkeit erregt als die politische Situation.
Literaturverzeichnis
Bak, P. M. (2019). Lernen, Motivation und Emotion. Allgemeine Psychologie II – das Wichtigste prägnant und anwendungsorientiert (Springer eBooks Psychology). Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-59691-3
Böhner, S. & Zirfas, J. (2012). Die Bildung der Trauer. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 15(S1), 125–141. https://doi.org/10.1007/s11618-012-0297-5
Brandstätter, V., Schüler, J., Puca, R. M. & Lozo, L. (2018). Motivation und Emotion. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56685-5
Brauchle, B. (2022). Kollektives Trauern und Erinnern. Wenn uns der Tod fremder Menschen bewegt. In M. Müller, L. Radbruch & S. Brathuhn (Hrsg.), Kraft und Last der Erinnerungen (Leidfaden, 11. Jahrgang, 2 (2022), S. 14–18). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Kindermann, H. (2020). Konsumentenverständnis. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28161-8
Leu, B. (2019). Angst, Verlust, Trauer und die Frage nach dem Sinn. Existenzielle Themen in Psychoonkologie und Psychotherapie – Eine Einführung (SpringerLink Bücher). Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23859-9
Schweizer, K. & Klein, K.‑M. (2008). Medien und Emotionen. In B. Batinic & M. Appel (Hrsg.), Medienpsychologie (Springer-Lehrbuch, S. 149–175). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-46899-8_6
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