Für Menschen ist es wichtig, dass sie miteinander in Austausch gehen und kommunizieren können. Bei Menschen mit Behinderungen kann es vorkommen, dass sie sich nicht ohne Unterstützung mitteilen können. Um diesem entgegenzuwirken, wurden die Unterstützten Kommunikation entwickelt. Bisher kommen in diesem Bereich Gebärden, Objekte, grafische Symbole und technische Hilfsmittel zum Einsatz. Bei den letzteren handelt es sich meist um Sprachausgabegeräte (Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation, o. J.). Jedoch reichen bei komplex behinderten Menschen diese Kommunikationsmöglichkeiten oftmals nicht aus. Mit dieser Problematik hat sich das Projekt INSENSION wegweisend beschäftigt. Durch Einsatz von Technologien, die Mimik, Gestik, Vokalisation und physiologische Signal erkennt, kann hier eine Kommunikation ermöglicht werden. Welche Möglichkeiten und den Risiken ergeben sich hierdurch?
Gerade bei Menschen mit komplexen Behinderungen ist es schwer, einen kommunikativen Zugang zu erhalten. Aus diesem Grund ist, in Zusammenarbeit von Fachkräften aus der Informatik, der Sonderpädagogik und der Betreuung von geistig behinderten Menschen, eine Plattform für Informations- und Kommunikationstechnologien entstanden. Sie soll helfen, die unterschiedlichen Verhaltenssignale als Äußerungen von komplex behinderten Menschen zu erkennen. Diese werden im Situations- und Umgebungskontext gesehen. Unter der Zuhilfenahme der künstlichen Intelligenz und dem Internet soll so eine Kommunikationsmöglichkeit geschaffen werden, um eine Heizung einzuschalten oder Nachrichten auf ein Empfangsgerät zu schicken (Cordis – Forschungsergebnisse der EU, 2022a).
Besonderheiten in der Kommunikation von komplexbehinderte Menschen
Komplex behinderte Menschen sind von der Unterstützung ihres Umfeldes abhängig. Ihre Verhaltenssignale, die ihre Bedürfnisse ausdrücken, sind meist schwer festzustellen und zu deuten. Sie können nur mit einer begrenzten Anzahl von Menschen kommunizieren, da dies Erfahrung erfordert. Weitere Personen anzulernen benötigt viel Zeit (Cordis – Forschungsergebnisse der EU, 2022b). Durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln sollen die Signale, wie Mimik, Gestik und Vokalisation, besser wahrgenommen und gedeutet werden. Darüber hinaus werden zusätzlich physiologische Parameter, wie die Hauttemperatur erfasst. Die gewonnenen Daten werden analysiert und interpretiert. Unter Beachtung des Kontextes kann somit ein möglicher Handlungsbedarf abgeleitet werden. Dies kann die Selbstbestimmung der Person fördern (Zentel, Sansour, Engelhardt & Krämer, 2018, S. 336). Um den Menschen mit komplexen Behinderungen mehr Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung zu ermöglichen, werden Kenntnisse aus den Bereichen Computer Vision und Audio-Signal-Analyse genutzt, um hierdurch Verhaltensäußerungen und Kontextfaktoren zu erfassen. Dies geschieht durch eine automatische Erfassung und Analyse dieser Komponenten (Engelhardt, Krämer & Zentel, 2021, S. 341). Auf die Bilder von Körper und Gesicht werden Punkte und Striche projiziert. Eine Veränderung der Punkte dient dazu, die Bewegungen festzustellen (Cordis – Forschungsergebnisse der EU, 2022a). Damit das Verhalten automatisch erkannt und analysiert werden kann, muss eine personalisierte Datenbank angelegt werden. In dieser sind die typischen Verhaltenssignale abgespeichert. Die wahrgenommenen Verhaltensweisen werden mit den gespeicherten Daten abgeglichen und dadurch gedeutet. Für die Erstellung der Datenbank mit den Kommunikationssignalen werden mehrere Personen aus dem engeren Umfeld des betreffenden Menschen mit Behinderung dazu befragt. Diese kennen ihn gut, da sie ihn regelmäßig betreuen (Engelhardt et al., 2021, S. 342–343). Es stellt sich die Frage wie sicher diese Technologie ist.
Bedenken für den Einsatz neuer Technologien
In Gespräch mit Mitarbeitenden, die für die Betreuung von Menschen mit komplexen Behinderungen zuständig sind, stellte sich heraus, dass diese häufig kritisch Neuerungen gegenüberstehen. Hier sollten die Personen, im Sinne ihrer Professionalität, dazu angeregt werden, die potenziellen Vorteile und die Gefahren für die komplex behinderten Menschen gegeneinander abzuwägen. Beim Einsatz von künstlicher Intelligenz und der Speicherung von großen Datensätzen, kommen meist Bedenken auf, was mit diesen Daten geschieht. Auch vor dem Hintergrund, dass hier Daten von einer sehr sensiblen und gefährdeten Bevölkerungsgruppe verarbeitet und gespeichert werden. Die Datenbanken müssen mit vielen Informationen über eine Person gefüllt werden. Selten gibt es übertragbare oder vergleichbare Daten für diese Menschen, da sie meist sehr verschieden sind. (Zentel, Hammann, Engelhardt & Kupitz, 2024, S. 173–175). Es stellt sich die Frage, wie der Nutzen gegen diese Bedenken abzuwägen ist.
Fazit
Das Projekt INSENSION ist ein wichtiger Schritt komplex behinderten Menschen eine Sprache zu geben. Hierdurch können ihre kaum merkbaren und sehr spezifischen Verhaltensäußerungen wahrgenommen werden. Es ist für sie ein großer Schritt in Richtung Teilhabe, da sie eine Reaktion auf ihre Äußerungen erhalten und sie somit selbstwirksam agieren können. Es geht über die bisher bekannten Hilfsmittel der Unterstützten Kommunikation hinaus. Die Abhängigkeit von einzelnen Betreuern wird reduziert und weitere Personen können schneller im Umgang eingearbeitet werden.
Gleichzeitig müssen die Risiken bedacht werden, insbesondere in Datenschutzfragen. Es wird mit sensiblen Daten von einer schutzbedürftigen Personengruppe umgegangen. Zustimmende wie auch ablehnende Willensäußerungen der Menschen mit komplexen Behinderungen, zu dem Umgang mit den Daten, müssen respektiert werden. Es finden, durch die Aufnahmen, viele Eingriffe in die Privatsphären sowohl der Menschen mit Behinderungen wie auch weiterer Personen statt. Somit ist es wichtig die Persönlichkeit jedes einzelnen ausreichend zu schützen (Zentel et al., 2024, S. 175–176).
Neben dem sensiblen Umgang mit den großen Datenmengen ist ein weiterer Faktor, der zu beachten ist, dass für die Erstellung viel technisches Equipment wie auch Personal benötigt wird. Folglich ist für die Erstellung mit hohen Kosten zu rechnen. Meist können die gesammelten Daten nur für eine Person verwendet werden. Daher werden die Kosten durch mehrere Anwendungen nicht merklich reduziert. INSENSION ist ein Ansatz, der zeigt, wie Technologien dazu beitragen können, Barrieren abzubauen und Inklusion zu fördern. Dabei muss das Richtige Maß für die Sicherheit der betroffenen Personen gefunden werden und die Betreuer für den neuen Weg begeistert werden.
Literaturverzeichnis
Cordis – Forschungsergebnisse der EU (Europäische Kommission, Hrsg.). (2022a). Mehr Unabhängigkeit und eine Stimme für schwerbehinderte Menschen, Zugriff 27.11.2024. Verfügbar unter: https://cordis.europa.eu/article/id/435886-increasing-independence-and-a-voice-for-the-profoundly-disabled/de
Cordis – Forschungsergebnisse der EU (Europäische Kommission, Hrsg.). (2022b). Personalized intelligent platform enabling interaction with digital services to individuals with profound and multiple learning disabilities, Zugriff 29.11.2024. Verfügbar unter: https://cordis.europa.eu/project/id/780819/reporting/de
Engelhardt, M., Krämer, T. & Zentel, P. (2021). Assessment der Kommunikation von Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung. Evaluation des INSENSION Questionnaire – Longform (InQL). Zeitschrift für Heilpädagogik, (72), 340–354.
Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation. (o. J.). Unterstützte Kommunikation (UK), Zugriff 29.11.2024. Verfügbar unter: https://www.gesellschaft-uk.org/ueber-uk.html
Zentel, P., Hammann, T., Engelhardt, M. & Kupitz, C. (2024). At the Limits of Feasibility: AI-Based Research for and with People with Profound Intellectual and Multiple Disabilities. Journal of Mental Health Research in Intellectual Disabilities, 17(3), 173–177. https://doi.org/10.1080/19315864.2024.2333240
Zentel, P., Sansour, T., Engelhardt, M. & Krämer, T. (2018). Aktuelle Forschungsprojekte: Vorstellung des Forschungsprojekts INSENSION. VHN Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 87(4), 336–337. https://doi.org/10.2378/vhn2018.art37d
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