By Published On: 20. März 2021Categories: Psychologie, Wirtschaft

Die TV-Show Germanys next Topmodel (kurz: GNTM) ging dieses Jahr in die 16. Runde. Seit Beginn der Sendung im Jahre 2006 wird Modelmama Heidi Klum wegen des in der TV-Show dargestellten Frauen- und Körperbildes kritisiert – schlank und groß sollen die Mädchen sein, bitte kein Gramm Fett am Körper! Jedes Jahr wird aufs Neue diskutiert, ob die in der Serie dargestellten Körpermaße gerade bei jungen Mädchen Essstörungen auslösen können. Dieser Artikel versucht der Antwort auf die Frage ein Stück näher zu kommen.

Welche Essstörungen gibt es?

Das Kernmerkmal von Essstörungen stellt das gestörte Essverhalten da.  Essstörungen werden im ICD-10, der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (10. Revision), zu den Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren (F50) gezählt. Es werden hauptsächlich die Anorexia nervosa und Bulimia nervosa unterschieden, beide Essstörungen werden jedoch noch weiter unterteilt. Bald soll auch noch eine weitere Essstörung, die Binge-Eating-Störung, hinzugenommen werden. Alle Essstörungen haben gemeinsam, dass die Betroffenen sich übermäßig mit ihrem Körper, ihrem Gewicht und Essen beschäftigen. Außerdem nehmen sich die Betroffenen als zu dick wahr (Dilling & Freyberger, 2019, S. 203-208).

Die Anorexia nervosa (auch Magersucht genannt), ist durch ein selbstherbeigeführten Gewichtsverlust gekennzeichnet, indem die Betroffenen beispielsweise auf die Aufnahme von Nahrung verzichten und / oder exzessiv Sport treiben. Dabei liegt das Gewicht mindestens 15% unter dem Gewicht, das für das Alter und die Körpergröße normal wäre (Dilling & Freyberger, 2019). Hinzu kommt eine starke Angst vor einer Gewichtszunahme und eine Körperschemastörung, durch die die Wahrnehmung und mentale Repräsentation des eigenen Körpers gestört ist. Dadurch nehmen sich die Betroffene als dick wahr, obwohl sie stark abgemagert sind. Die Körperschemastörung befeuert zudem die Angst vor einer Gewichtszunahme (Caspar, Pjanic, & Westermann, 2018, S. 91).

Bei der Bulimia nervosa (auch Bulimie oder Ess-Brech-Sucht genannt) leiden die Betroffenen unter Essanfällen, bei denen in sehr kurzer Zeit eine große Menge an Nahrungsmitteln aufgenommen wird. Die Anfälle müssen innerhalb von drei Monaten mindestens zweimal pro Woche auftreten. Anschließend versuchen die Betroffenen den Essanfall durch Gegenmaßnahmen zu kompensieren. Dazu wird Erbrechen induziert, Abführmittel missbraucht, es werden Appetitzügler oder Diuretika eingenommen oder Hungerperioden eingelegt. Diese Ess-Brech-Anfälle können bis zu 20-mal pro Tag auftreten. Im Gegensatz zur Magersucht weisen die Betroffenen ein normales Gewicht auf (Caspar et al., 2018, S. 91; Dilling & Freyberger, 2019, S. 208).

Wie entstehen Essstörungen?

Anorexia nervosa tritt im Gegensatz zu Bulimia nervosa bereits bei Kindern im Alter zwischen sieben und acht Jahren auf. Frauen im Alter von 15-19 Jahren haben die höchste Inzidenzrate bei der Anorexia nervosa, bei der Bulimia nervosa im Alter von 20-24 Jahren. Frauen sind insgesamt häufiger betroffen als Männer (Caspar et al., 2018, S. 96).

Die Entstehung einer Essstörung ist multifaktoriell – sie wird durch multiple intrapsychische, psychosoziale, soziokulturelle oder biologische Risikofaktoren erklärt. Es kommt also zu einem komplexen Zusammenspiel zwischen Anlage (Gene) und Umwelt (Umfeld, Familie etc.). Hauptsächlich wirken jedoch drei wichtige Faktoren aufeinander ein (Caspar et al., 2018, S. 96):

  1. Anfälligkeit: Das spiegelt zum einen die genetische Komponente wider (z.B. bei Essstörungen innerhalb der Familie). Jedoch können auch Faktoren wie ein niedriges Selbstbewusstsein, Übergewicht, sexueller Missbrauch oder Perfektionismus die Anfälligkeit erhöhen. Zusätzlich spielt eine Rolle, ob in der Familie bereits Essstörungen vorliegen oder wie die Familie im Allgemeinen mit ihrem Körper und mit Essen umgeht. 
  2. Auslösend: Diese Faktoren tragen dazu bei, dass die Störung entsteht. Das können beispielsweise Defizite in der Emotionsregulation sein.
  3. Aufrechterhaltend: Diese Komponenten tragen dazu bei, dass die Störung über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten wird.

Emotionsregulationsdefizite stellen, wie bereits dargestellt, eine ursächliche und eine aufrechterhaltende Komponente dar. Gerade in Belastungssituationen kann ein dysfunktionaler Umgang in Verbindung mit Essstörungen stehen, da die Aufnahme von Nahrung als Strategie zur Regulation von negativen Gefühlen dienen kann (emotionales Essen) (Caspar et al., 2018, S. 96-97).

Eine weitere Komponente stellt die Körperbildstörung dar. Bisher ist nicht geklärt, ob es sich hierbei um eine Folge oder einen Auslöser der Magersucht handelt (Kabitzsch, 2020). Eine Körperbildstörung besteht aus mehreren Komponenten. Dazu gehört die Fehleinschätzung der eigenen Körpermaße. Betroffene von Bulimie und Magersucht können folglich ihre Körpermaße nicht korrekt einschätzen und nehmen sich als dick wahr. Eine weitere Komponente stellt die negative Bewertung des eigenen Körpers dar. Betroffene empfinden gegenüber ihrem eigenen Körper eher negative Gefühle und versuchen ihn unter weiter Kleidung zu verstecken. Die Wichtigkeit des eigenen Körpergewichts rückt ebenfalls in den Fokus und geht mit bestimmten Emotionen einher (Universität Osnabrück, 2020).

Wie beeinflussen Models und TV-Shows das Körperbild junger Menschen?

Fakt ist, dass der Wunsch, sportlich, fit, schlank oder verführerisch zu wirken bei Frauen im jungen Alter am höchsten ist. Männer sind im Gegensatz zu Frauen mit ihrem Aussehen, ihrer Figur und ihrem Gewicht insgesamt zufriedener als Frauen. Zuletzt stellen sich Frauen öfters auf die Waage als Männer und kontrollieren ihr Körpergewicht so häufiger. Das wird gefolgt von dem Versuch das eigene Körpergewicht mittels Diäten zu reduzieren. Dabei verfolgen sie das Ziel für ihre Clique, ihren Freundeskreis oder ihr berufliches Umfeld gut auszusehen (Kluge & Sonnenmoser, 2001, S. 1-2).

Studien zeigen, dass bereits über 50% der Kinder im Alter von 12 Jahren den Wunsch äußern, dünner zu sein. Dies kommt unter anderen durch Disneycharaktere zustande, die jeweils unmenschliche Proportionen aufweisen. Durch das ständige Anschauen dieser Figuren gelangt das Körperbild in das Unterbewusstsein und dient hier als Vorlage, mit der sich Kinder vergleichen (Kabitzsch, 2020; Schuck, Munsch, & Schneider, 2018, S. 1). Ähnlich sieht es bei Sozialen Medien und auch Sendungen wie Germanys next Topmodel aus: Durch eine gewisse Omnipräsenz und der ständigen Auseinandersetzung mit diesem Körperideal wird es von den Kindern und Jugendlichen unreflektiert verinnerlicht.

Ob nun Germanys next Topmodel der alleinige Auslöser für eine Essstörung, vor allem für Magersucht, sein kann, bleibt zu bezweifeln. Bei der Entstehung von Magersucht wirken verschiedene Faktoren multikausal in einem bio-psycho-sozialen Modell zusammen. Der Trigger (Auslöser) aus der Umwelt (Hier: GNTM) muss also auf eine bestimmte genetische Komponente bzw. andere psychologische oder soziale Komponenten treffen. Schaut ein Mädchen, das sich in einem guten sozialen Umfeld befindet und keinerlei genetische Komponenten für die Entstehung einer Essstörung aufweist GNTM, wird sie wohl keine Magersucht entwickelt. Schaut hingegen ein junges Mädchen GNTM, das die genetische Komponente für die Entstehung einer Essstörung trägt, sich in einem sozialen und familiären Umfeld befindet, das von Leistungsdruck, fehlender Autonomie oder gestörtem Essverhalten geprägt ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Magersucht entwickelt (Kabitzsch, 2020). Selbst wenn junge Mädchen durch das Anschauen von GNTM Diäten ausprobieren und langsam eine Essstörung entwickeln, müssen noch weitere Komponenten vorhanden sein, die die Störung aufrechterhalten.

Fazit  

Bei Essstörungen werden zwei Arten unterscheiden: Die Anorexia Nervosa, auch Magersucht genannt, und die Bulimia Nervosa, die sogenannte Ess-Brecht-Sucht. Beide Störungen weisen verschiedene Unterkomponenten auf. Geprägt sind beide Essstörungen jedoch von einer Körperbildstörung, bei der die Betroffenen zum einen negative Gefühle gegenüber ihrem Körper hegen und sich andererseits als zu dick wahrnehmen – unabhängig von ihrem wirklichen Gewicht. Während bei der Magersucht zusätzlich das Abmagern im Vordergrund steht, ist die Bulimie durch das Loswerden einer zuvor aufgenommen Menge an Nahrung geprägt. Daher erbrechen sich die Betroffenen, treiben exzessiv Sport oder nehmen Abführmittel zu sich.

Beide Essstörungen entstehen durch einen multikausalen Zusammenhang zwischen Anlage und Umwelt. Beispielsweise befördert eine unzureichende Emotionsregulation die Entstehung einer Essstörung, genau wie Perfektionismus, fehlende Autonomie oder das Vorkommen eines gestörten Essverhaltens innerhalb der Familie. Diese Faktoren können zusätzlich die Essstörung aufrechterhalten.

Es bleibt offen, ob TV-Sendungen wie Germanys next Topmodel Magersucht bei jungen Mädchen hervorrufen können. Da für die Entstehung von Essstörungen nicht nur ein einziger Trigger (Auslöser) entscheidend ist, kann das Anschauen von GNTM allein nicht zu Essstörungen führen. Jedoch können junge Mädchen mit passender genetischer und / oder sozialer und / oder psychologischer Komponente getriggert werden. Dies gilt jedoch nicht nur für GNTM, sondern ebenfalls für soziale Netzwerke und Influencer.

Literatur

Titelbild: Pexels, 2016, pixabay.com (https://pixabay.com/de/photos/laufsteg-modelle-frauen-mode-1840941/)

Caspar, Franz; Pjanic, Irena; Westermann, Stefan (2018): Klinische Psychologie. Wiesbaden: Springer VS (Basiswissen Psychologie). Online verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3-531-93317-7.

Dilling, Horst; Freyberger, Harald J. (2019): Taschenführer zur ICD–10–Klassifikation psychischer Störungen. Mit Glossar und diagnostischen Kriterien sowie Referenztabellen ICD-10 vs. ICD-9 vs. DSM-IV-TR : nach dem englischsprachigen Pocket Guide von J. E. Cooper. 9., aktualisierte Auflage unter Berücksichtigung der Änderungen gemäß ICD–10 GM (German Modivication).

Kabitzsch, P. (2020): Essstörungen – so gefährlich ist GNTM wirklich. Online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=3-bjgd18rt8&list=WL&index=31&t=197s, zuletzt aktualisiert am 15.04.2020, zuletzt geprüft am 18.03.2021.

Kluge, N.; Sonnenmoser, M. (2001): Sind junge Frauen wirklich im „Schönheitswahn“? Über schönheitsbezogene Einstellungen und Aktivitäten von Männern und Frauen in verschiedenen Altersgruppen. Online verfügbar unter https://www.uni-landau.de/kluge/Beitraege_zur_S.u.S/schoenheitswahn.pdf., zuletzt geprüft am 15.03.2021.

Schuck, Kathrin; Munsch, Simone; Schneider, Silvia (2018): Body image perceptions and symptoms of disturbed eating behavior among children and adolescents in Germany. In: Child and adolescent psychiatry and mental health 12, S. 10. DOI: 10.1186/s13034-018-0216-5.

Stumm, Gerhard; Keil, Wolfgang W. (Hg.) (2018): Praxis der Personzentrierten Psychotherapie. 2. Aufl. 2018. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. Online verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3-662-54670-3.

Suchan, Boris; Bauser, Denise Soria; Busch, Martin; Schulte, Dietmar; Grönemeyer, Dietrich; Herpertz, Stephan; Vocks, Silja (2013): Reduced connectivity between the left fusiform body area and the extrastriate body area in anorexia nervosa is associated with body image distortion. In: Behavioural brain research 241, S. 80–85. DOI: 10.1016/j.bbr.2012.12.002.

Universität Osnabrück (2020): Körperbildstörung. Online verfügbar unter https://www.beam-net.uni-osnabrueck.de/koerperbildstoerung.html, zuletzt aktualisiert am 13.02.2020, zuletzt geprüft am 18.03.2021.

Waszczuk, Monika A.; Waaktaar, Trine; Eley, Thalia C.; Torgersen, Svenn (2019): Etiological influences on continuity and co-occurrence of eating disorders symptoms across adolescence and emerging adulthood. In: The International journal of eating disorders 52 (5), S. 554–563. DOI: 10.1002/eat.23040 .

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