Stell dir vor du bist lebenslustig, studierst und treibst regelmäßig Sport. Dann erkrankst du an COVID-19. Wie viele andere leidest du unter den typischen Symptomen: Fieber, Husten und Müdigkeit. Nach ein paar zermürbenden Wochen erholst du dich ein wenig und hoffst, in dein normales Leben zurückkehren zu können. Doch Monate später kämpfst du mit anhaltender Müdigkeit, Hirnnebel und Herzrasen, das dich auch nicht erholsam schlafen lässt. Dein einst aktiver Lebensstil wurde durch Tage im Bett ersetzt, und einfache Aufgaben erscheinen dir jetzt unüberwindbar. Diese Geschichte ist nicht einzigartig. Weltweit kämpfen unzählige Menschen mit ähnlichen Symptomen, einem Zustand, der heute als Long-COVID bekannt ist.
In diesem Blogbeitrag wird untersucht, was wir derzeit über Long-COVID, die Symptome, Risikofaktoren, zugrundeliegenden Mechanismen und Behandlungsstrategien auf der Grundlage der jüngsten Literatur wissen.
COVID vs. Long-COVID
Wie sich eine akute Infektion mit COVID-19 anfühlt, dürften die meisten von uns wissen. Symptome wie Fieber, Husten, Muskelschmerzen und Geschmacks- oder Geruchsverlust treten innerhalb von 3-4 Tagen nach der Ansteckung aus. Leichte Fälle erholen sich in der Regel schnell, während schwere Fälle Wochen dauern können. Bei einigen Personen treten jedoch nach einer COVID-Infektion oder nach einer Erholung neue und andauernde Symptome auf, was als das so genannte Long-COVID bezeichnet wird. Long-COVID wird als eine Multiorganerkrankung verstanden, mit einem breiten Spektrum an Symptomen, die nicht immer der Krankheit eindeutig zugeordnet werden können. Zu den am häufigsten vorkommenden Beschwerden gehören Müdigkeit und Muskelschwäche, wie völlige Erschöpfung bei geringer Anstrengung; Kurzatmigkeit; kognitive Funktionsstörungen wie Gehirnnebel, Gedächtnis-, Konzentrations-, Sprachstörungen; gastrointestinale Symptome wie Appetitlosigkeit und Bauchschmerzen; kardiovaskuläre Symptome wie Brustschmerzen und Herzklopfen; endokrine Störungen; neurologische Symptome wie Kopfschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Muskelschmerzen und sensomotorische Defizite; psychische Symptome wie Depressionen, Angstzustände und Schlafstörungen sowie zahlreiche weitere diffuse Symptome (Su et al., 2023, S. 4057).
Risikofaktoren
Mehrere Faktoren erhöhen das Risiko, an Long-COVID zu erkranken. Dazu gehören das Geschlecht, das Alter, der Schweregrad der Erstinfektion sowie Komorbitäten. So Frauen haben ein doppelt so hohes Risiko und auch ältere Menschen sind anfälliger. Zudem erhöht das Vorhandensein von mehr als fünf Symptomen in der akuten Phase das Risiko. Vorerkrankungen wie Fettleibigkeit, psychiatrische Störungen und chronische Krankheiten sind ebenfalls wichtige Risikofaktoren (Su et al, 2023, S. 4059-4060).
Pathophysiologie – aktuelle Studienlage
Die genauen Mechanismen, die hinter Long-COVID stehen, werden noch untersucht. Eine Theorie hat etwas mit unserem angeborenen Immunsystem zu tun. Dieses hilft uns normalerweise, Krankheitserreger zu bekämpfen. Bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 wird es aktiviert und sollte sich anschließend wieder abschalten. Bei einigen Menschen bleibt die Abwehr jedoch aktiv. So fanden Forscher im Blut von Long-Covid-Patienten Hinweise auf eine Überaktivität in dem angeborenen Immunsystem, was zu Blutgerinnseln, Schädigungen der Blutgefäße und Zerstörung roter Blutkörperchen führen und somit Zell- und Organschäden erklären könnte (Cervia-Hasler et al., 2024). Dazu würde ebenfalls passen, dass Patienten anhaltend hohe Werte von bestimmten Zytokinen zeigen, was ebenfalls auf eine chronische Immunaktivierung hinweist (Krishna et al., 2024). Doch was lässt unser Immunsystem so verrückt spielen? Auch dazu wird fleißig geforscht! Zum einen kann die vom SARS-CoV-2-Virus ausgelöste Produktion von Autoantikörpern schuld sein, die fälschlicherweise die eigenen Zellen angreifen (Altmann et al., 2023, S. 618-632; Su et al., 2023, S. 4061). Eine andere Theorie besagt, dass das SARS-CoV-2-Virus in verschiedenen Körpergeweben über Monate nach der akuten Infektion verbleiben kann und chronische Entzündungen sowie abnorme Immunreaktionen verursacht (Su et al., 2023, S. 4061). Bei Patienten wurde ebenfalls die Reaktivierung latenter Viren wie des Epstein-Barr-Virus (EBV) beobachtet, was Symptome wie Müdigkeit, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen verschlimmert (Gold et al., 2021). Auch könnte eine Störung der Blut-Hirn-Schranke durch anhaltende Entzündungen das Eindringen von Entzündungszytokinen und Immunzellen ins Gehirn erleichtern, was zu neurologischen Symptomen wie Hirnnebel und Gedächtnisstörungen beiträgt (Greene et al., 2024). Trotz geringer Studien und Kritik an mancher Forschung scheint immer deutlicher zu werden, dass ein fehlgeleitetes Immunsystem eine zentrale Rolle spielen muss.
Diagnose und Behandlungen
Eine eindeutige Diagnose von Long-COVID ist schwierig. Die aktuelle Diagnostik basiert hauptsächlich auf den am stärksten ausgeprägten Symptomen und ist daher eine Ausschlussdiagnose, was die Situation kompliziert macht. Eine umfassende Diagnostik erfordert oft mehrere Stunden und verschiedene Tests. Hausarztpraxen können dies häufig nicht bewältigen. Stattdessen gibt es Long-Covid-Ambulanzen, die auf diese Untersuchungen spezialisiert sind, aber auch hier müssen Betroffene weiterhin monatelang auf einen Termin warten (Koczulla et al., 2022, S. 13-46). Die Identifizierung von Biomarkern und der Einsatz bildgebender Verfahren können jedoch in Zukunft die Diagnose und Überwachung unterstützen. Zukünftige Biomarker könnten Entzündungsproteine, Zytokine, Autoantikörper, kardiovaskuläre und gastrointestinale Marker sowie neuropsychologische und psychiatrische Marker umfassen (Su et al., 2023, S. 4062-4063).
Die Behandlung von Long-COVID erfordert einen umfassenden Ansatz, einschließlich der Entwicklung therapeutischer Medikamente und eines effektiven Gesundheitssystems. Die Weltgesundheitsorganisation und Forschungsgruppen betonen, wie wichtig es ist, Patienten ernst zu nehmen und ihre Symptome zu verstehen, um wirksame Interventionen und Behandlungen zu bestimmen (Su et al.,2023, S. 4063). Derzeit gibt es keine gesicherten therapeutischen Interventionen. Aktuell konzentriert sich die Behandlung auf die Linderung spezifischer Symptome sowie Physiotherapie, psychologische Unterstützung und regelmäßige Überwachung des Gesundheitszustands. Betroffene können von Entspannungsübungen und dem sogenannten Pacing profitieren, bei dem sie ihre begrenzte Energie optimal einteilen. Aufgrund der vermuteten Beteiligung des Immunsystems werden jedoch verschiedene Ansätze in klinischen Studien untersucht. Dazu kann eine erneute Impfung oder die Behandlung mit Antikörpern gegen Covid gehören und auch eine Blutwäsche (Immunapharese) bei der Antikörper aus dem Blut entfernt werden zeigen in einigen Fällen vielversprechende Ergebnisse. Krankenkassen bewerten diese Methoden jedoch noch als unklar (Koczulla et al., 2022, S. 13-46).
Fazit und Ausblick
Long-COVID stellt sowohl für Patienten als auch für Gesundheitsdienstleister eine große Herausforderung dar. Obwohl die Forschung Fortschritte macht, bleiben viele Fragen zu Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten offen. Das Immunsystem scheint eine zentrale Rolle zu spielen, sei es durch anhaltende Entzündungen, Autoantikörper oder die Reaktivierung latenter Viren. Die Diagnose von Long-COVID ist derzeit schwierig und basiert oft auf Ausschlussverfahren. Es besteht dringender Bedarf an spezifischen Biomarkern und verbesserten Diagnosemethoden.
Zukünftige Forschung könnte zu neuen Therapien führen, die über die symptomatische Behandlung hinausgehen, einschließlich Immuntherapien und innovativer Verfahren wie der Immunapherese. Die Erkrankung erfordert daher sowohl medizinische als auch gesellschaftliche Anstrengungen. Durch kontinuierliche Forschung und Zusammenarbeit können wir bessere Wege zur Bewältigung dieser Krankheit finden und den Betroffenen mehr Lebensqualität ermöglichen. Das Gesundheitssystem muss sich anpassen, um die langfristigen Auswirkungen dieser Pandemie wirksam zu bewältigen.
Literatur
Altmann, D.M., Whettlock, E.M., Liu, S. et al. (2023). The immunology of long COVID. Nat RevImmunol 23, 618–634 (2023). https://doi.org/10.1038/s41577-023-00904-7
Cervia-Hasler, C. et al. (2024). Persistent complement dysregulation with signs of thromboinflammation in active Long Covid.Science383,eadg7942(2024).DOI:10.1126/science.adg7942
Gold, J. E., Okyay, R. A., Licht, W. E., & Hurley, D. J. (2021). Investigation of Long COVID Prevalence and Its Relationship to Epstein-Barr Virus Reactivation. Pathogens (Basel, Switzerland), 10(6), 763. https://doi.org/10.3390/pathogens10060763
Greene, C., Connolly, R., Brennan, D. et al. (2024). Blood–brain barrier disruption and sustained systemic inflammation in individuals with long COVID-associated cognitive impairment.Nat Neurosci 27, 421–432 (2024). https://doi.org/10.1038/s41593-024-01576-9
Koczulla, A. R., Ankermann, T., Behrends, U., Berlit, P., Berner, R., Böing, S., Brinkmann, F., Frank, U., Franke, C., Glöckl, R., Gogoll, C., Häuser, W., Hohberger, B., Huber, G., Hummel, T., Köllner, V., Krause, S., Kronsbein, J., Maibaum, T., . . . Zwick, R. (2022). S1-Leitlinie Long-/Post-COVID. Pneumologie, 76(12), 855–907. https://doi.org/10.1055/a-1946-3230
Krishna, B. A. et al. (2024). Spontaneous, persistent, T cell–dependent IFN-γ release in patients who progress to Long Covid.Sci. Adv.10,eadi9379(2024).DOI:10.1126/sciadv.adi9379
Su, S., Zhao, Y., Zeng, N. et al. (2023). Epidemiology, clinical presentation, pathophysiology, and management of long COVID: an update. Mol Psychiatry 28, 4056–4069 (2023). https://doi.org/10.1038/s41380-023-02171-3
Titelbildquelle
Foto von Tumisu (2020) auf Pixabay. Abgerufen am 04.08.2024. https://pixabay.com/photos/coronavirus-young-man-mask-virus-4994442/