Heutzutage existiert eine erstaunlich große Bandbreite an medizinisch erprobten Naturheilverfahren außerhalb der klassischen Schulmedizin, hierzu zählen beispielsweise Verfahren wie Akkupunktur, Osteopathie und Homöopathie. Einige dieser Methoden tragen nachweislich zu einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik und somit einem größeren Wohlbefinden der Patienten bei. Jedoch birgt das Wahrnehmen des alternativen Heilangebots mit all seinen positiven Effekten, auch Schattenseiten, vor allem im Hinblick auf Scharlatanerie und Betrug. Leider zeichnet sich gerade in den letzten Jahren eine besorgniserregende Entwicklung im Bereich der Psychotherapie ab. Die steigende Anzahl an psychischen und psychosomatisch Erkrankungen innerhalb der Bevölkerung in Kombination mit dem Mangel an ausreichend zur Verfügung stehenden Therapieplätzen führt dazu, dass sich die Betroffenen alternativen Behandlungsangeboten zu wenden. Hier kommen zum Leidwesen der aufrichtig agierenden Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten und psychotherapeutisch geschulte Heilpraktiker häufig sogar illegale Substanzen mit schwerwiegenden Folgen zum Einsatz. Hierzu zählen beispielsweise LSD, Ecstasy und andere bewusstseinsverändernde Drogen, die schon seit geraumer Zeit auf psychologisch anmutenden Seminaren von sogenannten Fachleuten der Psycholyse-Szene konsumiert werden.
Marcel K. (†, 25), Joachim K. (†, 59) und Sabine B. (59) sind nur einige der namentlich bekannten Leidtragenden, die einer „aus dem Ruder gelaufenen“ Psycholyse-Sitzung zum Opfer gefallen sind (siehe Abbildung 1.). Hierbei kam die Hilfe durch Rettungskräfte und Ärzte, zwecks Verschleierung des illegalen Konsums leider zu spät, um schwerwiegende Komplikationen bis hin zum Tod, verhindern zu können. Auch wenn ein Teil der Verantwortlichen juristisch zur Rechenschaft gezogen wurden, sind die Anklagen hauptsächlich auf Drogen und Betäubungsmittelverstöße ausgerichtet, nicht aber auf Bereiche wie schwere Körperverletzung oder sogar Todschlag. Die somit recht milde ausgefallen Strafen stellen kaum eine Abschreckung dar, daher boomt die Szene weiter und diejenigen die erwischt wurden ziehen sich einfach an neue Wirkungsstätten zurück.
Dennoch sind dies lediglich drei dramatische Vorfälle, die in der deutschen Presse im Zusammenhang mit dem verschwommenen Begriff „Psycholyse“ (Seelenlösung) publizierten wurden, die Dunkelziffer liegt vermutlich weit höher.
Bemüht um eine genauere Begriffsbestimmung kommt man an den Veröffentlichungen von Samuel Widmer, seines Zeichens Psychiater und „Guru“ der schweizerischen Kirschblütengesellschaft bis zu seinem Tod 2017, nicht vorbei:
Es handelt sich bei Psycholyse um eine ganz normale, meist tiefenpsychologisch orientierte Gesprächspsychotherapie oder ein anderes psychotherapeutisches Verfahren, das unterstützt wird durch gelegentlich eingebaute, aufdeckende Sitzungen mit einer dafür geeigneten psycholytischen Substanz.[3]
Jedoch zeigt diese Definition nicht im Ansatz, das Ausmaß der im Geheimen praktizierten, psychedelisch anmutenden und gefährlichen Sitzungen auf.
Grundlegend ist die bewusstseinserweiternde Wirkung von psychoaktiven Substanzen bereits seit der Frühzeit bekannt und findet im Schamanismus und in indigenen Heilritualen Anwendung.[4] Die wissenschaftlich begründeten Anfänge der Psycholyse bzw. der psycholytischen Therapie basieren allerdings maßgeblich auf den Forschungen und Erkenntnissen von Hanscarl Leuner hinsichtlich des „Katathymen Bilderlebens“ (heute: Katathym-Imaginative Psychotherapie), welche er zur Ergänzung der Methode mit verschiedenen Halluzinogenen kombinierte (1955).[5] Des Weiteren etablierte er als ein führender Vertreter die psycholytische Therapie in Deutschland (1960) und therapierte selbst eine Vielzahl von Patienten mit Substanzen wie LSD (Lysergsäurediethylamid) bis zu seinem Tod 1997.
Die heutige weitverbreitete Form der Psycholyse basiert, wie bereits erwähnt, hauptsächlich auf der von Samuel Widmer gelehrten sogenannten „Substanzunterstützen Psychotherapie“. Diese verbindet den Ansatz von Leuner, also die mehrmalige Anwendung von Psycholytika in kleinen Dosierungen, mit dem Ansatz der psychedelischen Psychotherapie, die im Gegensatz dazu die einmalige Verwendung einer sehr hohen Dosierung, zwecks sogenannter Ich-Auflösung, vorsieht.[6] Innerhalb der undurchsichtigen und sektenartig anmutenden Kirschblütengesellschaft praktizierte Widmer mit seinen Anhängern darüber hinaus noch Konzepte wie Polyamorie, „ehrbaren Inzest“ und Tantra gebündelt unter dem Dach der therapeutisch-tantrisch-spirituellen Universität (TTSU). [7]
Laut der psychedelischen Gesellschaft Deutschlands empfiehlt sich zu therapeutischen Zwecken die Einnahme von 125 mg MDMA (3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin) kombiniert mit 100 – 200 µg LSD (zeitverzögert), dies wird auch als sogenannter „Candyflip“ bezeichnet und soll der Nutzensteigerung der Behandlung dienen. Eine solche Therapieform fand auch praktische Anwendung, vor allem in der Schweiz, legalisiert mittels Erteilung personengebundener amtlicher Genehmigungen. Dies wurde 1988 fünf Psychiatern der SÄPT (Schweizerische Ärztegesellschaft für psycholytische Therapie) durch das Bundesamt für Gesundheit in Form einer Ausnahmeregelung für die psycholytische Arbeit mit LSD und MDMA erteilt. Jörg Roth erhielt eine Hauptbewilligung für LSD, Samuel Widmer eine Hauptbewilligung für MDMA und die anderen drei, Peter Baumann, Marianne Bloch und Juraj Styk, bekamen entsprechend eine Nebenbewilligung (vgl. Gasser 2008, 339/ Jungaberle & Verres 2008, 41/ Widmer 2013, 57).
Sowohl in Deutschland, als auch in der Schweiz ist der Einsatz der psycholytischen Psychotherapie nicht vereinbar mit dem Berufsethos des Psychotherapeuten, sowie dem geltenden Betäubungsmittelgesetz und darüber hinaus ist die Ausbildung in dieser Fachrichtung, beispielsweise durch die TTSU oder die SÄPT, nicht staatlich anerkannt. Weiterhin ist die Verwendung vieler dieser Psycholytika bereits seit den 1970er Jahren in Deutschland verboten, spätestens auch seit 1993 in der Schweiz, durch die Rücknahme der an die Mitglieder der SÄPT erteilten Ausnahmegenehmigungen.[8] Folglich sollten lediglich noch Ketamin-haltige Substanzen und Ephedrin zur psycholytischen Therapie angewendet werden, die jedoch durch ihr suchtförderndes Potential und ihre zahlreichen Nebenwirkungen nur in geringem Maße dafür geeignet sind. Die zuvor angeführten Beispiele, sowie viele Stimmen ehemaliger Teilnehmer zeichnen dahingegen ein anderes Bild. Denn laut ihrer Erfahrungen kommen sehr wohl die verbotenen Substanzen zum Einsatz, zumeist mit zweifelhafter Herkunft und in verhängnisvollen Kombinationen.[9]
Teil 2 weiterlesen unter:
https://www.wipub.net/lucy-in-the-sky-with-diamonds-psycholyse-ein-umstrittenes-verfahren-teil-2
[1] Taubert, G.: 2017.
[2] Gieseke, S.: 2009.
[3] Widmer, S.: 2013. S.106
[4] Von Heyden, M./ Jungaberle, H./ Majić, T.: 2018. S.675
[5] Passie, T.: 1997. S.47
[6] Jungaberle, H./ Gasser, P./ Weinhold, J./ Verres, R.: 2008. S.24
[7] Britsko, S.: 2015.
[8] BPTK-Pressemitteilung: 2009.
[9] Eppendorfer: 2015.
Titelbild zu „Lucy in the sky with diamonds“ – Psycholyse ein umstrittenes Verfahren“ (Teil 1)
Bearbeitete Darstellung der Quelle:
https://pixabay.com/de/photos/lewy-body-demenz-demenz-2965713/
Literatur zu „Lucy in the sky with diamonds“ – Psycholyse ein umstrittenes Verfahren“ (Teil 1)
BPTK – Bundespsychotherapeutenkammer. Pressemitteilung 21.09.2009. Berlin
online abgerufen über die BPTK-Homepage: (20.10.2018)
https://www.bptk.de/uploads/media/20090921_pm_bptk_psycholytische_psychotherapie.pdf
Britsko, S.: Polyamorie, MDMA-Therapie und ehrbarer Inzest – Ein Gespräch mit dem Schweizer Sex-Guru Samuel Widmer. VICE-Magazin. Online-Media Wien. 2015
Eppendorfer. Zeitung für Psychiatrie und Soziales. Spuren in die Schweiz. PP Heft 10/2015.
Gieseke, S.: Psycholytische Therapie – Absolut illegal. Deutsches Ärzteblatt. PP Heft 10/ 2009 433.
online abgerufen über die Deutsche Ärztekammer-Homepage: (20.10.2018)
https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=66307
Jungaberle, H./ Gasser, P./ Weinhold, J./ Verres, R.: Die Professionalisierung Substanz-unterstützter Psychotherapie (SPT). In: Jungaberle, H./ Gasser, P./ Weinhold, J./ Verres, R. (Hrsg.): Therapie mit psychoaktiven Substanzen. Praxis und Kritik der Psychotherapie mit LSD, Psilocybin und MDMA. Hogrefe Verlag. Bern 2008. 21-40.
Passie, T.: Hanscarl Leuner – Pioneer of Hallucinogen Research and Psycholytic Therapy. Newsletter Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS). Vol. 7 Nr. 1 Winter 1996-97. 46-49
Taubert, G.: Tiefenrausch. Die Zeit. Nr. 20/ 2017
Online abgerufen über Die Zeit online-Homepage: (20.10.2018)
von Heyden, M./ Jungaberle, H./ Majić, T.: Handbuch psychoaktiver Substanzen. Springer-Verlag Berlin Heidelberg. 2018.
Widmer, S.: Bis dass der Tod uns scheidet – Psycholyse. Psycholytische Psychotherapie. Die Geschichte der substanzunterstützten Psychotherapie in der Schweiz und in Europa nach 1970. Editions Heuwinkel. Genf. Basel. 2013. S.106