By Published On: 2. September 2022Categories: Gesundheit, Psychologie

Wir Menschen verbringen ein Drittel unserer Lebenszeit im Schlaf, wobei unser aktives Bewusstsein abgeschaltet ist und das Unterbewusstsein seine eigenen Wege geht. Währenddessen kommunizieren die Gehirnzellen miteinander, was wir an den Grenzen unseres Bewusstseins wahrnehmen: wir träumen. Im Traum können wir alles sein, was wir wollen, fremde Landschaften erkunden, Abenteuer und Gefühle der Angst, der Qual und des Glücks erleben (Podbregar, 2012, S.4).Vor allem können wir durch das Träumen emotional regenerieren: Emotionen werden von Erinnerungen gelöst, um sie als neutrale Gedächtnisinhalte zu speichern. Wenn dies aber nicht bzw. unvollständig geschieht, wirken die Emotionen als Störfaktor, die Albträume und zusätzlichen Stress verursachen (Klösch, Holzinger, 2018, S.29).

Wann ist ein Traum luzid?

Beim luziden Träumen (LT), ist sich die träumende Person bewusst, dass sie träumt. Dadurch erhält sie die Möglichkeit aktiv in den Verlauf und Inhalt des Traums Einfluss zu nehmen und ihn damit zu verändern. Nach der Theorie Edelmans (2003) ist unser Bewusstsein bimodal, d.h. es lässt sich in das primäre und sekundäre Bewusstsein unterscheiden. Durch das primäre Bewusstsein ist eine einfache Umweltwahrnehmung, einschließlich Emotionen möglich. Dementsprechend werden hier reguläre Träume eingeordnet. Beim sekundären Bewusstsein dagegen, wird man sich bewusst über das eigene Bewusstsein, was auch Fähigkeiten wie rationales Denken und Willenskraft umfasst. Dementsprechend integriert das LT sekundäre Prozesse im primären Bewusstsein, was bedeutet, dass Aspekte des Wachseins und des Träumens kombiniert werden (Holzinger, Fränkl, 2021, S.57). Des Weiteren unterscheiden sich luzide von herkömmlichen Träumen durch die stark verbesserte Gedächtnisfähigkeit und die kraftvollen, positiven bis hin euphorischen Emotionen (Held, 1997). 1987 definieren Tholey und Utecht sieben Kriterien, die ein Traum erfüllen muss, um als Klartraum bezeichnet zu werden (Tab.) (Holzinger, 2005, S.1).

 KriteriumBeschreibung
1.Klarheit über den BewusstseinszustandDas Wissen, dass man träumt.
2.Klarheit über die EntscheidungsfreiheitBegegnet man einer (Alb)Traumfigur, hat man die freie Entscheidung zwischen Flucht, Annäherung oder Konfrontation.
3.Klarheit des Bewusstseins  Gegenteil vom Verwirrtheits- oder Dämmerzustand.
4.Klarheit über das WachlebenDas Wissen über die eigene Person und der Absicht, die man im Traum verfolgt.
5.Klarheit der WahrnehmungSchmecken, Riechen, Sehen, Hören und Fühlen.
6.Klarheit über den Sinn des Traums 
7.Klarheit der Traumerinnerung 
Kriterien des luziden Traums (eigene Darstellung in Anlehnung an Holzinger, 2005, S.2).

Für einen luziden bzw. Klartraum sind die Kriterien 1 bis 4 eine unerlässliche Bedingung, wobei die Sparten 5 bis 7 nicht zwingend erforderlich sind (Holzinger, 2005, S.2).

Allgemein werden Träume mit dem REM-Schlaf (rapid eye movement/schnelle Augenbewegung) verbunden, wobei beim LT komplexe Gehirnprozesse, wie z.B. aktivierte frontale und frontolaterale Hirnareale beteiligt sind, deren Basis höhere kognitive Fähigkeiten sind. Allgemein werden dabei Hirnareale aktiviert, die bei nicht-luziden REM –Phasen inaktiv sind (Holzinger, Fränkl, 2021).

Luzides Träumen in der Psychotherapie

Laut der Kontinuitätstheorie nach Hall und Nordby (1978) spiegeln Trauminhalte Sorgen und Gedanken des Wachzustands wider und bieten somit eine Möglichkeit, tief in die Gefühls- und Gedankenwelt einzublicken. Insbesondere Albträume symbolisieren einen Ausdruck psychischer Störungen, z.B. bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und Depressionen. Das Luzidtraumtraining (LTT) ist hierbei ein neuer innovativer Behandlungsansatz. Zwar sind LT schwierig zu induzieren, dennoch kann diese Fähigkeit erlernt und durch Trainings eingeübt werden (Holzinger, Fränkl, 2021, S.59). Um LT zu induzieren, lassen sich folgende Methoden unterscheiden: kognitive Methoden, externe Stimuli und sonstige Methoden (Appel, Kern, 2015, S. 5).

  • Kognitive Induktionsmethoden: Hier erfolgt der Einsatz von Bewusstseins- und Konzentrationsübungen. Entweder wird darauf abgezielt den Traumzustand, im Traum selbst bewusst zu werden oder beim Einschlafprozess das Bewusstsein aufrecht zu erhalten und auf die Entwicklung der Traumszene zu warten. Eine Methode sind Realitäts-Tests, wobei der Übende tagsüber die Umgebung nach Abweichungen absucht. Nach einiger Zeit soll dieses Verhalten in den Traum übergehen. Hierbei gibt es eine Vielzahl von Tests, z.B. das Ausatmen mit zugehaltener Nase (Appel, Kern, 2015, S.5-6).
  • Externe Stimuli: Hier werden Geräte genutzt, die Einfluss auf den Trauminhalt nehmen, sodass sich der Träumende seines Zustandes bewusst wird. Die Stimuli können visuell, haptisch oder auditiv sein und werden dann eingesetzt wenn sich der Schlafende in der REM-Schlafphase befindet und diesen detektiert, z.B. durch Schlafbrillen o.ä. (Appel, Kern, 2015, S.6).
  • Sonstige Methoden: Durch ein Traumtagebuch lässt sich die Traumerinnerungsfähigkeit trainieren, wodurch die Klartraumwahrscheinlichkeit und das Erkennen regelmäßig auftretender Inhalte erhöht wird und Luzidität getriggert wird (Appel, Kern, 2015, S.6-7).

Wirkung und Nebenwirkung luzider Träume

Das LT bietet verschiedene Möglichkeiten zur Unterstützung. Traumatisierte Menschen können ggf. die Erlebnisse überwinden integrieren und Albträume in Träume umwandeln. Schwierige oder ängstigende Situationen können im Klartraum durchgespielt werden, was das Denk-, Gefühls- und Handlungsspektrum erweitern kann. Phobiker können durch Desensibilisierung im Traum unterstützt und nächtliche Asthmaattacken, die v.a. in der REM-Schlafphase auftreten können ggf. kontrollierbar gemacht werden. Durch eine Begegnung mit verstorbenen Menschen im Klartraum, wird die Möglichkeit zum Abschied und Trauerbewältigung gegeben. Außerdem kann es die Kreativität, sportliche Bewegungsabfolgen und die Spiritualität fördern (Holzinger, 2014, S.9-10). Letztendlich bieten LT die Möglichkeit zur Erhöhung der Selbstwirksamkeit und, durch die selbstständige Anwendung der Patienten, zur Stärkung der Eigenverantwortung sowie der Selbstkontrolle. Laut Tholey (1988) sind Effekte des Klartraums: weniger Zwangssymptome und Angstzustände, mehr Selbstbewusstsein, innere Sicherheit sowie Ausgeglichenheit. Jedoch gelingt es nicht immer die Handlungen im LT erfolgreich umzusetzen. Potenzielle Risiken sind bei der Anwendung bei Menschen mit Psychosen anzusehen, da Delirien und Halluzinationen sowie die Vermischung von innerer und äußerer Realität verstärkt werden könnten. Auch liegen gemischte Ergebnisse dahingegen vor, dass LT Schlafstörungen verursachen. Weiterführend besteht das Risiko von angstauslösenden Bildern (luzider Albtraum), die nicht kontrolliert werden, aber bei vollen Bewusstsein erlebt werden können (Holzinger, Fränkl, 2021, S.60).

Fazit

Mithilfe von Klarträumen ist es möglich in tiefere Ebenen unseres Wesens Kontakt aufzunehmen. Diesbezüglich stellen sie ein praktisches Instrument zur Seelenerforschung dar (Tuccillo, Zeizel; Peisel, 2016, S33). Sie können von jedem Menschen zuhause angewendet werden und bieten in vielen Bereichen enormes Potenzial, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht ganz ausgeschöpft sind. Auch die Induktion von LTT benötigt noch Weiterentwicklung um luzide Träume für jeden zugänglich und wirksam zu machen. Nichtsdestotrotz, ist die Technik des Klartraums in der Psychotherapie nicht für jeden anwendbar. Hier muss das Krankheitsbild genauestens betrachtet werden. LT in der Psychotherapie, steckt noch in den Kinderschuhen und wird noch viel Forschung abverlangen.


Literatur

Appel, K., Kern, S. (2015). Phänomenologie luzider Träume und Induktionstechniken. In: Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (Hrsg.) Kompendium Schlafmedizin, Chapter XVIII-3.9.1.

Held, W. (1997). Luzides Träumen. Abgerufen am 29.07.2022, unter https://Klartraum (werner-held.de).

Holzinger, B. (2005). Zwischen Schlaf- und Wachzuständen: Luzides Träumen. Plenarvortrag  im Rahmen der 55. Lindauer Psychotherapiewoche. Abgerufen am 29.07.2022 unter https:// www.lptw.de/archiv/vortrag/2005/holzinger-brigitte-luzides-traeumen-lindauer-psychotherapiewochen2005.pdf.

Holzinger, B. (2014). „Dream Sense Memory“ Traumarbeit in der Gestalttherapie und die psychotherapeutische Technik des luziden Träumens. In: Psychotherapie Forum. Wien: Springer Verlag.

Holzinger B., Fränkl, E. (2021). Luzides Träumen als Technik in der Psychotherapie. Psychotherapie Wissenschaft 11 (2), 57-63.

Klösch, G., Holzinger, B. (2018). Schlaf psychologisch betrachtet. In: Holzinger, Klösch (Hrsg.) Schlafstörungen. Psychologische Beratung und Schlafcoaching. Berlin: Springer Verlag

Podbregar, N. (2012). Wenn das Gehirn eigene Wege geht…In: scinexx.de – Das Wissensmagazin. Düsseldorf, Heidelberg: MMCD NEW MEDIA GmbH, Springer Verlag. Abgerufen am 29.07.2022 unter https www.nextory.de/buch/träumen-wenn-das-gehirn-eigene-wege-geht–10353387/#!.

Tuccilo, D., Zeizel, J., Peisel, T. (2016). Klarträumen. Träume bewusst steuern – die Kreativität beflügeln – Probleme lösen. 8. Auflage. München: Goldmann Verlag.

Beitragsbild

Keller, S. (2018). Abgerufen unter https://pixabay.com/de/photos/fantasie-zeit-magie-uhr-traum-3517206/ am 28.07.2022.

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