„It is unequivocal that human influence has warmed the atmosphere, ocean and land.“
Climate Change 2021: The Physical Science Basis (IPCC, 2021)
Im Mittelpunkt der Klimadebatte steht – wie in der Psychologie – der Mensch. Wer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel im Kontext der Klimakrise verstehen möchte, sollte sich demnach auch mit menschlicher Wahrnehmung, Kognition und Emotionen beschäftigen.
Klima und nachhaltige Entwicklung
Der Mensch trägt Verantwortung an extremen Wetterereignissen wie Sturmfluten, Dürren und Überschwemmungen. Allerdings sind die Folgen des Klimawandels ungleich verteilt. Laut des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, 2021) sind ärmere Bevölkerungen und landwirtschaftlich geprägte Volkswirtschaften besonders betroffen.
In Kenia, meiner Wahlheimat der letzten Jahre, bin ich in einem Projekt zur ländlichen Entwicklung tätig. Hier leben zwei Drittel der Bevölkerung fernab der Städte in ländlichen Gebieten. Ihren Lebensunterhalt bestreiten die meisten durch Landwirtschaft und sind dadurch aufgrund der Klimaschwankungen besonders gefährdet. Während Kenia 0,1% der globalen Treibhausgase verursacht, leidet die Bevölkerung stärker unter den Folgen des Klimawandels als andere Weltregionen mit höherem Beitrag zur Klimakrise.
In meiner täglichen Arbeit hilft mir mein Zweitstudium der Psychologie an der SRH, komplexe Veränderungsprozesse besser zu verstehen. Auch beim Thema Klimawandel lohnt sich ein Blick in die Forschung am Nexus zwischen Klima und menschlichem Verhalten. Schnell wird ersichtlich, wie die Psychologie eine wichtige Rolle in der Klimapolitik spielen kann.
Klimakrise mit psychosozialen Auswirkungen
Der Klimawandel hat weitreichende, direkte und indirekte Auswirkungen auf den Menschen (Doherty, 2011). So können extreme Wettereignisse zum Verlust des eigenen Lebens oder Zuhauses führen oder den Menschen aus seinem sozialen Umfeld reißen. Auf der Flucht vor Klimaauswirkungen migrieren immer mehr Menschen in urbane Zentren, wodurch traditionelle Familien- und Wertsysteme ins Schwanken geraten. Besonders betroffen von den Folgen des Klimawandels sind daher oftmals Kinder, Frauen und Minderheiten (McGillc, 2017). Zudem untergräbt eine ungewisse Zukunft auch immer das emotionale Wohlbefinden.
Die Erderwärmung ist folglich nicht nur Stressfaktor für unsere Umwelt, sondern auch für den Menschen (Thompson, 2021; Frye, 2019).
Psychologen als Berater in der Klimakrise?
Seit Kurzem wird der Appell lauter, dass psychologische Erkenntnisse stärker in die Gestaltung machbarer Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels einfließen sollten (Cafferata, Dávila-Fernández & Sordi, 2021).
Technologien wie Climate Engineering – Eingriffe in geochemische Prozesse, um die Erderwärmung zu stoppen, sind in ihrer Machbarkeit, ihren Kosten und Risiken unzureichend erschlossen. Unbekannte Variablen bringen in Verhandlungen und Entscheidungen zu solch innovativen Lösungen Angst ins Spiel. Hierbei können Psychologen zu Einstellungsänderungen, Entscheidungsprozessen und zwischenmenschlicher Koordination beraten, um bessere und schnellere Ergebnisse zu erzielen (Converse, Hancock, Klotz, Clarens & Adams, 2021).
Auch die Politik kann von Erkenntnissen aus der Psychologie lernen. Die persönliche Wahrnehmung von Klimarisiken des Einzelnen hängt stark von der Verbundenheit zur eigenen Gemeinschaft ab (Smith, Dupré, McEvoy & Kenny, 2021). Somit spielt auch die Stärkung einer sozialen Identität eine wichtige Rolle, um den Klimawandel in den Fokus gesellschaftlicher Debatten zu rücken (Ntontis, Drury, Amlôt, Rubis & Williams, 2020).
Soziale Kognition und die eigene Verantwortung
Und wie kann sich jeder Einzelne die Psychologie zunutze machen, um anpassungs- und lernfähiger zu bleiben?
Zum Beispiel können psychologische Kenntnisse helfen, Motive und Ursachen klimaschädlichen Verhaltens besser zu verstehen (Nielsen, Stern, Dietz & Capstick, 2021; Whomsley 2021). Wie all unsere Einstellungen geht auch unsere Position zum Klimawandel auf soziale Kognition zurück (Werth, Denzler & Mayer, 2020, S. 24). Die Psychologie lehrt uns, dass wir Informationen entweder impulsiv, automatisch und unbewusst (heuristisch) oder reflektiert (systematisch) verarbeiten. Eine tiefergehende Reflexion erfordert mehr Anstrengung, ermöglicht aber auch besseres Verständnis und macht Einstellungs- und Verhaltensänderungen möglich (Strack & Deutsch, 2004).
Wie wir alle aus Erfahrung wissen, liegt es in unserer Natur, an einer geformten Meinung festzuhalten, negative Emotionen zu vermeiden und Reflexion zu scheuen. Machen wir uns dieser persönlichen Filter und kognitiver Blockaden bewusst, haben wir eine bessere Chance, objektive Meinungen zu bilden und rational zu handeln (Fischer, Jander & Krüger, 2018).
Was bedeutet die Klimakrise für die Psychologie?
Bei der Debatte um den Klimawandel geht es im Kern darum, Menschen, Wahrnehmungen, Normen, Zielsetzungen und verankerte Glaubenssätze zu verstehen.
Die Psychologie kann dem Klimawandel als Wissenschaft nicht direkt entgegen wirken – diese Verantwortung liegt bei politischen Entscheidungsträgern, der Naturwissenschaft und der Industriegesellschaft. Dennoch kann angewandte psychologische Forschung einen wichtigen Beitrag zur größten Herausforderung unserer Zeit leisten. Klimawandel, Sicherheit, physische und mentale Gesundheit stehen in engem Zusammenhang und müssen gemeinsam betrachtet werden, um effektive Lösungen zu entwickeln.
Globale Herausforderungen wie die Klimakrise öffnen psychologischen Experten somit auch neue Türen, sich in politische und sozioökonomische Entscheidungsprozesse einzubringen.
Literatur
Cafferata, A., Dávila-Fernández, M. J., & Sordi, S. (2021). Seeing what can(not) be seen: Confirmation bias, employment dynamics and climate change. Journal of Economic Behavior & Organization, 189, 567-586.
Converse, B. A., Hancock, P. I., Klotz, L. E., Clarens, A. F., & Adams, G. S. (2021). If humans design the planet: A call for psychological scientists to engage with climate engineering. American Psychologist, 76(5), 768-780.
Doherty, T. J., & Clayton, S. (2011). The psychological impacts of global climate change. American Psychologist, 66(4), 265-276.
Fischer, P., Jander, K. & Krueger, J. (2018). Sozialpsychologie für Bachelor. Berlin: Springer.
Frye, D. (2019). How Could the Climate Change Us? A Rapidly Warming World May Pose a Mental Health Challenge. Psychology Today, 52(1), 11-12.
Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC (2021). Headline Statements from the Summary for Policymakers, Zugriff am 02.04.2023, verfügbar unter https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_Headline_Statements.pdf
McGillc, N. (2017). Vulnerable Populations at Risk From Effects of Climate Change. American Journal of Public Health, 107(1), 8.
Nielsen, K. S., Clayton, S., Stern, P. C., Dietz, T., Capstick, S., & Whitmarsh, L. (2021). How psychology can help limit climate change. American Psychologist, 76(1), 130-144.
Ntontis, E., Drury, J., Amlôt, R., Rubin, G. J., & Williams, R. (2020). What lies beyond social capital? The role of social psychology in building community resilience to climate change. Traumatology, 26(3), 253-265.
Smith, C. J., Dupré, K. E., McEvoy, A., & Kenny, S. (2021). Community perceptions and pro- environmental behavior: The mediating roles of social norms and climate change risk. Canadian Journal of Behavioural Science, 53(2), 200-210.
Strack, F., & Deutsch, R. (2004). Reflective and impulsive determinants of social behavior. Personality and Social Psychology Review, 8, 220-247.
Thompson, H. E. (2021). Climate “psychopathology”: The intersection of mental and physical health in the climate emergency. European Psychologist, 26(3), 195-203.
Werth, L., Denzler, M., & Mayer, J. (2020). Soziale Kognition: Grundlagen sozialer Informationsverarbeitung und sozialem Verhalten. In L. Werth, M. Denzler & J. Mayer. Sozialpsychologie – Das Individuum im sozialen Kontext (S. 19-54). Berlin: Springer.
Whomsley, S. R. C. (2021). Five roles for psychologists in addressing climate change, and how they are informed by responses to the COVID-19 outbreak. European Psychologist, 26(3), 241-248.