By Published On: 27. Juli 2022Categories: Gesundheit, Psychologie

Die Aussagen wie: „Ich bin total im Stress“, „Das stresst mich gerade“ oder „Keine Zeit, ich hab Stress“ hören wir Tag täglich in unserem Umfeld oder wir äußern es selbst. Diese Sätze sind zu einem Universalcode in unserer heutigen Gesellschaft geworden und stehen unmissverständlich dafür, dass die Person die diese Aussage getätigt hat eindeutig unter Anspannung und starkem Druck steht oder übermäßig unruhig ist. Die derzeitige Gemütsverfassung wird also mit kurzen, knappen Worten umschrieben und ist aus unserer alltäglichen Kommunikation nicht mehr wegzudenken.

Warum ist Stressbewältigung eigentlich so wichtig?

Neben ausreichender Bewegung und einer ausgewogenen Ernährungsweise ist die Stressbewältigung ist eine der wichtigsten Säulen unserer Gesundheit. Chronischer Stress und zu häufige oder zu intensive Stressepisoden stellen einen bedeutsamen (mit-) verursachenden Faktor bei chronisch-degenerativen, psychosomatischen und psychischen Erkrankungen sowie weiteren Krankheitsbildern dar. Vor allem im Zusammenhang mit einer unausgewogenen Beanspruchungs- Erholung-Bilanz ist eine chronische Stressbelastung als ein hoher gesundheitlicher Risikofaktor einzustufen (GKV-Spitzenverband, S. 80, 2021). Als direkte Folgen einer stressassoziierten psychobiologischen Regulation unserer Körpersysteme sind unter anderem Depressionen, Angst- und Panikzustände, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlafstörungen zu nennen. Erschöpfung, gesteigerter Medikamenten- und Suchtmittelkonsum, Partnerschafts- und Erziehungskonflikte werden als indirekte Folgen einer dysfunktionalen Bewältigungsaktivität angesehen (GKV-Spitzenverband, S. 81-82, 2021).

Was nutzt uns also eine schlanke Taille oder das täglich abgeleistete Fitnessprogramm, wenn wir nachts keine Ruhe finden können, wir uns ständig überfordert fühlen und schon die kleinste Anspannung zu Nervosität, Leistungsverlust oder Krankheit führt? Der Stress hat seine Wurzeln in unseren Köpfen. Die tief verankerten Lernmuster lassen sich nicht allein durch Yogakurse oder einem Wellness-Wochenende reparieren oder auflösen. Es sind unsere eigenen Bewertungen, die langfristig entscheiden, welche Macht Stressoren über uns haben: der tägliche Verkehrsstau, der nörgelnde Partner, die Kinder oder neidische Mitmenschen. Werden die Belastungen zu groß, fühlen wir uns zunehmend hilflos und überfordert.

Ob oder wie stark Belastungen durch unsere individuellen Stressoren und die darauffolgende Stressreaktion ausfallen, ist stark abhängig von den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen beziehungsweise Strategien. Die Ressourcen wirken dabei förderlich auf die Bewältigung einer Stresssituation und können selbst aktiv gestärkt werden (Linz et al., S. 11, 2020). Die individuellen Strategien werden unter dem Begriff der Bewältigung beziehungsweise Coping zusammengefasst. Der Bewältigungsbegriff umfasst jegliche Anstrengungen einer Person externe oder interne Belastungsfaktoren zu meistern, zu tolerieren, zu mildern oder zu vermeiden (Kaluza, S. 62, 2018).
Hier wird deutlich, dass es vielfältige Ansatzpunkte gibt, um an einer individuellen Stressbewältigung anzusetzen. Ich möchte wie anfänglich beschrieben den Fokus auf unsere kognitive Verarbeitung von Belastung legen und dazu das mentale Stressmanagement als einer der möglichen Wege zur individuellen Belastungsbewältigung und sein bedeutsames Potenzial vorstellen. Die nachfolgende Darstellung (Abbildung 1) dient der Zuordnung des mentalen Stressmanagements in das Modell des individuellen Stressmanagements nach Kaluza (2018).

Mentales Stressmanagement

Der Ansatzpunkt bei dieser Coping-Strategie liegt in den ganz individuellen und persönlichen Stressverstärkern, also die Faktoren wie stressverschärfende persönliche Motive, Einstellungen und Denkmuster. Dieser kognitive Interventionsansatz der Stressbewältigung dient dazu, unsere persönlichen Stressverstärker achtsam wahrzunehmen, diese selbstkritisch zu reflektieren und sie in förderliche, stressmindernde Gedanken und Einstellungen zu transformieren (Kaluza, S. 64, 2018).

Mentales Stressmanagement funktioniert jedoch nur, wenn man auch bereit ist sich mit seinem Inneren auseinander zu setzen und die meist tief verwurzelte innere Einstellung in Form von negativen Glaubenssätzen und hinderlichen Denkmustern zu hinterfragen. Diese Muster können bereits seit der Kindheit verankert sein. Fragen Sie sich doch einmal, welche Familienleitsprüche es bei ihnen zu Hause gab? Mir fallen hier spontan Folgende ein: „Was sollen denn die Leute denken“, „Lieber fünf Minuten zu früh, als zu spät“, „Nein, nicht gleich – sofort!“, „Weil ich das sage“. Diese Aufzählung könnte man sicherlich noch unendlich fortführen, aber fragen Sie sich nun, welche dieser Sätze haben sich bei ihnen zu Lebensregeln entwickelt und sind so zu Ihren persönlichen Stressverstärkern geworden.

Das mentale Stressmanagement kann also auch dazu dienen, alte Antreiber zu entmachten und für sich neue Regeln aufzustellen. Dazu fällt mir natürlich auch ein passender Spruch ein „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Es erfolgt demnach eine Umprogrammierung stresserzeugender oder -verschärfender Einstellungen und Bewertungen, die Hinwendung zur Dankbarkeit, die Fokussierung auf das Positive und hin zu einer lösungsorientierten Sichtweise. Hier folgen nun ein paar Bespiele für stressverstärkende Glaubenssätze und wie diese in mögliche förderliche Gedanken umformuliert werden können.

Statt „Sei perfekt!“ könnte der neue Leitspruch lauten: „Auch ich darf Fehler machen“ oder „So gut wie möglich, so gut wie nötig“. Aus „Sei beliebt!“ wird: „Ich darf NEIN sagen“, „Ich darf meine Meinung sagen“ oder „Ich darf anecken“. „Behalte die Kontrolle“ wird umformuliert in: „Ich traue mich“ oder „Ich bleibe gelassen, auch wenn ich nicht weiß, was kommt“. Ein weiterer oft tiefsitzender Stressverstärker liegt in diesem Leitgedanken „Sei unabhängig!“. Hier fühlen sich jetzt vielleicht Eltern oder Alleinerziehende besonders angesprochen. Wenn das so ist, lade ich Sie ein diesen in folgende förderliche Einstellungen umzuwandeln: „Ich darf Schwäche zeigen“, „Ich darf um Hilfe bitten“, „Ich darf/kann delegieren“, „Ich darf mich anlehnen“ und den aus meiner Sicht beste Rat, den ich ihnen bezüglich dieses Glaubenssatzes geben kann, lautet „Ich gebe anderen die Chance, mir zu helfen“.

Fazit

Abschließend lade ich sie dazu ein, einmal bei sich zu schauen, welche generalisierte Einstellung sich bei Ihnen verankert hat und in welchen für sie passenden Leitspruch könnten sie diesen umwandeln. Stress muss nicht ertragen und ausgehalten werden. Durch diese einfache und leicht umsetzbare Interventionsmöglichkeit steigern sie Ihre ganz persönliche Stresskompetenz. Vielleicht klappt es nicht sofort, aber je öfters sie diese Technik anwenden, desto besser gelingt Ihnen Ihre innere Einstellung zum Positiven zu wenden, denn Stressbewältigung lässt sich trainieren wie ein Muskel.

Nähere Informationen und spezifische Stressbewältigungskurse werden unter anderem durch die gesetzlichen Krankenkassen angeboten oder können bei entsprechender Anbieterqualifikation über den §20 Abs. 4 Nr. 1 SGB V Primäre Prävention und Gesundheitsförderung abgerechnet oder bezuschusst werden (GKV-Spitzenverband, S. 80-91, 2021).

Literaturverzeichnis

GKV-Spitzenverband (2021). Leitfaden Prävention. Handlungsfelder und Kriterien nach §20 Abs. 2 SGB V in der Fassung von September 2021. Berlin: GKV. URL: https://www.gkvspitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/praevention__selbsthilfe__beratung/praevention/praevention_leitfaden/2021_Leitfaden_Pravention_komplett_P210177_barrierefrei3.pdf (06.06.2022).

Kaluza, G. (2018). Belastungsbewältigung. In: Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung (4. Aufl.) Heidelberg: Springer.

Linz, S., I. Helmreich, A. Kunzler, A. Chmitorz, K. Lieb & T. Kubiak (2020). Interventionen zur Resilienzförderung bei Erwachsenen. Psychother Psychosom Med Psychol., 70(1). S. 11-21.

Wirtz, M. A. (2022). Stress. In: Dorsch Lexikon der Psychologie. URL: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/stress (22.06.2022).

Bildnachweis

Monteiro, Daniel (2017). Frau sitzt auf braunem Sofa – Slowdown. Unsplash. URL: https://unsplash.com/photos/HwNCyLWw7hw (26.07.2022).

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