Neuronale Netze sind Modelle der Künstlichen Intelligenz. Sie sind z. B. auf Smartphones oder in modernen PKW zu finden. Sie spielen aber auch in der psychologischen Wissenschaft eine bedeutende Rolle. Wie Neuronale Netze helfen, psychologische Phänomene besser zu verstehen, kann anhand von Gedächtnisfunktionen und Modellen der Klinischen Psychologie beispielhaft verdeutlicht werden.
Neuronale Netze
Im Grunde genommen sind Neuronale Netze abstrahierte Nachbildungen neuronaler Hirnstrukturen (Zell, 1994, S. 23). Bereits 1943 entwickelten ein Neurophysiologe und ein Psychologe ein erstes Neuronen-Modell. In den 1980er Jahren entstanden dann die ersten Netzwerke und lösten eine rasante Entwicklung aus (Rojas, 1993, S. 3). Seitdem sind sehr komplexe Modelle entstanden. Zum grundsätzlichen Verständnis Neuronaler Netze reicht es jedoch aus, sich erstens einen einfachen Aufbau und zweitens die Trainingsphase anzuschauen (Zell, 1994, S. 71-86).
1. Aufbau
Analog zu biologischen Neuronalen Netzen (Hirnstrukturen), besteht ein künstliches Neuronales Netz aus miteinander verbundenen Neuronen. Ein einfaches Netz-Modell besteht aus mehreren Ebenen von Neuronen, wobei die Neuronen jeder Ebene mit denen der nächsten Ebene verbunden sind. Die Verbindungen zwischen den Neuronen sind „gewichtet“, d. h. sie können das Eingangssignal verstärkt (Gewicht > 1) gedämpft (Gewicht < 1) oder gar nicht (Gewicht = 0) weiterleiten (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Ein einfaches Neuronales Netz (Quelle: Eigene Darstellung)
Komplexere Modelle können die Neuronen auch über die Ebenen hinweg verbinden oder selbstorganisierend Neuronen auf- und abbauen (Zell, 1994, S. 76-82).
2. Training
Das einfache Beispiel-Netzwerk aus Abbildung 1 kann z. B. ein Eingangsmuster erkennen und dies durch eine entsprechende Ausgabe anzeigen. Diese Funktion muss es jedoch zuerst lernen, d. h. das Netz muss „trainiert“ werden. In der Trainingsphase werden die Ein- und Ausgabemuster vorgegeben und die Gewichte der Neuronen-Verbindungen werden für jede Eingabe-Ausgabe-Kombination so lange verändert, bis sich die gewünschten Ergebnisse einstellen (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Vorgegebene Ein- und Ausgabe-Muster für die Trainingsphase (Quelle: Eigene Darstellung)
In dem Beispielfall aus Abbildung 2 sind die Eingabemuster eindeutig. Komplexere Neuronale Netze lernen beispielsweise die Erkennung verschiedener Gesichter und erkennen dann auch leicht veränderte Darstellungen desselben Gesichts, weil ähnliche Eingabemuster zu derselben Ausgabe führen.
Das iterative Training, also die Suche nach einer optimalen Einstellung der n Gewichte, entspricht der Suche nach einem optimalen Minimum in einem n-dimensionalen Gebirge. Abbildung 3 stellt dieses Gebirge stark vereinfacht zweidimensional dar.
Abbildung 3: Suche nach einem optimalen Minimum in der Trainingsphase (Quelle: Eigene Darstellung)
Zwei Beispiele
Sowohl der Aufbau eines Neuronalen Netzes als auch das Training desselben helfen, psychologische Phänomene besser zu verstehen, wie folgende zwei Beispiele zeigen.
1. Gedächtnisfunktionen
In der (Allgemeinen) Psychologie haben eine Fülle von Konzepten aus dem Bereich der Neuronalen Netze „Eingang in neuropsychologische Theorien gefunden und dazu beigetragen, analoge Konzepte zum Verständnis der menschlichen Intelligenz und Kognition zu entwickeln“ (Becker-Carus & Wendt, 2017, S. 9), beispielsweise der Gedächtnisfunktionen.
Das Gedächtnis funktioniert nicht wie ein PC, legt Informationen nicht in lokalen Speicherplätzen wie in Schubladen ab. Vielmehr verbergen sich die trainierten (d. h. gelernten) Informationen im Netzwerk selbst: in den verstärkten oder gedämpften Neuronen-Verbindungen. Ähnliche Informationen können erkannt werden, ohne dass sie zuvor explizit gelernt wurden und neue Gedächtnisinhalte können hinzugefügt werden, ohne dass unbedingt neue Neuronen gebildet werden müssten (obwohl es das auch gibt) (Myers, 2014, S. 329-330).
2. Modelle in der Klinischen Psychologie
In der Klinischen Psychologie tragen „konnektionistische Modelle“ zum Verständnis der Entstehung und Behandlung psychischer Störungen bei. Im sogenannten „Spannungslandschaftsmodell“ entspricht die psychische Gesamtspannung einem n-dimensionalen Gebirge (wie in Abbildung 3), wobei Gedanken, Emotionen, Verhalten, biologische Zustände, Umweltfaktoren u. ä. die n Dimensionen bilden. Jeder Mensch strebt nach einem Minimum an Spannung, idealerweise nach dem globalen (aufs Ganze gesehenen) Minimum, das aber kaum je erreicht wird. Lokale Minima können allerdings ebenfalls zufriedenstellend sein, da in ihnen die Spannung im Vergleich zur unmittelbaren Umgebung minimal ist, wenngleich eine gewisse Restspannung bestehen bleibt. Auch psychische Störungen können als lokale Minima gesehen werden, bei denen eine erhebliche Restspannung als Leidensdruck erlebt wird (Caspar, Pjanic & Westermann, 2018, S. 44-45).
Eine Psychotherapie hat zum Ziel, das ungünstige lokale Minimum zu verlassen, was allerdings mit einer vorübergehenden Spannungserhöhung verbunden ist (z. B. durch Widerstände in der Familie bei einer Verhaltensänderung o. ä.) (Caspar et al., 2018, S. 44).
Fazit
Neuronale Netze sind modellhafte Nachbildungen neuronaler Hirnstrukturen. Mit ihrer Hilfe können psychologische Phänomene abstrahiert und veranschaulicht werden. Sowohl ihr prinzipieller Aufbau als auch ihr Training helfen beispielsweise Gedächtnisfunktionen oder die Entstehung, Aufrechterhaltung und Behandlung psychischer Störungen besser zu verstehen.
Literaturverzeichnis
Becker-Carus, C. & Wendt, M. (2017). Allgemeine Psychologie: Eine Einführung (2. Aufl.). Berlin: Springer.
Caspar, F., Pjanic, I. & Westermann, S. (2018). Klinische Psychologie (Basiswissen Psychologie) (1. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.
Myers, D. G. (2014). Psychologie (3., vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer.
Rojas, R. (1993). Theorie der neuronalen Netze: Eine systematische Einführung (1. Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer.
Zell, A. (1994). Simulation Neuronaler Netze (1. Aufl.). Bonn Paris Reading, Mass.: Addison-Wesley.
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