By Published On: 22. August 2024Categories: Psychologie

Magic Mushrooms gegen Depressionen? Die psilocybinhaltigen Pilze sind in Deutschland eher als illegale Droge bekannt und werden mit bunten Trips assoziiert. Doch seit einigen Jahren ist der Wirkstoff Psilocybin in den Fokus der Forschung geraten. Trotz vorhandener effektiver Therapien für affektive Störungen sprechen nicht alle Personen auf die Behandlung an und leiden an einer therapieresistenten Depression. Neue Ansätze zur Behandlung dieser könnten sich durch den Einsatz von Psilocybin in der Psychotherapie eröffnen und erste Studien zeigen positive Ergebnisse (Karow, 2023, S. 99).

Status Quo

In einer US-amerikanischen Studie mit 79 Teilnehmenden mit therapieresistenter Depression wurde eine überzeugende antidepressive Wirkung bei 37 % nach 3 Wochen nachgewiesen (Goodwin et al., 2022, S. 1645). In Deutschland führt das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim zusammen mit anderen Institutionen eine klinische Studie mit Psilocybin bei 144 Personen durch, jedoch sind noch keine Ergebnisse veröffentlicht (Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), Mannheim 2023). Bildgebende Studien zeigen Veränderungen der Gehirnaktivität unter Psilocybin mit potentiellem antidepressivem Potenzial (Carhart-Harris et al., 2016, S. 619). International wird schon von einer Psychedelika-Assistierten-Therapie (PAT) gesprochen und es werden Schulungen für psychotherapeutisches Personal angeboten. In diesem Kontext kommen auch andere psychotrope Substanzen zum Einsatz (Spangemacher et al., 2023, S. 31). Die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich bietet seit 2023 Psilocybin-unterstützte Therapien für Erwachsene mit schwer zu behandelnder Depression an, nach einer zuvor durchgeführten Studie, bei der mehr als 50 % der Teilnehmenden positive Ergebnisse zeigten (Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, 2024). In Australien ist seit 2023 Psilocybin bereits unter gewissen Einschränkungen zur Therapie von Depressionen zugelassen (Hintzsche, 2024, S. 205).

Pharmakologie und Wirkung

Psilocybin ist ein serotonerg und dopaminerg wirksames Halluzinogen, welches einen mehrstündig (3-6 Stunden) anhaltenden, veränderten Bewusstseinszustand verursacht (Karow, 2023, S. 99). Es ist ein natürlich in bestimmten Pilzen vorkommendes pflanzliches Alkaloid. Psilocybin wird in das pharmakologisch wirksame Psilocin überführt, ein Agonist der 5-HT1A-, 5-HT1D-, 5HT2A- und 5HT2C-Serotoninrezeptor-Subtypen (Jeannin 2013, S. 212). Psilocybin hat daher eine neuartige Pharmakologie im Vergleich zu den gängigen Antidepressiva, da selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) keine direkten 5-HT2A-Rezeptor-Agonisten sind (Carhart-Harris et al., 2016, S. 619).  Zu den akuten Effekten gehören eine Veränderung des Bewusstseins mit Affektsteigerung und verstärkter Introspektion, Wahrnehmungsveränderungen im Sehen, Hören, Denken und im Zeitgefühl. Somatische Effekte sind Pupillenerweiterung, erhöhte Sehnenreflexe, eine Herzfrequenzsteigerung und meist eine Blutdrucksenkung. Zu den akuten Nebenwirkungen gehören Müdigkeit, Kopfschmerzen, Erschöpfung, Übelkeit und Angstzustände (Jeannin 2013, S. 212; Spangemacher et al. 2023, S. 34). Forschungsergebnisse legen nahe, dass Psilocybin stimmungsaufhellende, antidepressive und angstlösende Effekte hat (Lasch et al., 2024, S. 232).

Was die Psychedelika-Assistierte-Therapie (PAT) so besonders macht

Die spezifische Wirkungsweise von Psilocybin bietet neue Erfahrungen im Bereich des individuellen und zwischenmenschlichen Erlebens, die als Katalysator für die Therapie dienen können. Bei der PAT spielen die Begriffe Set und Setting eine wichtige Rolle. Unter Set versteht man den mentalen Zustand der Person (z.B. die persönliche Vorbereitung, Erwartungen oder Absichten), während sich das Setting auf den äußeren Rahmen bezieht (z.B. Raum, Musik, Atmosphäre oder Begleitung). Während des veränderten Bewusstseinszustandes können verdrängte Erfahrungen auftauchen und chronische, dysfunktionale Verhaltensmuster modifiziert werden. Die therapeutische Beziehungsgestaltung ist dabei entscheidend. Im Gegensatz zur herkömmlichen Psychopharmakotherapie betont die PAT das einmalige Erleben und die bewusste Integration des psychedelischen Erlebens in den therapeutischen Prozess. Die PAT zielt auf eine aufdeckende und oft zunächst verunsichernde Wirkung. Insbesondere psychedelische Erfahrungen, die sich mit existenziellen oder herausfordernden Themen befassen, können dabei eine besondere therapeutische Wirkung entfalten (Spangemacher et al., 2023, S. 34). Neben dem schnellen Einsetzen einer antidepressiven Wirkung hat Psilocybin auch die Fähigkeit, seine Wirkung über mehrere Monate aufrechtzuerhalten. Diese Effekte sind auf die Verarbeitung des psychedelischen Zustands als einzigartige subjektive Erfahrung und die Lerneffekte zurückzuführen, die weit über die akuten pharmakologischen Effekte der Substanz hinausgehen (Spangemacher et al. 2023, S. 31). Die Psilocybin-Assistierte-Therapie bei Depressionen nutzt die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) als therapeutischen Rahmen (Guss et al., 2020, S. 1).

Kritik und Risiken

Eine Überdosierung ist nicht körperlich gefährlich, kann jedoch zu einem überwältigenden Erlebnis führen, das schwer therapeutisch zu integrieren ist. Ebenso könnte eine unachtsam oder unzureichend begleitete psychedelische Erfahrung potenziell zu Retraumatisierungen oder zur Verfestigung dysfunktionaler Muster führen, in Einzelfällen auch zu psychotischen Reaktionen (Spangemacher et al., 2023, S. 34). Die Euphorie über den Einsatz von Psychedelika wird durch begrenzte Studien und Ressourcenanforderungen gebremst. Die Frage der Eignung für diese Therapie und ihre Integration in die Regelversorgung ist noch offen. Die hohen Kosten könnten dazu führen, dass Protokolle nicht zuverlässig eingehalten werden und unregulierte Therapieangebote mit Risiken entstehen (Karow, 2023, S. 100).

Fazit und Ausblick

Neue klinische Studien deuten auf die Wirksamkeit von Psilocybin hin, wenn es in einem psychotherapeutischen Kontext zur Behandlung von Depressionen eingesetzt wird. Psilocybin hat bei Therapieresistenz Potenzial (Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), Mannheim 2023), doch die relativ geringe Datenlage erlaubt noch keine adäquate Nutzen-Risiko-Bewertung. Die Erfolge von Vorbildern wie der Universitätsklinik Zürich sowie die Bereitstellung und Nutzung von Schulungen für PAT zeigen, dass es einen Bedarf und Erfolg geben kann. Es handelt sich um einen innovativen Ansatz, der jedoch viel Kompetenz und weitere Untersuchungen erfodert, sowie einen offenen gesellschaftlicher Dialog, um Missverständnisse und Vorurteile zu klären und ihren therapeutischen Nutzen zu maximieren (Raj et al., 2023, S. 7).

Abbildungsverzeichnis

Titelbild: Bild von Michael M (Nutzername: TherapeuticShroom) (2020). Verfügbar unter: https://pixabay.com/de/photos/psilocybin-pilze-pilz-5198533/.

Literaturverzeichnis

Carhart-Harris, Robin L.; Bolstridge, Mark; Rucker, James; Day, Camilla M. J.; Erritzoe, David; Kaelen, Mendel et al. (2016): Psilocybin with psychological support for treatment-resistant depression: an open-label feasibility study. In: The lancet. Psychiatry 3 (7), S. 619–627. DOI: 10.1016/S2215-0366(16)30065-7 .

Goodwin, Guy M.; Aaronson, Scott T.; Alvarez, Oscar; Arden, Peter C.; Baker, Annie; Bennett, James C. et al. (2022): Single-Dose Psilocybin for a Treatment-Resistant Episode of Major Depression. In: The New England journal of medicine 387 (18), S. 1637–1648. DOI: 10.1056/NEJMoa2206443 .

Guss, Jeffrey; Krause, Robert; Sloshower, Jordan (2020): The Yale Manual for Psilocybin-Assisted Therapy of Depression (using Acceptance and Commitment Therapy as a Therapeutic Frame). Yale. DOI: 10.31234/osf.io/u6v9y .

Hintzsche, Henning (2024): Psilocybin zur Behandlung depressiver Erkrankungen. In: Biospektrum 30 (2), S. 205. DOI: 10.1007/s12268-024-2157-2 .

Jeannin, Jean-Michel (2013): Phyto- und Mykotoxine (4). In: Schweiz Z Ganzheitsmed 25 (4), S. 212–213. DOI: 10.1159/000353751.

Karow, Anne (2023): Psychedelische Therapie mit Psilocybin und Psychotherapie – Wo stehen wir? In: Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 73 (3-04), S. 99–100. DOI: 10.1055/a-2010-7640.

Lasch, Anna; Schweikert, Timo; Dora, Eva; Kolb, Theresa; Schurig, Hanne Lilian; Walther, Andreas (2024): Psilocybin-gestützte Therapie von Depression, Angst und Suchtstörungen: Neurobiologische Grundlagen und klinische Anwendung. In: Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie 92 (6), S. 230–245. DOI: 10.1055/a-2046-5202.

Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (2024): Depressions-Behandlung: Erste klinische Anwendung von Psilocybin. Online verfügbar unter https://www.pukzh.ch/news/depressions-behandlung-erste-klinische-anwendung-von-psilocybin/.

Raj, Priyanshu; Rauniyar, Shyambabu; Sapkale, Bhagyesh (2023): Psychedelic Drugs or Hallucinogens: Exploring Their Medicinal Potential. In: Cureus 15 (11), e48719. DOI: 10.7759/cureus.48719.

Spangemacher, Moritz; Valentino Färber, Luca; Kärtner, Laura; Brand, Manuela; Julia Mertens, Lea; Scharf, Dennis et al. (2023): Psychedelika in Psychiatrie und Psychotherapie – Trend oder Therapie? In: DNP 24 (6), S. 30–35. DOI: 10.1007/s15202-023-5803-5.

Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), Mannheim (2023): EPIsoDE Studie. Online verfügbar unter https://episode-study.de/.

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