„Was meinen Sie, wie groß ist der Handlungsbedarf beim Klimaschutz?“
Diese Frage stellte Infratest dimap im November 2022 insgesamt 1.318 wahlberechtigten Personen über 18 Jahren in Deutschland. Zum Zeitpunkt der Erhebung orteten stolze 82 % aller Befragten einen sehr großen bis großen Handlungsbedarf (Statista Research Department 2022b). In einer in Österreich im April 2022 durchgeführten Umfrage zur persönlichen Einstellung zum Klimawandel gaben ganze 60 % von 1000 Befragten über 16 Jahren an, dass ihrer Meinung nach dringender Handlungsbedarf bestehe (Statista Research Department 2022a). Dennoch verzichteten im selben Jahr 52 % von 1.002 befragten Österreicher*innen laut eigener Angabe nur manchmal oder gar nie auf die Nutzung eines eigenen PKW, um ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern (Wien Energie 2022). Wie passt das zusammen?
Intentions-Verhaltens-Lücke und TPB
Nur weil Personen ein starkes Umweltbewusstsein haben, heißt das oftmals noch lange nicht, dass sie sich auch umweltbewusst verhalten. Steht eine Person z. B. morgens vor der Entscheidung, das Auto oder das Fahrrad zu benutzen, spielen auch situative Faktoren wie folgende Fragen eine Rolle: „Wie ist das Wetter? Habe ich einen Muskelkater? Muss ich an diesem Tag die Einkäufe transportieren?…“ (Barth 2021, S. 348).
Es handelt sich hierbei um eine klassische Intentions-Verhaltens-Lücke. So wird im vorliegenden Fall die Kluft zwischen umweltbezogenem Wissen bzw. umweltbezogener Einstellung und klimabelastendem Verhalten bezeichnet. Wie diese Lücke bzw. Kluft zu erklären ist, ist die am häufigsten in Richtung Umweltpsychologie gestellte Frage (Hunecke 2022, S. 11). Werfen wir also einen Blick darauf, wie Menschen dazu kommen, bestimmte Verhaltensweisen zu zeigen.
Einer der bekanntesten handlungspsychologischen Ansätze zur Erklärung und Vorhersage menschlichen Verhaltens ist die Theory of Planned Behavior (TPB), die Theorie des geplanten Verhaltens (Barth 2021, S. 347). Sie geht davon aus, dass die Ausführung eines Verhaltens umso wahrscheinlicher wird, je größer die subjektive Überzeugung ist, das Verhalten kontrollieren zu können. Dabei spielt unter anderem eine Rolle, ob genügend Fähigkeiten, Fertigkeiten und Ressourcen verfügbar sind, um das Verhalten zu realisieren (Six 2019). Auf die Ressourcen als „Hoffnungsträger“ wird später in diesem Artikel noch im Detail eingegangen.
Kognitive Dissonanz
Wie die Zahlen zu Beginn dieses Artikels bestätigen, nehmen wir die Bedrohlichkeit der Klimakrise also durchaus wahr. Mit Blick auf unseren eigenen Lebensstil erleben wir jedoch oft eine starke Widersprüchlichkeit unserer Kognitionen, gefolgt von unangenehmen Gefühlen. Dieses Phänomen nennt sich Kognitive Dissonanz (Dohm 2020, S. 103). Die Annahme, dass Kognitionen und Verhaltensweisen, die nicht zueinander passen, einen unangenehmen motivationalen Zustand (Dissonanz) und eine gewisse Spannung hervorrufen, bildet den Kern der Dissonanztheorie (kognitive Dissonanz im Dorsch Lexikon der Psychologie 2021).
Die Umfrageergebnisse zum Handlungsbedarf beim Klimaschutz veranschaulichen in Widerspruch zueinanderstehende Gedanken wie: a) „Die Klimakrise ist bedrohlich“ und b) „Ich fahre gerne Auto“. Um die mit dieser Dissonanz verbundenen unangenehmen Gefühle zu verringern, ist eine Verhaltensänderung in Richtung mehr Nachhaltigkeit leider nicht der einzig mögliche Weg. Die Stimuluskontrolle kann alternativ durch Gedanken erfolgen wie: „Ich meide lieber das Verfolgen der Nachrichten“ oder das Hinzufügen weiterer Kognitionen, die das eigene Verhalten rechtfertigen wie: „Die Nachbarn fliegen noch häufiger in den Urlaub als ich“ (Dohm 2020, S. 103).
Personen sind demzufolge bestrebt, Widersprüche und damit verbundene Spannungen aufzuheben und verwenden dafür unterschiedliche Strategien: Verhaltensänderungen, Einstellungsänderungen oder das Hinzufügen von Kognitionen (kognitive Dissonanz im Dorsch Lexikon der Psychologie 2021).
Zu einer Lösung in der Frage der Klimakrise kann es aus psychologischer Sicht jedoch nur dann kommen, wenn sich so viele Menschen wie möglich darum bemühen, die Spannungen der kognitiven Dissonanz durch Verhaltensänderungen aufzulösen. Wie ist dieses Ziel erreichbar?
Lösungsansatz für nachhaltige Lebensstile
Wie bereits erwähnt, spielen die Ressourcen eine entscheidende Rolle dahingehend, ob ein Verhalten tatsächlich realisiert wird oder nicht. Hunecke (2022) schreibt in diesem Zusammenhang den sechs psychischen Ressourcen Achtsamkeit, Genussfähigkeit, Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Sinnkonstruktion und Solidarität eine wesentliche Bedeutung zu. Er geht davon aus, dass diese Ressourcen das psychologische Wohlbefinden steigern und sichern und gleichzeitig nachhaltiges Verhalten fördern (S. 21).
Die Abbildung unten stellt die Strategien der glücklichen Lebensführung im Kontext nachhaltiger Lebensstile dar. Der äußerste Kreis veranschaulicht die zwei grundlegenden Strategien der glücklichen Lebensführung „Hedonismus“ und „Eudämonismus“, die durch die beidseitige Zielregulation zusammenwirken. Der zweite Kreis zeigt die positiven Emotionen, die in den jeweiligen Strategiebereichen wahrgenommen werden bzw. wirken (z. B.: Sinnliche Genüsse, Stolz, Gelassenheit). Im dritten Kreis befinden sich die psychischen Ressourcen (z. B.: Genussfähigkeit, Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit), die durch das Erleben der zugehörigen positiven Emotionen ihre jeweilige psychologische Funktion für die Nachhaltigkeit erfüllen, die im innersten Kreis beschrieben ist (z. B.: Orientierung an Erlebnisqualität statt -quantität).
Die Tabelle zeigt nun am Beispiel des Autofahrens noch konkreter, welche Funktionen für Nachhaltigkeit die sechs psychischen Ressourcen erfüllen können.
Bei der Förderung nachhaltiger Lebensstile soll es darum gehen, möglichst viele dieser sechs Ressourcen zur Verstärkung der Einzeleffekte zu aktivieren. Auch mögliche negative Effekte einzelner Ressourcen werden dadurch ausbalanciert (z. B. könnte sonst eine isolierte Förderung der Genussfähigkeit eine materialistische Haltung fördern). In ihrer Netzwerkdynamik können die sechs psychischen Ressourcen einerseits die Motivation für nachhaltiges Verhalten über Werte- und Zielklärung erhöhen, und andererseits kann ihr Zusammenwirken die Form einer Aufwärtsspirale annehmen, wenn sich die Ressourcen wechselseitig verstärken (Hunecke 2022, S. 24–25).
Aber wie können diese Ressourcen aktiviert werden? Eine Person durchläuft von der ersten Bereitschaft für ein Umdenken bis hin zur Gestaltung des Alltags im Sinne einer lebenswerten Zukunft vier Phasen: In der Entscheidungsphase wird ihr bewusst, dass die negativen Konsequenzen gegenüber den positiven bei den aktuell ausgeführten Handlungen überwiegen. In der Nachdenkphase steigert sich die positive Einstellung gegenüber neuem, umweltschonendem Verhalten. In der Umsetzungsphase werden Pläne für die Umsetzung zukunftsfreundlicher Handlungen geschmiedet, und in der Verfestigungsphase wird aus einem Einmalverhalten eine Gewohnheit (Uhl-Hädicke 2022, S. 153). Machen wir es doch einfach!
Fazit
Umfragen zeigen, dass eine starke Diskrepanz zwischen der Einstellung zur Klimakrise und klimaschützendem Verhalten vorliegt. Zurückzuführen ist das auf die Intentions-Verhaltens-Lücke, die sich u. a. durch die Theory of Planned Behaviour erklären lässt. Sie besagt, dass Verhalten am ehesten dann gezeigt wird, wenn genügend Fähigkeiten, Fertigkeiten und Ressourcen dafür verfügbar sind. Die kognitive Dissonanz, also die Widersprüchlichkeit zwischen unseren Kognitionen und unserem Verhalten, lässt sich laut Hunnecke durch die Aktivierung von sechs psychischen Ressourcen für nachhaltige Lebensstile reduzieren. Möglichst viele der Ressourcen Achtsamkeit, Genussfähigkeit, Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Sinnkonstruktion und Solidarität sollten gleichzeitig zur Verstärkung der Einzeleffekte aktiviert werden, um positive Verhaltensänderungen in der Frage des Klimaschutzes auszulösen. Die Aktivierung dieser Ressourcen durch ein Umdenken in Richtung klimaschützender Alltagsgestaltung erfolgt in vier Phasen (Entscheidungs-, Nachdenk-, Umsetzungs- und Verfestigungsphase).
Literatur:
Barth, Markus (2021): Climate action – Psychologie der Klimakrise. Handlungshemmnisse und Handlungsmöglichkeiten. Unter Mitarbeit von Jai Wanigesinghe. Originalausgabe. Gießen: Psychosozial-Verlag (Forum Psychosozial). Online verfügbar unter https://livivo.idm.oclc.org/login?url=https://ebookcentral.proquest.com/lib/zbmed-ebooks/detail.action?docID=6688854.
Dohm, Lea (2020): Klimakrise und Klimaresilienz: Die Verantwortung der Psychotherapie. In: PS 43, S. 114. DOI: 10.30820/0171-3434-2020-3-99.
Hunecke, Marcel (2022): Psychologie und Klimakrise. Psychologische Erkenntnisse zum klimabezogenen Verhalten und Erleben. 1st ed. 2022. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; Springer (essentials).
kognitive Dissonanz im Dorsch Lexikon der Psychologie (2021). Online verfügbar unter https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/kognitive-dissonanz.
Six, Bernd (2019): Theorie des geplanten Verhaltens im Dorsch Lexikon der Psychologie. Online verfügbar unter https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/theorie-des-geplanten-verhaltens.
Statista Research Department (Hg.) (2022a): Persönliche Einstellung zum Klimawandel und der Erderwärmung in Österreich 2022. Online verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1308867/umfrage/persoenliche-einstellung-zum-klimawandel-und-der-erderwaermung-in-oesterreich/.
Statista Research Department (Hg.) (2022b): Umfrage zum Handlungsbedarf beim Klimaschutz 2022. Statista GmbH.
Uhl-Hädicke, Isabella (2022): Warum machen wir es nicht einfach? : die Psychologie der Klimakrise. Unter Mitarbeit von Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria GmbH & Co. KG. Wien Graz, © 2022: Molden. Online verfügbar unter https://ubdata.univie.ac.at/AC16413373.
Wien Energie (Hg.) (2022): Private Maßnahmen zum Klimaschutz. Universität Klagenfurt. Online verfügbar unter https://positionen.wienenergie.at/grafiken/private-massnehmen-im-klimaschutz/.
Bildquelle:
Adobe Stock, #170540792, Traveler with backpack waiting for a train at train station. Travel and vacation concept. Von structuresxx