Während die Pathogenese als die Bildung und Entwicklung einer Krankheit definiert wird,[1] hinterfragt die Salutogenese, wie es möglich ist, dass Individuen ungeachtet vielfältiger Stressoren und Spannungen ihre Gesundheit aufrechterhalten können und mit Hilfe welcher Methoden sie Spannungszustände bewältigen, ohne dabei zu erkranken.[2]
Aaron Antonovsky, von Beruf Medizinsoziologe, formulierte das Konzept der Salutogenese als Alternative zur herkömmlichen pathogenetischen Sichtweise und mit der Intention, Gesundheitserhalt und Prävention gegenüber der Krankheitsentstehung zu bevorzugen.[3]
Entstehung der Salutogenese
Ausschlaggebender Grund für seine Forschungen waren die Resultate einer in den 60er und 70er Jahren durchgeführten Studie an Frauen unterschiedlicher ethnischer Herkunft bezüglich der Effekte des Klimakteriums. Von den in Europa geborenen Frauen waren einige in Konzentrationslagern inhaftiert gewesen. Überraschenderweise konnte eine kleine Gruppe der ehemals inhaftierten Frauen trotz der traumatisierenden Erlebnisse eine ziemliche gute psychische Verfassung vorweisen. Basierend auf diesen Ergebnissen wurde die Frage aufgebracht, wie das Führen eines akzeptablen Lebens nach dem durchleben eines Traumas möglich ist und somit der Fokus auf individuell vorhandene Ressourcen und Bewältigungsstrategien gelegt, welche einen grundlegenden Teil des Konzepts der Salutogenese darstellen.[4]
Ein Konzept mit Potenzialen?
„Warum bleiben Menschen – trotz vieler potentiell gesundheitsgefährdender Einflüsse – gesund? Wie schaffen sie es, sich von Erkrankungen wieder zu erholen? Was ist das Besondere an Menschen, die trotz extremster Belastungen nicht krank werden?“[5]
Diese Fragen bilden für Antonovsky den Ausgangspunkt seiner Forschungsarbeiten und verdeutlichen, dass die Salutogenese über die einfache Darstellung der Kehrseite des pathogenetischen Blickwinkels hinausgeht. Anstelle lediglich auf den Erhalt und die Beibehaltung von Gesundheit abzuzielen, kann bildlich betrachtet von einer Skala gesprochen werden, die die Individuen als mehr oder minder gesund und zugleich mehr oder minder krank darstellt.[6]
Kernelemente der Salutogenese und deren Interaktion
Um nun zu verstehen, wie man nach Antonovsky gesund wird und bleibt, müssen zunächst einige Elemente vorgestellt werden, damit die Funktionsweise des Konstrukts verstanden werden kann.
Substanz des Modells ist das sogenannte Kohärenzgefühl, das „eine globale Orientierung [beschreibt], die ausdrückt, in welchem Maße man ein durchgehendes, überdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl der Zuversicht hat“.[7]
Dieses Kohärenzgefühl setzt sich zusammen aus drei Bestandteilen.
Dem Gefühl der Verstehbarkeit, das sich darauf bezieht, den Umweltzustand als verständlich und strukturiert wahrzunehmen. Dem Gefühl der Bewältigbarkeit, welches die subjektive Handhabbarkeit, auftretende Forderungen zu bewerkstelligen, meint und dem Gefühl der Sinnhaftigkeit, das darstellt, inwiefern der Mensch das Leben und dessen Umstände als sinnig und relevant auffasst.[8]
Des Weiteren nennt Antonovsky im Zusammenhang zum Modell der Salutogenese generalisierte Widerstandsressourcen, welche er als Faktoren, die mit dem Zustand der Gesundheit korrelieren, beschreibt und teilt ihnen zwei Funktionen zu. Einerseits gestalten sie die Lebenserfahrungen mit und gewähren uns andererseits mit Hilfe dieser Lebenserfahrungen, das Kohärenzgefühl zu prägen.[9]
Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum stellt eine Art Bewertungsskala dar, mit der das Modell der Salutogenese Individuen nach ihrem gesundheitlichen Zustand einteilt. Dabei wird von einer absoluten, dichotomen Aufteilung in krank oder gesund abgesehen.[10]
Wie bereits angedeutet, stellt ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl den Hauptfaktor gesundheitsfördernder Prozesse dar und wird durch bestimmte Lebenserfahrungen, die wiederum durch generalisierte Widerstandsressourcen ermöglicht werden, geformt.
Da die Möglichkeit der Mobilisierung der Widerstandsressourcen umgekehrt von der Ausgeprägtheit des Kohärenzgefühls abhängt, besteht hier eine Rückbezüglichkeit. Das Kohärenzgefühl ist von den Widerstandsressourcen abhängig und beeinflusst diese zugleich.
Entsteht nun ein Spannungszustand, ausgelöst durch potentielle Stressoren, nehmen die verfügbaren Widerstandsressourcen Einfluss auf Interaktionen mit dem jeweiligen Spannungszustand. Gelingt es, den Stress zu reduzieren, hat dies positive Auswirkungen auf das Kohärenzgefühl, wodurch ein Kreislauf losbricht.
Die gelungene Stressreduktion führt zu einer positiven Lokalität auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum, welche wiederum den Erhalt weiterer Widerstandsressourcen fördert.[11]
Beispiel
Aufgrund dieser komplexen Zusammenhänge innerhalb des Konstrukts, wird nun eine simple, fiktive Situation herangezogen, mit deren Hilfe das Modell verständlicher werden soll.
Es handelt sich um einen Studenten, der sich in der Klausurphase befindet.
Durch ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl, Lebenserfahrungen und starke Widerstandsressourcen, wie beispielsweise psychische Belastbarkeit und Intelligenz kann diese Person ihr Kohärenzgefühl durch die Rückbezüglichkeit zwischen Kohärenz und Widerstandsressourcen weiter aufbauen. Der Umgang mit auftretenden Spannungszuständen, wie den anstehenden Klausuren, wird durch die vorhandenen generalisierten Widerstandsressourcen modifiziert, was zur Stressreduktion führt. Durch die erfolgreiche Handhabung der Klausuren wird erneut das Kohärenzgefühl des Studenten gestärkt, wodurch ein noch besserer Umgang mit anstehenden Spannungszuständen gefördert wird. Zudem optimiert sich der gesundheitliche Zustand des Studenten, da die Position auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum verbessert wird.
Fazit
Als Gegenstück zur Pathogenese bietet sich die Salutogenese hervorragend als Ergänzung zu dieser an. Insbesondere in Sachen Gesundheitsförderung und Prävention hat das Konzept Potenziale, da eine Sensibilisierung der Allgemeinheit für Themen wie Widerstandsressourcen oder das Kohärenzgefühl langfristig positive Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung haben könnte.
Jedoch bedarf das Konzept weiterer Forschung, um sich so dem konkreten Nutzen der Salutogenese bewusst zu werden.