„Selbstmitgefühl bedeutet einfach, dass wir uns selbst die gleiche Freundlichkeit entgegenbringen, die wir auch anderen entgegenbringen würden.“
Christopher Germer
Oder auch uns selbst das zu schenken, was wir sonst durch andere Menschen, und ihr Verhalten uns gegenüber, erwarten.
Wie Selbstmitgefühl mit Gesundheit zusammenhängt
Die Fähigkeit mitfühlend mit uns selbst umzugehen, beeinflusst unsere Stimmung, unser Verhalten, unsere Gedanken, sowie auch unsere Gesundheit. Gehen wir ohne Mitgefühl und Geduld mit uns selbst um oder gehen wir zu streng mit uns ins Gericht, wenn wir einen Fehler machen oder bei der ein oder anderen Sache falsch liegen, dann bringt das Selbsthass, Selbstverurteilung sowie auch Stress mit sich, da Selbstverurteilung unmittelbar mit Unzufriedenheit und Erwartungsdruck zusammenhängt. Wird ein liebevoller, geduldiger und auch mitfühlender Umgang mit allen menschlichen Facetten erlernt, dann kann Stress vermindert und somit die mentale sowie körperliche Gesundheit unterstützt werden.
Selbsthass und Selbstverurteilung beeinflussen Gedanken, Gefühlslage und Verhalten:
Negativbeispiel zur Selbst-Überprüfung:
- Wie gehen wir mit uns selbst um, wenn wir einen Fehler gemacht haben?
- Wie denken wir über uns selbst, wenn wir falsch liegen?
- Wie sprechen wir mit oder über uns selbst, wenn wir nicht zufrieden mit uns, unseren Leistungen oder unserem Erscheinungsbild sind?
Fehler zu machen, falsch zu liegen und Unzufriedenheit bringen Selbstzweifel oder den Gedanken nicht zu genügen, mit sich. Selbstzweifel führen oftmals zu selbstsabotierendem Verhalten und Prokrastination wichtiger Aufgaben. Gedanken und Überzeugungen, wie „ich bin nicht gut genug, so wie ich bin“, betreffen unmittelbar auch unser Selbstwertempfinden.
Diese Glaubenssätze und Überzeugungen über die eigene Person und Identität, beeinflussen die Selbstbewertung der betroffenen Person. Und die Bewertung, die wir uns selbst entsprechend zuschreiben, hat entscheidende Konsequenzen für Wohlbefinden, psychische Gesundheit und Lebensgestaltung.[1] Selbstmitgefühl vermindert mögliche und voreingenommene negative Urteile, die wir über uns selbst treffen.
Bei einer Umfrage von Appinio zum Thema psychische Gesundheit im Jahr 2021 (siehe Abbildung weiter unten), gaben 65,5 Prozent der Befragten an, dass sie manchmal bis sehr häufig ein geringes Selbstwertgefühl empfinden.[2] Dieselbe Anzahl der Befragten, empfindet ein verzerrtes und negatives Selbstbild sowie Einsamkeit. All diese, in der Umfrage als „negative Emotionen“ bezeichnete Eigenschaften und Gefühle, sind unmittelbar mit dem eigenen Selbstwertempfinden verknüpft und können durch Selbstmitgefühl und einem liebevollen und empathischen Umgang mit sich selbst, gemindert oder gesteigert werden. Ein geringes Selbstwertgefühl lässt sich steigern, indem beispielsweise das Bewusstsein entsteht, dass der eigene Wert nicht durch Leistungen, Erscheinungsbild oder durch unerfüllte Erwartungen gemindert oder beeinflusst wird.
Empfinden wir uns als nicht wertvoll genug, entwickeln wir das Bedürfnis perfekte Leistungen zu erbringen, um uns selbst wertvoll zu fühlen und uns in unserem Umfeld so darzustellen als wären wir perfekt, womit wir uns selbst nicht nur einem großen Maß an Druck oder Erwartungen von außen aussetzen, sondern auch übermäßigem Stress und damit einhergehenden gesundheitlichen Leiden, wie Burnout, sozialem Stress, Schlafproblemen, Depressionen, Ängsten sowie Panikattaken. Bezüglich depressiver Störungen stellt der verminderte Selbstwert sogar ein Diagnosekriterium entsprechend der ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen[3] und dem Diagnostic and statistical manual of mental disorders, kurz DSM-5[4], dar.[5]
Integrationsbeispiele: Achtsames Selbstmitgefühl
Grundsätzlich kann Selbstmitgefühl mithilfe von verschiedenen Praktiken und Verhaltensweisen oder auch Gedanken im Alltag gefördert und praktiziert werden.
Im Folgenden Abschnitt sind 6 Integrationsbeispiele, die umgesetzt werden können:
Geduld üben und Leistungsdruck loslassen
Geduld geht Hand in Hand mit Gelassenheit. Dabei spielt es keine Rolle, ob gute oder schlechte Leistungen erbracht werden, ob Fehler gemacht werden. Wird der Drang gute Leistungen zu erbringen oder fehlerfrei zu sein, durch Selbstmitgefühl und Geduld gemindert, dann verringert sich dadurch auch der Leistungsdruck.
Gefühle und Emotionen ausdrücken
Hierbei geht es nicht um positive Gefühle, wie Freude, Glück etc., sondern hauptsächlich die als unangenehm empfundenen und negativ bewerteten Gefühle, wie Trauer, Einsamkeit, Eifersucht etc.. Letztere werden oft auch als Anzeichen für Schwäche wahrgenommen und werden aus diesem Druck oftmals ignoriert, unterdrückt, verdrängt oder nicht zugelassen. Hiermit gilt es in diesem Integrationsbeispiel, zu lernen AUCH diese Gefühle zuzulassen, anzuerkennen und ernst zu nehmen, denn Gefühle sind Signale, mithilfe dieser, unser Körper uns wichtige Informationen, wie z.B. unerfüllte Bedürfnisse oder Unwohlsein mitteilt.
Perfektionismus und Erwartungsdruck in dich ablegen
Ähnlich wie beim Leistungsdruck, ist perfektionistisches Verhalten für die mentale und auch körperliche Gesundheit sehr belastend, denn es geht mit Stress einher, den wir uns selbst machen. Perfekte Leistungen sind unmöglich, da für jeden dieser Begriff unterschiedlich aufgefasst und bewertet werden kann. Somit mündet Perfektionismus meist in Frust, Unzufriedenheit, Selbstsabotage und Konflikten, da das Bedürfnis alles perfekt zu machen, auch auf andere Menschen und ihre Leistungen projiziert wird. Perfektionsstreben ist eine Form des Kontrolllebens, also dem Versuch alles unter Kontrolle zu haben. Dadurch neigen perfektionistische Menschen dazu, sich sinnlos zu verausgaben, denn aus der Angst heraus die Kontrolle zu verlieren, fällt es ihnen schwer um Hilfe zu bitten und oder sich Probleme und Schwierigkeiten einzugestehen. Stress entsteht also genau dann, wenn einer, zu Perfektionismus neigenden, Person klar wird, dass sie die von sich selbst erwarteten, „perfekten“ Leistungen nicht erbringen und nicht alles „Fehler- und problemfrei“ und unter Kontrolle haben kann.[6]
Vergebung dir und anderen
Wie oft denken wir an vergangene Fehler, die wir gemacht haben und bereuen diese lediglich. Wir verurteilen uns und sprechen mit uns selbst abwertend, weil wir in der Vergangenheit nicht richtig gehandelt haben? Genau hierbei wird Selbstvergebung essenziell. Der erste Schritt, um vergangene Fehler loszulassen, ist zu erkennen, dass diese in der Vergangenheit liegen, nicht mehr änderbar sind und dass es zu keinem anderen Ergebnis führt, wenn der Innere Dialog einer Hasstirade ähnelt. Selbstvergebung ist eine liebevolle Form des Selbstmitgefühls.
Dir selbst Vertrauen schenken
An die eigenen Ziele und Träume zu glauben, bedeutet auch, den eigenen Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen zu vertrauen, die zu diesen Zielen und der Verwirklichung der Träume führen können. Bringen wir uns selbst Vertrauen entgegen, dann fällt es uns auch leichter geduldig zu sein und ggf. Erwartungsdruck zu lösen.
Dich selbst loben und stolz auf dich sein
Weiter oben wurde kurz angebrochen, wie häufig vergangene Fehler immer wieder zu gegenwärtigem Stress und Unzufriedenheit führen. Vergangene Erfolge hingegen, werden oftmals unter den Teppich gekehrt, vergessen oder sogar mit Absicht unterschätzt, um durch die Gesellschaft nicht als überheblich, selbstgerecht, eitel oder hochmütig wahrgenommen oder betitelt zu werden. Ganz nach dem Motto „Selbstlob stinkt!“ Dabei führt ein Bewusstsein über gute Leistungen und Erfolge, zu Zufriedenheit.
Fazit
Selbstmitgefühl fördert unsere Gesundheit. In unterschiedlichstem Kontext wurde schon des Öfteren behauptet, das Heilung in vielerlei Hinsicht auch Einstellungsssache ist. Die Einstellung einer erkrankten Person, auch die Einstellung sich selbst gegenüber in Bezug auf eigene Schwächen, Fehler, ist von zentraler Bedeutung. Hierbei wird auch unterschieden ob eine Person eher zu Selbstkritik, Selbstverurteilung und Verleugnung und Unterdrückung der eigenen Gefühle neigt oder zu Selbstakzeptanz, Selbstannahme, Mitgefühl und einem achtsamen Umgang mit den eigenen negativen Gedanken und Gefühlen greift. Auch laut aktuellen Studien wurde erkannt, dass Selbstmitgefühl als Schlüssel ganz besonders für geistige Gesundheit gesehen wird.[7]
Laut Van den Brink und Koster im Jahr 2012, ist Mitgefühl: „[…] die Fähigkeit, Schmerz und Leid bei sich selbst und anderen zu empfinden. Es ist gepaart mit dem Wunsch, Schmerz und Leid zu lindern, und mit der Bereitschaft, dafür Verantwortung zu übernehmen. Es ist eine allgemein menschliche Eigenschaft, die in jedem Menschen veranlagt, aber oft aus verschiedenen Gründen nicht zur Blüte gekommen ist. Glücklicherweise kann man Mitgefühl durch bewusste Auseinandersetzung bzw. Üben entwickeln.“[8]
Alle in diesem Beitrag genannten Integrationsbeispiele führen zu Zufriedenheit und fördern somit auch die Gesundheit, da sie alle eng verknüpft mit der Fähigkeit des Selbstmitgefühls im eigenen Leben und. Bei sich selbst umgesetzt werden. Also schadet es nicht sich selbst Geduld und Mitgefühl entgegenzubringen und dem stimme ich aus eigener Erfahrung zu. Selbstmitgefühl macht zufrieden und Zufriedenheit macht glücklich UND fördert sowohl die körperliche als auch unsere mentale und seelische Gesundheit.
Also kann jeder und jede selbst, schon allein durch den liebevollen, geduldigen und mitfühlenden Umgang mit sich selbst, die eigene Gesundheit fördern und unterstützen.
[1] Vgl. Hanning, S., Chmielewski (2020)
[2] Vgl. Appinio (2021)
[3] Dilling H, Freyberger HJ (2012)
[4] American Psychiatric Association (2013)
[5] Hanning, S., Chmielewski (2020)
[6] Vgl. Stahl, S. (2015)
[7] Vgl. Fahlböck C. A. (2021)
[8] van den Brink, E. & Koster, F. (2012)
Literatur
Quellen:
American Psychiatric Association (2013) Diagnostic and statistical manual of mental disorders: DSM-5. American Psychiatric Association, Washington DC
Appinio (2021) Wie häufig empfindest du die folgenden Emotionen? Statista GmbH. Abgerufen am 27.04.2022, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1296214/umfrage/umfrage-empfindung-negativer-emotionen/
Dilling H, Freyberger HJ (2012) Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. Huber, Bern
Fahlböck C. A. (2021) Self-Compassion – emotionales Coping bei chronischen Erkrankungen, Springer, Wiesbaden
Hanning, S., Chmielewski (2020) F. Selbstwerttherapie. Psychotherapeut 65, 405–422.
Stahl, S. (2015) Das Kind in dir muss Heimat finden, 18. Auflage, Kailash Verlag, München
Van den Brink, E. & Koster, F. (2012). Minfulness-Based Compassionate Living: A New Training Programme to Deepen Mindfulness with Heartfulness. London: Routledge.
Bildquellen:
Abbildung 1: Pixabay.com, https://pixabay.com/de/photos/f%c3%bcr-ein-blume-natur-portr%c3%a4t-frau-3817619/, abgerufen am 23.03.2022
Abbildung 2: Appinio (2021) Wie häufig empfindest du die folgenden Emotionen? Statista GmbH. Abgerufen am 27.04.2022, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1296214/umfrage/umfrage-empfindung-negativer-emotionen/
Abbildung 3: Pixabay.com, https://pixabay.com/de/photos/frau-portr%c3%a4t-modell-frisur-837156/, abgerufen am 24.03.2022