Egal ob mit dem Wingsuit von einem Berghang zu springen oder mit dem Surfboard die immer größere Welle zu suchen, die Auswahl an Extremsportarten wird immer größer. Für einige Menschen gibt es nichts Schöneres als immer wieder einen neuen, stärkeren Adrenalinkick zu erleben. Aus psychologischer Sicht gelten diese Menschen, die am besten jeden Tag Neues ausprobieren wollen, Abwechslung und Herausforderungen suchen sowie geradezu körperlich leiden, wenn einmal nichts passiert, als Sensation Seekers (Schaub, 2015). Das Sensation Seeking gilt als ein von Mensch zu Mensch unterschiedlich stark ausgeprägtes Persönlichkeitsmerkmal, bei dem es darum geht sich, an die eigenen Grenzen zu bringen und diese zu überwinden, um sich aufgeputscht und lebendig zu fühlen (Resetz, 2014).
Sensation Seeking als Persönlichkeitskonstrukt
Das Konstrukt des Sensation Seekings geht zurück auf den amerikanischen Psychologen Marvin Zuckerman, der sich in den 1960er Jahren mit der Erforschung der interindividuellen Unterschiede in Reaktion auf sensorische Deprivation beschäftigte und dabei feststellte, dass jedes Individuum unterschiedlich stark nach Stimulationen sucht, um sich wohl zu fühlen (Raab, Unger & Unger, 2010, S.156). Zuckerman beschreibt Sensation Seeking dabei als zeitlich stabiles Merkmal, welches mit der Tendenz einhergeht, intensive Erfahrungen zu suchen, sowie die Bereitschaft hohe Risiken dabei einzugehen (Heck, 2018, S.36). Obwohl bei Zuckermans Forschungen zunächst die Stimulation im Vordergrund lag, wurde das Konstrukt Sensation Seeking genannt, da es die Effekte von Stimulationen (sensations) sind, die den positiven Verstärkungswert für die Menschen haben, und da dieser Verstärkungswert zu einem großen Teil von der Ungewöhnlichkeit, Komplexität oder Neuheit der Stimulation abhängt (Stemmler, Hagemann, Amelang & Spinath, 2016, S.352-353). Menschen mit einer hohen Ausprägung des Persönlichkeitsmerkmals werden High Sensation Seeker und Menschen mit geringer Ausprägung Low Sensation Seeker genannt, wobei Männer durchschnittlich höhere Werte aufzeigen als Frauen (Heck, 2018, S.36). Auch konnten Studien zeigen, dass die Ausprägung des Merkmales mit zunehmendem Alter abnimmt und während des Teenageralters zwischen 14-19 Jahren seinen Höhepunkt hat (Herzberg & Roth, 2014, S.15). Der High Sensation Seeker zeichnet sich dadurch aus, dass er eine schnelle Habituationsrate besitzt und auf wiederholte Stimuli oder Erfahrungen schnell gelangweilt reagiert, während Low Sensation Seeker eine routinierte und reizarme Lebensführung bevorzugen, da sie sich mit dieser wohl fühlen (Reeh, 2005, S.68-69). Die Ursachen für das Verhalten der Sensation Seeker sind vielfältig und noch nicht abschließend geklärt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass High Sensation Seeker auf Grund genetischer Dispositionen entweder eine zu geringe Konzentration des Neurotransmitters Noradrenalin im limbischen System aufweisen oder ihr noradrenerges System unempfindlicher gegenüber Stimulation ist, weshalb sie durch Stimulation versuchen, den Noradrenalin-Spiegel zu erhöhen (Raab, Unger & Unger, 2010, S.156). Die Stimulationssuche der High Sensation Seeker kann sich zum einen in produktiven oder gesellschaftlich anerkannten Aktivitäten, wie dem Ausüben von Extremsportarten, kanalisieren, aber auch mit negativ konnotierten Verhaltensweisen einhergehen, wie Drogenkonsum oder Kriminalität (Heck, 2018, S.37). Auch kann sich das Sensation Seeking im Straßenverkehr durch eine riskante und aggressive Fahrweise, insbesondere bei Fahranfängern, äußern (Petermann & Koglin, 2013, S.108). Zudem hat eine starke Ausprägung des Persönlichkeitsmerkmals auch einen Einfluss auf die Berufswahl. So konnte eine Studie feststellen, dass sich unter Mitarbeitern von Rettungsdiensten und Feuerwehren eine höhere Anzahl von Sensation Seekern finden lässt als bei der Kontrollgruppe (vgl. Tschiesner, 2012, S.33).
Messung von Sensation Seeking
Zur Messung des Konstrukts entwickelte Marvin Zuckerman eine inzwischen mehrmals weiterentwickelte Sensation Seeking Scale bei welcher sich auf Grund von Faktorenanalysen vier Unterkategorien identifizieren ließen (Raab, Unger & Unger, 2010, S.156).
- Thrill and Adventure Seeking: Dieser Faktor beschreibt den Wunsch eines Individuums, Spannung und Abenteuer durch aufregende Aktivitäten oder schnelles Fahren zu erleben (Stemmler et al., 2016, S.353).
- Experience Seeking: Das Verlangen neue Erfahrungen zu sammeln bzw. Eindrücke zu gewinnen, was durch Reisen oder dem Umgang mit sozial auffälligen oder randständigen Gruppen erreicht werden kann (Raab, Unger & Unger, 2010, S.156).
- Disinhibition: Dieser Faktor beschreibt die Suche nach Stimulation durch soziale Aktivitäten wie Partys, soziales Trinken bis zur Enthemmung oder sexuelle Kontakte (End, 2010, S.5).
- Boredom Suceptibility: Intoleranz gegenüber sich wiederholenden Erfahrungen, wie z.B. Routinearbeiten oder langweilige Menschen, wobei sich die Anfälligkeit für Langeweile Abneigung monotoner Situationen sowie Ruhelosigkeit in diesen ausdrückt (Stemmler et al., 2016, S.353).
Diskussion
Bei High Sensation Seekern werden in Gefahrensituationen kaum Stresshormone ausgeschüttet, weshalb es ihnen möglich ist, den dreifachen Salto mit dem Motorrad zu fahren oder die immer noch steilere Felswand zu erklimmen. Jedoch muss nicht jeder High Sensation Seeker solch ein riskantes Verhalten an den Tag legen, sondern auch nur viel reisen oder exzessiv feiern, weshalb es sich bei diesen Menschen auch keinesfalls um Patienten handelt, die geheilt werden müssen (Biermann & Kreitling, 2014). Zudem kann eine starke Ausprägung des Persönlichkeitsmerkmals auch gesellschaftlich positive Auswirkungen haben, da High Sensation Seeker oft in gefährlichen Berufen wie bei der Polizei oder Feuerwehr arbeiten, die von Low Sensation Seekern weniger häufig ausgeübt werden.
Literatur
Biermann, T., & Kreitling, H. (2014). Höher, weiter, extremer! Jammern ist für Kinder. Welt Online. Verfügbar unter: https://www.welt.de/sport/article123538372/Hoeher-weiter-extremer-Jammern-ist-fuer-Kinder.html Zugriff am 27.11.2020
End, R. (2010). Sensation Seeking, Risikobereitschaft und Risikowahrnehmung–Eine behaviorale und psychometrische Untersuchung. Diplomarbeit. Graz: Universität Graz.
Heck, R. B. (2018). Selbstkontrolle und Sensation Seeking: Protektive Faktoren in Stresssituationen? Dissertation. Heidelberg: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
Herzberg, P., & Roth, M. (2014). Persönlichkeitspsychologie. Basiswissen Psychologie. Springer VS, Wiesbaden.
Petermann, F., & Koglin, U. (2013) Aggression und Gewalt von Kindern und Jugendlichen. Springer, Berlin, Heidelberg.
Raab, G., Unger, A., & Unger, F. (2010). Marktpsychologie. Gabler.
Reeh, T. (2005). Der Wunsch nach Urlaubsreisen in Abhängigkeit von Lebenszufriedenheit und Sensation Seeking. Dissertation. Göttingen: Georg-August-Universität Göttingen.
Resetz, B. (2014). Reiz des Todes: Wingsuit-Piloten in Schweizer Alpen abgestürzt. Badische Zeitung Online. Verfügbar unter: https://www.badische-zeitung.de/reiz-des-todes-wingsuit-piloten-in-schweizer-alpen-abgestuerzt–83363441.html Zugriff am 27.11.2020
Schaub, S. (2015). «Sensation Seekers» sind stets auf dem Sprung zum neuen Kick. Aargauer Zeitung Online. Verfügbar unter: https://www.aargauerzeitung.ch/leben/leben/sensation-seekers-sind-stets-auf-dem-sprung-zum-neuen-kick-129178579 Zugriff am 27.11.2020
Stemmler, G., Hagemann, D., Amelang, M., & Spinath, F. (2016). Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung. Kohlhammer Verlag.
Tschiesner, R. (2012). Sensation seeking, Traumaerleben und Bewältigungsstrategien: eine empirische Untersuchung an Einsatzkräften. neuropsychiatrie, 26(1), S.28-34
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