Egal ob TikTok, Youtube oder Instagram: Auf jeglichen sozialen Plattformen finden sich immer mehr Familien, die ihren Alltag auf Social Media mit einem Millionenpublikum teilen. In den letzten Jahren hat auch das sogenannte Sharenting von Familien mit Kindern mit Behinderungen zugenommen. Viele Eltern teilen das Leben ihrer Kinder in sozialen Medien, um ihre Erfahrungen, Herausforderungen und Erfolge zu dokumentieren. Doch während einige dies als wichtige Form der Aufklärung und Unterstützung betrachten, gibt es auch Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre und des Rechts der Kinder, selbst zu entscheiden, wie und ob sie in der Öffentlichkeit dargestellt werden.
Beweggründe der Eltern
Ein zentrales Motiv dafür, dass Eltern das Leben mit einem Kind mit Behinderung online teilen, ist das Streben nach Aufklärung und Sensibilisierung. Durch das Teilen von persönlichen Erfahrungen und Ratschlägen können Eltern das Verständnis für Behinderungen fördern und Stigmatisierung abbauen, was oft zu mehr Empathie und Akzeptanz in der Gesellschaft. (UNICEF, 2022) Auch spielt die Netzwerkbildung für viele Eltern eine Rolle. Online-Plattformen ermöglichen es Eltern, sich mit anderen Familien in ähnlichen Situationen zu vernetzen. Der Austausch von Erfahrungen und Ressourcen kann wertvoll sein und ein Gefühl von Gemeinschaft schaffen. (Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V., o.D.)
Herausforderungen und Gefahren von Sharenting
Trotz der positiven Aspekte gibt es auch ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre und der Rechte der Kinder. Die bekanntesten sind Mobbing, Missbrauch für Werbung und Zweckentfremdung. (Kinderschutz Schweiz, o.D.) Wenn Eltern ihre Kinder online präsentieren, stehen sie vor folgenden Herausforderungen:
- Konsens: Ist die Einwilligung der Kinder vor Veröffentlichung ihrer Bilder und Geschichten tatsächlich gewährleistet und verstehen Kinder, besonders wenn sie noch sehr jung sind oder Schwierigkeiten mit der Kommunikation haben den Zusammenhang?
- Schutz: Das Kindeswohl ist nicht im Grundgesetz verankert. Gemäß Artikel 3 UN-KRK soll die vorrangige Berücksichtigung des Kindewohls sämtliche das Kind betreffenden Maßnahmen miteinschließen. Immer häufiger werden harmlose Kinderbilder für sexualisierte Kontexte missbraucht. Um Kinder zu schützen, müssen ihre Rechte und Grenzen gewahrt werden. (klicksafe, 2020)
- Langfristige Auswirkungen: Einmal im Internet veröffentlichte Informationen bleiben oft dauerhaft zugänglich, selbst nach ihrer Löschung. Kinder könnten sich später unwohl fühlen, wenn intime Details ihrer Kindheit ohne ihre Zustimmung geteilt wurden. (Deutsches Kinderhilfswerk e.V., 2025) Mobbing, Gefahren im Internet und die Entstehung einer unfreiwilligen digitalen Identität können starke psychische Belastung auslösen. (Kinderschutz Schweiz, o.D.)
Praxisbeispiel
Die folgenden Informationen sind ausschließlich auf die geteilten Inhalte der Nutzerin selbst zurückzuführen. Natascha teilt auf Instagram und TikTok unter dem Pseudonym „@dasblitzdings“ Videos aus ihrem Alltag als Mutter eines Kindes mit Behinderung. Mit ca. 130.000 Followern teilt sie beinahe täglich Videos ihrer Tochter unter dem Hashtag #downsyndrome. Mit der Beschreibung in ihrem Profil „Wir machen uns stark für Kids mit Behinderung“ zählen ihre beliebtesten Videos bis zu 5,5 Mio. Aufrufe. In den Videos sieht man das Kind K. im Unruhezustand, ebenso wie beim Baden oder nach einem Impftermin. Sie veröffentlicht Videos, in denen K. weint und veranschaulicht auch wie man K. im Falle einer Erkältung versorgt. Weitere Informationen wie K.s Geburtsdatum sind ebenfalls von Nataschas TikTok-Videos in Erfahrung zu bringen. (TikTok, 2025)
Der Balanceakt zwischen Aufklärung und Schutz
Die Frage, ob das Teilen von Inhalten über Kinder mit Behinderungen im Internet Aufklärung oder eine Verletzung der Privatsphäre darstellt, ist komplex und erfordert einen sensiblen Umgang. Eltern stehen vor der Herausforderung, einen Balanceakt zwischen dem Bedürfnis nach Aufklärung und dem Schutz der Privatsphäre ihrer Kinder zu meistern.
Das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg empfiehlt folgende Vorkehrungen treffen, um die Veröffentlichung von Fotos und Videos weniger risikoreich zu gestalten:
- Konsens: Die Kinder altersangemessen miteinbeziehen.
- Transparenz: Erklären, was mit dem Bild passieren wird und wer es alles sehen kann.
- Wertschätzung: Meinung des Kindes ernst nehmen und versuchen sich in die Perspektive des Kindes hineinzudenken.
- Privatsphäre: Regelmäßige Überprüfung der Privatsphäre-Einstellungen auf Social Media.
- Zensur: Notwendigkeit von Fotos, zum Beispiel das Gesicht, Orte im Hintergrund oder anderen erkennbaren sensiblen Daten hinterfragen.
- Zielgruppe: Zielgruppe kennen und Kenntnis darüber, wer außerhalb von Social Media auf die Inhalte zugreifen kann. ((LMZ) 2024)
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Präsentation von Kindern, insbesondere von Kindern mit Behinderung, im Internet zur Aufklärung und Sensibilisierung einen schmalen Grat darstellt. Die bewusste Darstellung kann zur Enttabuisierung und zur Stärkung von Gemeinschaften beitragen, birgt aber dennoch Risiken für die Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte der Kinder. Eltern tragen die Verantwortung, die Persönlichkeitsrechte ihrer Kinder zu schützen und abzuwägen, ob das Interesse an Aufklärung den potenziellen Schaden überwiegt. Hierbei sollte stets das Wohl des Kindes im Mittelpunkt stehen. Die zunehmende Diskussion zeigt, dass ein Umdenken in Richtung eines sensibleren und ethisch verantwortlichen Umgangs mit den Daten und der Darstellung von Kindern im Internet notwendig ist.
Literaturverzeichnis
Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. (o.D.). Selbsthilfe in der Lebenshilfe. Abgerufen am 11.11.2024 von https://www.lebenshilfe.de/ueber-uns/selbsthilfe-in-der-lebenshilfe#:~:text=Seit%20über%2060%20Jahren%20unterstützen,der%20Menschen%20mit%20Behinderung%20selbst.
Deutsches Kinderhilfswerk e.V. (2025). Kinderfotos im Internet: Das sollten Eltern beachten. Abgerufen am 09.02.2025 von https://www.dkhw.de/informieren/unsere-themen/kinder-und-medien/kinderfotos-im-netz/?utm_source=chatgpt.com
Kinderschutz Schweiz. (o.D.). Sharenting: Kinderbilder im Netz. Abgerufen am 10.02.2025 von https://www.kinderschutz.ch/themen/sexualisierte-gewalt/praevention-im-online-bereich/kinderbilder-im-netz
Landesmedienzentrum Baden-Württemberg. ((LMZ) 2024). SHARENTING – KINDERBILDER TEILEN, ABER WIE?Abgerufen am 11.11.2024 von https://www.lmz-bw.de/lmz-spotlights/sharenting-kinderbilder-teilen-aber-wie
TikTok. (2025). Abgerufen am 09.02.2025 von @dasblitzdings: https://www.tiktok.com/@dasblitzdings
UNICEF. (2022). Addressing stigma and discrimination toward children and youth with disabilities through SBC. Abgerufen am 11.11.2024 von https://knowledge.unicef.org/addressing-stigma-and-discrimination-toward-children-and-youth-disabilities-through-social-and
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