Seit mehreren Jahren beobachten Wissenschaftler vorwiegend bei Menschen, die in Büroräumen arbeiten, dass diese sich sowohl nach längerem Aufenthalt am Arbeitsplatz als auch abends, nach dem Verlassen des Büros, krank fühlen. Die Beschwerden verschwinden nach einer bestimmten Zeit wieder, sobald sich die Betroffenen nicht mehr in den Büroräumen oder in den betreffenden Gebäuden aufhalten.[1]
Gereizte, brennende oder juckende Augen, Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen und Müdigkeit waren die gesundheitlichen Symptome, die 2010 in der Schweizerischen Bürostudie von S. Amstutz, S. Kündig und C. Monn, am häufigsten mit dem Arbeitsplatz zusammenhängen. Diese Symptome werden im sogenannten „Sick-Building-Syndrom“, das auch unter der Abkürzung „SBS“ bekannt ist, zusammengefasst. Die Studie erklärt dies mit der Raumqualität wie beispielsweise Zug-luft, trockene Luft, Staub und Schmutz. In kleineren Büros traten diese Beschwerden deutlich sel-tener auf als in großen Büroeinheiten (siehe Abb. 1).[2]
Symptome des Sick-Building-Syndroms
Die World Health Organization akkreditiert das „SBS“ als ein Syndrom, welches sich durch unspe-zifische Gefühle von Unwohlsein äußert, deren Auftreten überwiegend mit modernen Gebäuden as-soziiert ist.[3] Zu den Symptomen zählen:
- sensorische Irritationen der Augen, der Nase und des Halses (Brennen, Gereiztheitsgefühl, Heiserkeit, Trockenheit und verändernde Stimme),
- Hautirritationen (Brennen, juckendes Gefühl, Rötungen und trockene Haut),
- neurotoxische Symptome (Benommenheit, Kopfschmerzen, Lethargie, mentale Müdigkeit, Müdigkeit, reduzierte Erinnerungsfähigkeit, Schwindel, Vergiftungen, verringertes Konzentrationsvermögen und Übelkeit),
- unspezifische Überreaktionen (asthmaähnliche Symptome bei nicht asthmatischen Menschen sowie laufende Nase und tränende Augen),
- Geruchs- und Geschmacksprobleme (unangenehmer Geruch oder Geschmack und veränderte Sensitivität) (siehe Abb. 2).[4]
Ursachen des Sick-Building-Syndroms
Korrespondierende Ursachen konnten bislang nicht gefunden werden. Ebenfalls liegen keine belast-baren Studien vor, welche offenbaren, inwieweit individuelle Prädispositionen diese Symptome her-vorrufen, verstärken oder aufrechterhalten. Ein Großteil der Erklärungen beziehen sich auf die Luftqualität und die Belüftungsverhältnisse, die darauf zurückzuführen sind, dass zur Ventilation des Gebäudes suboptimale Systeme genutzt werden. Dafür indiziert ebenfalls, dass in natürlich belüf-teten Gebäuden „SBS“ deutlich seltener auftritt.[5] Weitere Erklärungsansätze finden sich in arbeits-bezogenem Stress, Geräuschemission, künstlichem Licht, Materialität der Bodenbeläge und Möblie-rung sowie in der Wärmeregulation.[6]
Speziell in großräumigen Büroeinheiten („open plan offices“) können ungünstige Umgebungsbe-dingungen wie mangelhafte Klimatisierung, zentral gesteuerte Temperaturregulation, ein ungenü-gendes Verhältnis von natürlichem und künstlichem Licht und ein kontinuierlicher Geräuschpegel verursacht durch Kollegen das „SBS“ begünstigen (siehe Abb. 3).[7] Von einem beeindruckenden Effekt berichtet J. Rostron 2008 bezüglich des Zusammenhangs zwischen „SBS“-Symptomen und der Art der Tätigkeit. J. Rostron merkt an, dass je interessanter und weniger routinehaft die Tätigkeit ist, desto weniger Symptome treten in Erscheinung.[8]
Um das Auftreten und die Gründe für das „SBS“ zu untersuchen, wurden in der Vergangenheit umfangreiche Studien durchgeführt. Die bekannteste Studie in Deutschland ist die ProKlimA-Studie, in der von 1994 bis 2000 rund 5.000 Büroangestellte untersucht wurden. Mit Fragebögen, extensiven Messungen an den Arbeitsplätzen und klinischen Daten inspizierten Fachleute die Häufigkeit und die Ursachen der gesundheitlichen Beschwerden. Dabei stellten sie unter anderem fest, dass die meisten „SBS“-Beschwerden sich nach dem Aufenthalt der Betroffenen in Räumen mit Klimaanlagen äu-ßerten. Ein konkreter Zusammenhang zu Schadstoffbelastungen konnte jedoch nicht nachgewiesen werden.[9] Büros mit Klimaanlagen waren häufig sogar weniger belastet (siehe Abb. 4). Mög-licherweise spielte hier das Unbehagen einzelner Betroffener gegenüber Klimaanlagen und das Be-vorzugen der klassischen Fensterlüftung eine entscheidende Rolle. Die Belastung der Innenraumluft mit Schadstoffen, wie zum Beispiel durch flüchtige und schwerflüchtige organische Verbindungen (VOC und SVOC), der Befall mit Mikroorganismen und andere Faktoren waren im Allgemeinen sehr unterschiedlich und nur in Einzelfällen eine mögliche Ursache für Beschwerden.[10]
Zusammenfassend zeigten die Studien, dass persönliche Faktoren und Empfindungen der Betrof-fenen, ihre Tätigkeit und die Benutzerfreundlichkeit ihres Arbeitsplatzes oft ausschlaggebender für das Auftreten des „Sick-Building-Syndroms“ waren als die Einflüsse des Bürogebäudes (siehe Abb. 5).[11]
Fazit und Ausblick
Das „Sick-Building-Syndrom“, eine gebäudebezogene Gesundheitsstörung, spielt im Arbeitsleben eine immer größer werdende Rolle. Nach Schätzungen des Hauptverbands der gewerblichen Berufs-genossenschaften (HVBG) leiden in den Industrieländern bis zu 30 % der Büroangestellten unter „SBS“. Der wirtschaftliche Verlust bedingt durch „SBS“ geht in die Milliarden. Weil die gängigen Beschwerden aber auch bei der Gesamtbevölkerung auftreten können, ist es schwierig, „SBS“ eindeutig zu diagnostizieren. Von „SBS“ spricht man üblicherweise, wenn mindestens 20 % einer Belegschaft Symptome zeigen und sich diese nach Verlassen des Gebäudes verringern.[12]
Ebenfalls entscheidend für die „SBS“-Beschwerden ist nach der ProKlimA-Studie auch eine psy-chologische Komponente. Der zufolge sind persönliche Faktoren und Empfindungen der Betroffenen, ihre Tätigkeit und die Benutzerfreundlichkeit ihres Arbeitsplatzes oftmals entscheidender für das Auftreten von „SBS“ als das Bürogebäude selbst. Objektive Messwerte können nicht die subjektive Behaglichkeit abbilden. Häufig sind solche Symptome ein Ventil für andere Missstände, die im Büro auftreten. Experten und Studien sind sich einig, dass die Arbeitszufriedenheit entscheidend dafür ist, ob bei jemandem „SBS“ auftritt oder nicht.[13] Allerdings sind die Beschwerden nicht reine Ein-bildung. Aufgrund der hohen Zahl von Betroffenen gehen Mediziner mittlerweile von einer normalen Reaktion des Menschen auf unnormale Innenraum-Verhältnisse aus.[14]
Bei „SBS“ wirken sowohl chemische, biologische, als auch physikalische und psychologische Faktoren zusammen. Häufig ist das Syndrom auch ein Spiegelbild von insgesamt belastenden Arbeitsbedin-gungen wie beispielsweise Stress, Monotonie oder schlechter Führungskultur im Unternehmen. Es ist wichtig zu prüfen, ob tatsächlich ein Problem vorliegt und was dagegen getan werden kann. Oftmals reicht es bereits, die Klimaanlage stärker aufzudrehen, damit die Luftwechselrate steigt.[15]
Mitarbeitern, die an „SBS“-Symptomen leiden, ist zu raten, sich an den Betriebsarzt und den Be-triebsrat zu wenden. Für eine Abklärung der Symptome und Ursachen, haben Fachleute Fragebögen zur Hand. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einen Ingenieur zu beauftragen, der Messungen der Luftqualität vornimmt und die Raumluft auf Schadstoffe wie beispielsweise Formaldehyd oder Schimmel untersucht. Für viele Stoffe in Innenräumen gibt es bislang jedoch keine gesetzlichen Grenzwerte. Das Umweltbundesamt hat lediglich Richtwerte festgelegt, die für die Qualität der Raumluft gelten sollten.[16]
Zeigen die Messwerte, dass tatsächlich Schadstoffe in der Luft sind, muss das Unternehmen schnellstmöglich reagieren. Schimmel und Nässe müssen beseitigt, Klimaanlagen sowohl saniert als auch gewartet und im Zweifelsfall Schadstoffe aus Möbeln und Baumaterial entfernt werden. Sonst kann das „Sick-Building-Syndrom“ sowohl für die Angestellten als auch für das Unternehmen gesundheitliche und finanzielle Folgen haben.[17]
Beitragsbild: Ulber, M.: 2016