Dass Multitasking, also der Wechsel zwischen vielen Tätigkeiten zur selben Zeit, nicht zu der angenommenen Produktivität im Alltags- sowie dem Arbeitsleben führt, sondern im Gegenteil geistige Ressourcen schnell erschöpft, ist in der Hirn- und Stressforschung inzwischen hinreichend belegt – Gleichzeitigkeit als Mythos in diesem Kontext bereits entlarvt.
Tatsächlich arbeitet unser Gehirn wider Erwarten Aufgaben auch nur nacheinander ab.[1] Wird Multitasking aufgrund von Stress und Zeitnot zur Strategie, setzt der Körper das Stresshormon Cortisol frei. Dieses schränkt bei erhöhter Konzentration die kognitiven Fähigkeiten unseres Gehirns ein und schwächt unser Immunsystem.[2] Auf diese Weise vergeudet ständige Prozessentscheidung im Gehirn letztendlich Energie, Zeit und Aufmerksamkeit.
Folgendes Beispiel aus dem Alltag veranschaulicht, warum gleichzeitiges Abarbeiten ein Mythos ist: Werden wir während eines Nachdenkprozesses angesprochen, dauert es oft, bis wir darauf reagieren, weil das Nachdenken eine vorübergehende Loslösung von der Außenwelt erfordert.[3]
Dennoch ist niemand von uns davor gefeit, viele Dinge gleichzeitig angehen zu wollen.
Verlockungen, die zum Multitasking führen, rühren nicht nur aus den immer komplexer werdenden Anforderungen der Moderne, sondern sind zum Teil sogar hormonell bestimmt.
Nichtsdestotrotz gibt es Strategien, wie dem Multitasking sinnvoll begegnet werden kann. Die Verfasserin hat sich in der Recherche darum bemüht, die alltagstauglichsten in diesem Beitrag zusammenzufassen.
Zuvor wird noch ein Blick darauf geworfen, warum von Multitasking ein so großer Reiz ausgeht.
Vom Kick der schnellen Belohnung
Multitasking führt kurzfristig zu einer Dopaminausschüttung im Gehirn. Dopamin gilt als Glücks- und Belohnungshormon. Es kommt sozusagen zu einer chemisch begründeten Motivation für kurzfristige Erledigungen.[4] Unser Gehirn ist daher bereits getriggert auf:
- die Aussicht auf schnelle Belohnung,
- ein unvorhersehbares Ereignis (Dopamin gilt ebenso als stimulierendes Abenteuerhormon)
- die Genugtuung, eine Aufgabe erledigt zu haben
Shani Harmon vom Magazin Forbes veranschaulicht in ihrem Beitrag sehr gut, dass jeder von uns diese Problematik mehr oder weniger aus dem Alltag gut kennt.[5] Wir sind beschäftigt, und am Handy poppt das Signal für eine erhaltene Nachricht (Mail, SMS etc.) auf. Den wenigsten von uns gelingt es wirklich, nicht sofort darauf zu regieren. Warum? Dopamin hat unsere Neugierde für Absender, Inhalt, Dringlichkeit, Bedeutung der Nachricht längst geweckt. Selbst wenn die Nachricht tatsächlich nicht dringend oder wichtig ist, hat sie uns am Haken und wir beantworten sie umgehend. Warum? Erledigte Aufgaben liefern noch mehr des besagten Belohnungshormons.
Zudem bedingt unsere Neurochemie, dass wir gerne abgelenkt sind. Unabhängig davon, dass ein länger anhaltender Fokus auf eine Aufgabe für unsere Produktivität nachgewiesenermaßen am besten ist, wechseln wir gerne zwischen verschiedenen Projekten, da sie uns mehr Abwechslung bringen.[6]
Wir täten also gut daran, diese Ursache uns in einem ersten Schritt vor Augen zu führen um diese schlechte Gewohnheit (ja – Gewohnheit!) des Multitasking bewusst zu durchbrechen.
Wirksame Gegenstrategien
Der moderne Mensch ist im Alltag mit immer komplexeren Aufgaben konfrontiert, die es in kürzerer Zeit schneller zu absolvieren gilt. Zusätzlich sind die Reize mehr geworden. Mit diesen Strategien kann gegengesteuert werden:[7]
- automatisieren
Eine Lösung kann im Automatisieren von Abläufen liegen. Dies setzt natürlich einen zeitlichen Vorlauf voraus. Berufserfahrung entlastet also, da tatsächlich routiniert mehrere Arbeiten gestaffelt nacheinander in kurzer Zeit erledigt werden können, wenn es die Situation erfordert.
- antizipieren
Ein umfassendes Verständnis für Situationen im Vorfeld kann helfen, gedanklich anstehende Arbeiten zu sortieren. Für diese Denkarbeit empfiehlt es sich, sich extra vorab in Ruhe Zeit zu nehmen.[8] Zusätzliches Aufschreiben ist der Sache sicher zusätzlich dienlich.
- konkretisieren
Wie erwähnt sind unsere Aufgaben komplexer geworden. Diesbezüglich hilft es, Vages konkret zu machen um unangenehmen, diffus empfundenen Druck abzubauen. Schlecht formuliert wäre zum Beispiel: „am Nachmittag etwas fürs Studium erledigen“ – konkret besser wäre: „Literaturrecherche für das Thema XY und das Statistikprogramm für die Onlineveranstaltung runterladen“.
- Aufgaben zerlegen
Erledigte Teilaufgaben, die vorher konkretisiert wurden, fühlen sich auch als Belohnung an und entlasten die gestresste Psyche. Der anstehende Kindergeburtstag lässt sich zum Beispiel zerlegen in die Teilaufgaben Kuchenrezept – Partymotto – Termin und Ort – Einladungen – Programmgestaltung etc. Dies ermöglicht zudem eine zeitliche Aufteilung.
- unnötige Unterbrechungen abwehren
Wenn einzelne Tätigkeiten umfassende Konzentration erfordern, nützt die Vorbereitung des Umfelds auf erbetene Ungestörtheit für eine gewisse Zeit, eine Rufumleitung oder ein stumm geschaltetes Handy. Sogar E-Mail-Systeme können entsprechend adaptiert werden im Hinblick auf das kurzfristige Abschalten von Benachrichtigungen.[9]
- Status quo verschriftlichen
Muss eine Tätigkeit tatsächlich unterbrochen werden, empfiehlt es sich, den Status Quo und das weitere Vorgehen als Memo zu verschriftlichen.[10] Die Hemmschwelle, an dem Projekt weiterzuarbeiten sinkt dadurch und der rote Faden ist später schnell wieder aufgenommen.
- Ordnung
„Ordnung ist das halbe Leben“ – dieser Weisheit ist tatsächlich einiges abzugewinnen. Schaffen wir Ordnung, entfernen wir die Dinge mit ständigem Aufforderungscharakter aus unserem Blickfeld und haben so Zeit für das Wesentliche. Dies scheint besonders bedeutend in der jetzigen Pandemiezeit, wo sich vieles zu Hause abspielt: hier ein Stapel Bügelwäsche, dort der Geschirrstapel, in der Ecke die unerledigte Post. Sicherlich: jeder einzelne Arbeitsauftrag kann (scheinbar) warten, doch die Summe an Unerledigtem sitzt uns schließlich unangenehm im Nacken. Davon abgesehen kommen immer wieder neue „kleine Kümmerlinge“ hinzu.
Ordnung befreit von Ablenkung, damit die Arbeit im Homeoffice produktiv erledigt werden kann. Dies gilt unter anderem auch für die eigene Schreibtischgestaltung.[11]
- Monotasking als Werthaltung
Dieser Punkt bezieht das Umfeld gedanklich mit ein. Er dient als Anstoß, im eigenen Tun auch Rücksicht auf das Umfeld zu nehmen. Dies passiert etwa, wenn wir Antworten auf E-Mails abwarten können (und dies bestenfalls vielleicht auch dem Adressaten vorab so formulieren). Es bezieht auch die Überlegung mit ein, ob es jetzt wirklich nötig ist, KollegInnen zu unterbrechen, und das nicht warten kann.[12]
Der Punkt bezieht außerdem Achtsamkeit mit ein. Eine fünf-minütige Morgenmeditation, zur Gewohnheit gemacht, dient hier als kleines Ritual mit großer Wirkung um langfristig aus der Zerstreuung zu kommen.[13]
Ausblick
Die aufgezählten Strategien sind nicht neu und sicher nicht vollzählig. Aber sie sind wirksam. Die Hirnforschung zeigt, dass Konzentration bzw. beibehaltener Fokus unsere geistige Leistungsfähigkeit steigern kann. Machen wir uns dies im Alltag künftig immer wieder bewusst und zudem die Hintergründe einer schädlichen Dynamik, viele Dinge gleichzeitig erledigen zu müssen, verfügen wir nun über praktikable Instrumente, diese zu durchbrechen. Damit lässt sich chronischer mentaler und psychischer Belastung langfristig vorbeugen und ein wertvoller Beitrag zum Erhalt der eigenen Gesundheit ist getan.
[1] Vgl. Bohinc, T. (2015); Lachaux, J. – P. (2018): S. 46 f.
[2] Vgl. Paufler, A. (2019): S. 357 f.
[3] Vgl. Lachaux, J. – P. (2018): S. 48
[4] Vgl. Paufler, A. (2019): S. 362 – 363; Harmon, S. (2016)
[5] Vgl. Harmon, S. (2016)
[6] Vgl. Harmon, S. (2016)
[7] Vgl. Harmon, S. (2016); Bohinc, T. (2015); Lachaux J.-P. (2018)
[8] Vgl. Lachaux, J. – P. (2018): S. 49
[9] Vgl. Harmon, S. (2016)
[10] Vgl. Bohinc, T. (2015)
[11] Vgl. Bohinc, T. (2015)
[12] Ebenda
[13] Vgl. Harmon, S. (2016)
Quellenangaben
Bohinc, T. (2015): So steigern Sie Ihre Leistungsfähigkeit. Projektmagazin. https://www.projektmagazin.de/artikel/so-steigern-sie-ihre-leistungsfaehigkeit_1099936. Abgerufen am 15.10.2021
Harmon, S. (2016): Why We Are Addicted To Multitasking An 5 Ways To Break The Habit. Forbes. https//:www.forbes.com/sites/harmoncullinan/2016/11/03/why-we-are-addicted-to-multitasking-and-5-ways-to-break-the-habit. Abgerufen am 15.10.2021
Lachaux, J.-P. (2018): Multitasking. Eins nach dem anderen. In: Spektrum Psychologie. 03.18. S. 44 – 49
Paufler, A. (2019): Kleine Hormonfibel. In (Ders. Hrsg.): Führung – Kreativität – Innovation. Springer Gabler Wiesbaden
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