Der Auslöser diesen Artikel zu verfassen war ein Kinofilm, dessen Hauptfigur – so wurde jedenfalls behauptet – an Demenz litt und daher Symptome des ‚Sundowning’ zeigte. Fasziniert von diesem Begriff und der Thematik recherchierte ich, ob es dieses Phänomen überhaupt gibt oder ob es ein Gebilde aus Hollywood ist. Tatsächlich fand ich zahlreiche Informationen dazu und möchte das ‚Sundowning’ nun genauer erläutern und erklären.
Symptome und Ursachen
Das so genannte ‚Sundowning’ ist eine häufige
Erscheinung im Verlauf aller Demenzerkrankungen.
Größtenteils tritt es im letzten Erkrankungsdrittel der
Demenz vom Alzheimertyp auf. Das Sundowning
drückt sich in zirkadianen Rhythmusstörungen
(Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus) wie
Unruhezuständen und Aggressivität in den Nach-
mittags- und Abendstunden zwischen 16.30 Uhr
und 23 Uhr aus.[1] Die Symptome ähneln aufgrund
der rapiden Verhaltensveränderung der Patienten an die Symptome eines Deliriums. Im Gegensatz zum Delirium kommt das Sundowning jedoch jeden Abend zur gleichen Zeit bei den gleichen Patienten ohne eine Änderung der physiologischen Bedingungen vor. Die Erscheinungsformen reichen von gestörter Wahrnehmung und Aufmerksamkeit, visuellen Halluzinationen, dem Widerstand gegenüber den Angehörigen oder Pflegekräften, verwirrter Verbalisierung, Bewegungsdrang bis hin zu Aggressionen und dem umgekehrten Schlaf-Wach-Zyklus. [2]
Durch die Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus sind die Patienten tagsüber müde und schläfrig, abends und nachts aber wach und aktiv. Sie wollen sich bewegen, essen und trinken und suchen Beschäftigung. Viele sind zudem leicht erregbar, was sich in erhöhter Aggressivität ausdrücken kann.[3] Die nächtlichen Aufwachphasen häufen sich, das Einschlafen verzögert sich und mit dem Fortschreiten des Gehirnabbaus verliert sich die Struktur des Schlafes gänzlich.[4] In diesem Zustand kann es zu Stürzen, Verletzungen anderer, Fluchtversuchen und dem Entfernen medizinischer Geräte kommen.[5]
Die Ursachen sind vielfältig – eine abendliche Unruhe kann auf eine schlechte Dunkelanpassung des Auges, auf nachlassende Stresstoleranz, mangelnde Strukturierung des Tagesablaufs, Übermüdung etc. beruhen. Störungen beim Einschlafen sind gerade im Anfangsstadium der Demenz sehr häufig, da Lärm, grelles Licht, ein anderes Bett oder Mitbewohner im Zimmer stören können. Aber es gibt auch organisch- und krankheitsbedingte Ursachen wie beispielsweise Hirndurch-blutungsstörungen, Herzschwäche, unruhige Beine, brennende Füße oder Schmerzen. Die Psyche spielt beim Thema Schlaf eine große Rolle wenn beispielsweise Ärger, ungelöste Konflikte, Ängste oder mangelnde Ermüdung bei Langeweile vorherrschen. Halluzinationen wegen fehlender Dämmer-/ und Nachtbeleuchtung können zu wahn-haften Ängsten führen, da der Demenzpatient unfähig ist, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden.[6]
Oft führt das Sundowning aufgrund der erheblichen Störungen der Nachtruhe der betreuenden Angehörigen zu schweren Schlafstörungen oder depressiven Anpassungs-störungen bei den Betreuungspersonen. Die Folge ist nicht selten die Voll-hospitalisierung der betroffenen Patienten.[7]
Behandlungsmöglichkeiten und der Umgang mit den Patienten
Da die Ursachen sehr vielschichtig und von Patient zu Patient unterschiedlich sind, ist eine individualisierte Pflege mithilfe von bekannten Präferenzen des Patienten und dessen lebenslangen Handlungsmustern notwendig.[8] So kann sich der Pflegende besser in den Patienten, seine Gefühlswelt und seine Empfindungen hineinversetzen und versuchen zu verstehen, was der Erkrankte in diesem Moment durchlebt.
Intervenierende Maßnahmen lassen sich in drei Kategorien einteilen:[9]
- Allgemeine Ansätze, um die entscheidenden Faktoren zu verhindern
- Das Verbinden von physischen und psychischen Bedürfnissen durch die Strukturierung der Umwelt (geplante Essenszeiten, Hygienemaßnahmen, Schmerzbehandlungen, körperliche und soziale Aktivitäten, Ruhezeiten, das Einsetzen von Eins-zu-Eins Interaktion und einer positiven Mimik und Körpersprache) und das Einbeziehen der Familie vermitteln den Patienten Ehre und Respekt und können Langeweile, Einsamkeit und Ängste verhindern.
- Individualisierte Ansätze, um das Auftreten des Sundowning zu verhindern
- Sich mit dem Patienten in einem Raum beschäftigen, in dem sensorische Stimulationen (Licht, Töne, Gerüche, etc.) gesteuert werden und wo er seinen Lieblingsaktivitäten nachgehen kann. Für andere Patienten ist es möglicherweise effektiver, sich mit ihnen draußen aufzuhalten und z. B. den Sonnenuntergang anzusehen.
- Spezifische Ansätze, um problematische Verhaltensweisen zu bewältigen/zu eliminieren
- Die Präsenz einer Person, mit der der Patient eine positive Emotion verbindet ist der effektivste spezifische Ansatz, um die problematischen Verhaltensweisen einzudämmen. Dies kann ein Verwandter, aber auch ein Freund oder eine liebgewonnene Pflegekraft sein, mit dem positive Erfahrungen verbunden werden.
Dies sind nur einige der Maßnahmen, die in diesen Kategorien angewandt werden können. Generell ist die Behandlung aber häufig schwierig, da es keine sicher wirkenden Medikamente oder sonstigen therapeutischen Interventionen gibt.[10]
Fazit und Ausblick
Die vorliegende Statistik, die den prognostizierten Zuwachs an Demenz-Kranken weltweit nach Kontinenten bis zu den Jahren 2030 und 2050 im Vergleich zum Jahr 2010 aufzeigt[11], verleiht dem Artikel – in Verbindung mit einer vom statistischen Bundesamt und des Bundesinstitutes für Berufsbildung durchgeführten Analyse – eine gewisse Dramatik. So könnte sich im Jahre 2025 ein Engpass von 110.000 Pflegekräften bei unveränderter Pflegefallwahrscheinlichkeit bzw. von rund 60.000 bei reduzierter Pflegefallwahrscheinlichkeit für Deutschland ergeben.[12] Das bedeutet, dass eine individuelle Behandlung von Erkrankten in Pflegeheimen, wie sie im Artikel beschrieben wurde, nahezu unmöglich ist. Die Bundesregierung hat bereits zahlreiche Maßnahmen initiiert, um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern. Das lässt einen Hoffnungsschimmer zu – für uns und unsere nachfolgenden Generationen.