By Published On: 15. August 2020Categories: Gesundheit, Psychologie

Wie fühlt sich das an Farben zu hören und Töne zu schmecken? Wie lebt es sich mit einem Phänomen, bei dem man ständig mit Reizen überflutet wird?

Der Begriff Synästhesie oder Multisensualität bedeutet soviel wie „gemeinsam empfinden“. Hierbei wird ein Phänomen beschrieben, bei welchem Menschen ein auf einen Reiz mit verschiedenen Sinnesorganen reagieren.[1]

Der Mensch verfügt über 5 Sinnesorgane. Diese Sinnesorgane teilen sich in die Augen, die Ohren, die Nase, die Zunge und die Haut auf. Somit kann er einen gewissen Reiz entweder sehen, hören, riechen, schmecken oder fühlen. Ein Reiz sendet Erregungen an die Rezeptoren an den jeweiligen Sinneszellen, diese werden an das zentrale Nervensystem gesendet und dort zu einer Sinneswahrnehmung umgewandelt.[2]

Bei einer Synästhesie kommt es zwischen den Sinnesorganen zu verschiedenen Verbindungen, sodass es einem Synästheten möglich ist, beispielsweise bei dem Sehen einer bestimmten Farbe auch einen bestimmten Geschmack zu schmecken. Oder bei dem Hören von einem gewissen Ton eine bestimmte Farbe vor dem inneren Auge zu sehen. Synästhesie kann durch bestimmte Substanzen wie Halluzinogene hervorgerufen werden, es ist jedoch durchaus möglich, dass „gesunde“ Menschen eine synästhetische Wahrnehmung haben.[3]

Leben mit Synästhesie

Die Kulturjournalistin Julia Schmitz beschreibt in einem Artikel der Zeit ihre Erfahrung mit einer Synästhesie und wie sie damit zurechtkommt. Für sie sind alltägliche Situationen häufig von großer Anstrengung, da ihre Sinnesorgane hypersensibel auf äußere Reize reagieren. So beschreibt sie ein für andere völlig unbedeutendes Szenario wie folgt: „Es ist Mittwochmorgen, halb sieben: Vor meinem inneren Auge explodiert urplötzlich ein Feuerwerk, gleichzeitig fühlt es sich an, als drücke jemand meinen Oberkörper auf die Nägel eines Fakirbretts. Ich stehe senkrecht im Bett, weil die Müllabfuhr mit laufendem Motor vor meinem Haus hält und Hunderte Glasflaschen mit lautem Klirren in den Wagen kippt. Für die meisten Menschen in der Großstadt ist so eine Situation nicht weiter erwähnenswert, sie stopfen sich Watte in die Ohren und schlafen weiter. Aber nicht für mich: Ich höre das zerbrechende Glas nämlich nicht nur, ich spüre es auch körperlich – und ich kann das Geräusch sehen.“[4]

Julia empfindet zu jedem Buchstaben eine gewisse Farbe, weshalb ihr manche Menschen mehr oder weniger sympathisch sind. Geräusche wie die Sirenen eines Krankenwagens oder starker Regen sind für sie teilweise sogar körperlich anstrengend. Aus diesem Grund geht sie regelmäßig in den Wald, um ihrem Körper Ruhe zu gönnen. Die dort herrschende Stille beschreibt sie als eine „weiche und weiße Decke“.[5] Ihre Synästhesie machte sich schon im Kleinkindalter bemerkbar, als sie Namen und Wochentage gelernt hatte und ihren Vater fragte welche Farbe der Montag für ihn habe. Da ihr Vater ebenfalls Synästhetiker ist, zeichnete er ihr ein grünes Dreieck auf ein Stück Papier. Beide erfuhren jedoch erst Jahre später von dem Phänomen der Synästhesie.[6]

Arten von Synästhesie

Die Erforschung der Synästhesie ist noch nicht sehr weit, steigt aber in den letzten Jahren an. Der Neuropsychologie Richard E. Cytowic beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit diesem Phänomen und gibt an, dass es über 150 verschiedene Formen der Synästhesie gibt.

Inzwischen haben Forscher herausgefunden, dass das Gehirn eines Synästheten vermehrt graue Hirnsubstanz und eine erhöhte Dichte an weißer Substanz aufzeigt. Die graue Substanz ist für die Sensibilität der Nervenzellen verantwortlich und die weiße Substanz stellt die Leitungsbahnen des Zentralnervensystems dar. Somit weisen Menschen mit einer Synästhesie eine erhöhte Sensibilität der Nervenzellen so wie eine erhöhte Dichte an Leitungsbahnen auf. Menschen mit diesem Phänomen, weisen außerdem eine erhöhte Kreativität, eine erhöhte Merkfähigkeit und eine größere Vorstellungskraft auf. Im Folgenden Abschnitt werden die häufigsten Formen der Synästhesie beschrieben.[7]

– Ordinal Linguistic Personification

Buchstabenverbindungen, Zahlen und Wörter (Grapheme) werden mit einem Geschlecht oder einer Charaktereigenschaft belegt. Beispielsweise kann der Montag für eine Person die Farbe Gelb haben, weiblich und freundlich sein

– Sequenz-Raum-Synästhesie

Wochentage oder Monate besitzen eine Anordnung vor dem inneren Auge

– Ticker-Tape-Synästhesie

Worte erscheinen vor dem inneren Auge schriftlich als eine Art Untertitel

Fazit

Synästhesie ist keine Erkrankung oder Einbildung. Vielmehr kann dieses Phänomen als eine Art Begabung gesehen werden, da es durchaus eine Hilfestellung im Alltag sein kann. Synästheten fällt es aufgrund der visuellen Empfindung leichter gewisse Situationen einzuordnen. Das Ticker-Tape-Symptom kann dabei helfen Rechtschreibfehler zu vermeiden und durch das Graphem-Symptom können Zahlenkombinationen schneller auswendig gelernt werden. Da Synästhesie in den meisten Fällen von Geburt an auftritt, sehen die betroffenen Menschen dies nicht als unnormal an, da sie sich ihren Alltag nicht anders vorstellen können. Jedoch kann es aufgrund der Überempfindlichkeit der Sinnesorgane häufig dazu kommen, dass vermeintlich normale Situationen für Synästheten in einer Sinnesüberflutung enden.[8]

 

[1] Vgl. Steiner (2020), S. 9

[2] Vgl. Steiner (2020), S. 10

[3] Vgl. Dorsch

[4] Schmitz (2019)

[5] Vgl. Schmitz, (2019)

[6] Vgl. Schmitz, (2019)

[7] Vgl. Deutsche Synästhesie Gesellschaft

[8] Vgl. Deutsche Synästhesie Gesellschaft

 

Literaturverzeichnis

Dorsch. (o.J.). Synästhesie. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/synaesthesie/(10.08.2020)

Deutsche Synästhesie Gesellschaft. (o.J.) Was ist Synästhesie?. https://www.synaesthesie.org/de/synaesthesie (10.08.2020)

Schmitz, J. (2019). Mein Montag ist gelb und rund. Zeit Online. https://www.zeit.de/kultur/2019-09/synaesthesie-neurologie-wahrnehmung-sinne-wissenschaft (10.08.2020)

Steiner P. (2020) Theoretische Grundlagen der Multisensualität. In: Sensory Branding. Springer Gabler. Wiesbaden

 

Bildquelle

Pixabay: https://pixabay.com/photos/abstract-art-background-paint-2468874/

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