Das Limbische System ist das Machtzentrum im menschlichen Gehirn und der Schlüssel zum Unbewussten. Wie und in welchem Ausmaß das Unbewusste unser Leben beeinflusst ist noch heute ein zentrales und bisweilen nicht vollständig erforschtes Thema in biologischen und geisteswissenschaftlichen Fachbereichen. Das Limbic-Modell von Dr. Hans-Georg Häusel vereint evolutionsbiologische, genetische und neurochemische Ansätze mit der Psychologie und der Soziologie[1].
Abb. 1: Limbic
Unser Emotionssystem soll der Schlüssel sein und die Ansätze verknüpfen. Emotionen entstehen im Limbischen System und sind gegenüber dem noch weit verbreiteten Glauben über einen rational handelnden Menschen tatsächlich ausschlaggebend für beinahe alles Sichtbare und Unsichtbare des menschlichen Fühlens und Handelns[1]. Der Autor stellt in diesem Zusammenhang zunächst die biologischen Grundlagen und den Vergleich zwischen altem- und neuem Paradigma über die Entscheidungsbildung im menschlichen Gehirn dar:
Abb. 2: Bewusstsein und Emotionen
Die Evolution und die damit verbundene Entwicklung des menschlichen Gehirns zeigen, inwieweit die Zellstrukturen in älteren Gehirnbereichen heute noch denen unserer ältesten Vorfahren gleichen. Diese Gehirnstrukturen sind vor der Entwicklung des Neocortexes bzw. Großhirns entstanden, welches viele unserer komplexeren kognitiven Fähigkeiten ermöglicht. Die entscheidenden Impulse unseres Handelns werden aber nicht durch den Neocortex gesteuert, sondern durch das entwicklungsbiologisch viel ältere limbische System[3]. Mit welchen Auswirkungen? Wie bewusst sind Tagesablauf und die Tausenden kleinen Entscheidungen jeden Tag?
Der Mensch befindet sehr häufig im Autopilot. Das bedeutet, er handelt in einer spezifischen Situation unbewusst aufgrund seiner individuellen Lebenserfahrungen, seiner kulturellen Einflüsse und insbesondere seiner Emotionssysteme. In der Psychologie werden diese Handlungen häufig als Schemata bezeichnet[4]. Der Autopilot lässt sich nicht dauerhaft deaktivieren, es besteht jedoch die Möglichkeit, sich seiner Handlungen aufgrund der oben genannten Einflüsse bewusst zu werden[5]. Das Durchbrechen der Programmierungen, die aus Sicht der Evolution höchst erfolgreich sind, wird durch das Bewusstwerden dieser eröffnet. Es entsteht mentale Energie für „echte“ Handlungsentscheidungen im Sinne einer Selbststeuerung[6]. Das Verständnis über die Steuerungsmechanismen im Sinne einer Programmierung ermöglicht darüber hinaus, sich selbst und andere besser zu verstehen und damit die individuelle Toleranz auf eine neue Ebene zu befördern.
Das Limbische System lässt sich in drei Subsysteme bzw. Hauptkräfte aufteilen[7], die für die Steuerungsmechanismen verantwortlich sind. Im Folgenden werden diese separat erläutert. Dabei ist zu beachten, dass jedes Subsystem jeweils alle Lebensbereiche betrifft und diese sowohl positiv als auch negativ beeinflussen kann.
Abb. 3: Die Limbic-Map – Der Emotions- und Werteraum
Das Balance-System
Das Balance-System ist eines der drei Hauptsysteme des Limbic-Modells. Auf der einen Seite ist es Antreiber für die Suche nach Sicherheit und Geborgenheit, andererseits strebt es danach, Angst und Stress zu vermeiden. Die Kraft der Balance ist für die Angst vor unbekannten Menschen, Situationen und anderen äußeren Einflüssen verantwortlich. Sie ist Auslöser für den Wunsch nach Geborgenheit in der Familie, einem festen Platz in der Gruppe von Freunden und bei der Arbeit. Dabei ist Stabilität und Konstanz im Leben der Personen das oberste Ziel. Im Kontext von Unternehmen der Wirtschaft sorgt die Balance-Kraft dafür, dass sich die Menschen nicht verändern wollen. Menschen mit einer starken Balance-Kraft möchten alles beim Alten belassen, weil sie damit in der Vergangenheit gut gefahren ist. Stillstand führt jedoch früher oder später immer zum Tod – unabhängig ob biologisch oder ökonomisch. Auf der anderen Seite erhält die Balance-Kraft Tradition und Vertrauen aufrecht und fördert das Verlangen nach Gesundheit und Sparsamkeit. Menschliches Bindungs- und Fürsorgeverhalten findet hier seine Ursache.[8]
Das Dominanz-System
Die Kraft des Dominanz-Systems drängt auf Macht, Sieg und Verdrängung. Sie sorgt dafür, dass Menschen nach Autonomie und Einfluss streben und die Errungenschaften mit Statussymbolen nach Außen tragen. Auf der physischen Ebene manifestiert sich seine Energie durch die Verdrängung von (vermeintlichen) Konkurrenten; auch durch Gewalt oder Manipulation. In der Gesellschaft wird sie mit dem Wunsch und Anspruch auf Machtpositionen sichtbar. Wenn die Impulse des Dominanz-Systems erfüllt werden, fühlen wir uns stolz und unbesiegbar. Können die Signale nicht umgesetzt werden, folgen Gefühle von Wut und Ärger. Menschen, deren Dominanzkraft weit überdurchschnittlich ausgeprägt ist, möchten sich ständig durchsetzen, wirken als seien ihnen die Gefühle anderer nicht besonders wichtig (unausgeprägte Empathiefähigkeit). Auf der anderen Seite ist die Energie, die diesem System entstammt, für Quantensprünge in Wirtschaft und Entwicklung verantwortlich und mitunter würde eine Gruppe ohne Anführer planlos und unentschlossen an neue Aufgabenstellungen herangehen. Die Dominanz-Kraft ist der Motor für Wachstum.[9]
Das Stimulanz-System
Das dritte Subsystem ist die Kraft der Stimulanz. Menschen suchen unbekannte Reize, neuartige Erfahrungen und möchten aus der Masse herausstechen. Für die Suche nach Genuss und Abwechslung ist dieses System verantwortlich. Es ist der Antreiber für den Konsum vieler Güter, vor allem solche, die der Unterhaltung und dem Genuss dienen. Auf der sozialen Ebene streben Menschen mit hoher Stimulanz-Kraft nach Veränderung, sie möchten anders sein als andere und neue Wege gehen. Um schöpferisch und kreativ tätig zu sein, ist diese Kraft unerlässlich. Für Unternehmen streben sie als Arbeitnehmer nach Möglichkeiten, alles anders zu machen und zu verbessern. Als Unternehmer möchten sie die Welt verändern. Das oberste Gebot ist: Vermeide Langeweile und Reizarmut. Auf der kognitiven und gnostischen Ebene lieben Menschen mit einer hohen Stimulanz-Ausprägung Kunst, ungewöhnliche Ideen und Produkte und arbeiten kreativ an ihren eigenen Zukunftsplänen. Sie sind jedoch auch häufig nicht besonders pflichtbewusst und gehorsam. Mit Moral und Tradition sind Menschen mit starker Ausprägung nicht zu begeistern.[10]
Jeder Mensch trägt alle Kräfte in sich, jedoch sind die Ausprägungen interindividuell sehr unterschiedlich. Aus diesem Grund eignet sich das Limbic-Modell sehr gut zum Verständnis der Persönlichkeit. Alle Ausprägungen haben positive und negative Seiten. Es geht aber genau darum: Nicht zu werten!
Praxisbezug
Marketing und Vertrieb
Für den Bereich Marketing ist es sehr wertvoll, die Bedürfnisse von Menschen zu verstehen. Eine Marketingstrategie ist nahezu unbrauchbar, wenn sie die Emotionen der eigenen Zielgruppe nicht anspricht[11]. Niemand kauft Versicherungen, weil sie uns neue Möglichkeiten verschaffen. Versicherungen berühren das Balance-System, welches Risiken und Unsicherheit vermeiden möchte. Niemand kauft Prestigeautomobile, weil sie Harmonie und Wärme zu anderen Menschen mit sich bringen. Niemand unternimmt eine exotische Reise, weil die innere Pflicht entsprechende Impulse dazu gibt. Diese zunächst einmal abstrakt wirkenden Beispiele machen folgendes deutlich: Unternehmen müssen verstehen, welche Emotionen einen Menschen dazu verleiten, genau ihre Produkte zu erwerben. Marketing und Vertriebsaktivitäten sollten genau das unterstützen, was der Kernnutzen eines Produktes im Emotionssystem der Kunden auslöst. Bereits der Markenaufbau und die Positionierung der Firma sollten das typisch limbische Profil der Zielgruppe berücksichtigen. Ein Geschäftsergebnis ist so gut, wie der subjektiv wahrgenommene Nutzen der Zielgruppe. Kunden können sich mehr denn je aussuchen, wo sie kaufen[12]. Eine konsequente Ausrichtung an die Bedürfnisse der Kunden und ein Verständnis für die echten Kaufmotive sind dazu unabdingbar. Folgende Grafik veranschaulicht die Positionierung einiger Automobilhersteller:
Abb. 4: Automarken im Emotionsraum
Personalarbeit
In der Personalauswahl und -entwicklung ist es sehr wichtig, den Menschen hinsichtlich seiner Fähigkeiten und Kompetenzen einzusetzen und dies auch schon in einer Stellenausschreibung richtig zu kommunizieren. Häufig entstehen die Fähigkeiten aus unserer Leidenschaft, uns für ein bestimmtes Wissensgebiet oder eine bestimmte Tätigkeit zu begeistern. Interessen und eine echte intrinsische Motivation für die Arbeit resultieren aus dem Antrieb des vorherrschenden Emotionssystems. Ein Mensch mit einer hohen Affinität für Abwechslung, Fantasie und Kreativität wäre in der Buchhaltung sehr wahrscheinlich unbrauchbar und würde das Unternehmen schnell verlassen. Auf der anderen Seite wäre eine Person mit hoher Dominanzausprägung als Sozialarbeiter sehr wahrscheinlich fehl am Platz. Die Berücksichtigung des limbischen Systems führt in seiner konsequenten Umsetzung dazu, dass Mitarbeiter an den richtigen Stellen eingesetzt werden und die Betriebsergebnisse, das Betriebsklima, die Fluktuation usw. verbessert werden. Das Buch „Think Limbic!“ stellt hierzu einige prototypische Profile zur Verfügung, welche das Beschriebene verdeutlichen[13].
Und zuletzt ein Vorteil, der mit Geld nicht aufzuwiegen ist:
Verbessern Sie Ihre Kommunikation und das Verständnis für die Menschen in Ihrem Leben. Lernen Sie zunächst sich selbst kennen, um im Anschluss ein Gespür für andere Menschen und ihre Bedürfnisse zu entwickeln. Wenn Sie Limbic in Ihren Alltag einbauen, erzielen Sie deutlich bessere Ergebnisse in allen Lebensbereichen, denn Sie lernen so zu kommunizieren, dass andere Sie verstehen können. Sie können Streit und Unmut vermeiden, der häufig aus dem Missverständnis der jeweils anderen Seite resultiert.
Quellenverzeichnis
[1] Vgl. Häusel, H.-G.: 2014, S. 24ff.
[2] Vgl. Häusel, H.-G.: 2014, S. 28.
[3] Vgl. Häusel, H.-G.: 2014, S. 43ff.
[4] Vgl. Akert, R. M./Aronson, E./Wilson, T. D.: 2004, S.62ff.
[5] Vgl. Häusel, H.-G.: 2014, S. 59ff.
[6] Vgl. Donald, M.: 2001, S. 62f.
[7] Vgl. Häusel, H.-G.: 2014, S. 23.
[8] Vgl. Häusel, H.-G.: 2014, S. 65ff.
[9] Vgl. Häusel, H.-G.: 2014, S. 77ff.
[10] Vgl. Häusel, H.-G.: 2014, S. 93ff.
[11] Vgl. Burmann, C./Kirchgeorg M./Meffert, H.: 2015, S. 110f.
[12] Vgl. Keller, K. L./Kotler, P./Opresnik, M.O.: 2015, S. 160.
[13] Vgl. Häusel, H.-G.: 2014, S. 123ff.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Limbic (Quelle: https://www.nymphenburg.de/markenstrategie-markenberatung.html)
Abb. 2: Bewusstsein und Emotionen (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Häusel, H.-G.: 2014, S. 17).
Abb. 3: Die Limbic-Map – Der Emotions- und Werteraum (Quelle: Häusel, H. G.: 2014, S. 113).
Abb. 4: Automarken im Emotionsraum (Quelle: Häusel, H. G.: 2014, S. 193).
Literaturverzeichnis
Akert, R. M. / Aronson, E. / Wilson, T. D.: Sozialpsychologie. 4. Auflage. Pearson. München 2004
Burmann, C. / Kirchgeorg M. / Meffert, H.: Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. 12. Auflage. Springer Gabler. Wiesbaden 2015
Donald, M.: Triumph des Bewusstseins. 1. Auflage. Klett-Cotta. Stuttgart 2008
Häusel, H. G.: Think Limbic!. 5. Auflage. Haufe. Freiburg und München 2014
Keller, K. L. / Kotler, P. / Opresnik, M. O.: Marketing-Management. 14. Auflage. Pearson. Hallbergmoos 2015