In diesem Beitrag wird das Buch „Über dem Orinoco scheint der Mond“ von Harald Lesch und Klaus Kamphausen vorgestellt (1). Die Autoren gehen der Frage nach, warum es uns Menschen ganz offensichtlich sehr schwer fällt, trotz aller bekannten wissenschaftlichen Fakten und beobachtbaren Tatsachen über den Klimawandel, den Zustand der Natur und den schwindenden Ressourcen der Erde wirklich tätig zu werden. Warum ist es uns Menschen nicht wichtiger als alles andere, unsere Lebensgrundlage Erde zu retten?
Dieses Buch versucht die Natur des Menschen neu zu begreifen und was es braucht, um die Welt von morgen zu gestalten.
Die Autoren
Harald Lesch, einer der bekanntesten Naturwissenschaftler Deutschlands, ist Professor für Theoretische Astrophysik am Institut für Anatomie und Astrophysik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Neben zahlreichen Buchveröffentlichungen moderiert er Wissensendungen im Fernsehen.
Klaus Kamphausen ist Publizist und Dokumentarfilmer in München. Er hat gemeinsam mit Harald Lesch bereits drei weitere Bücher veröffentlicht.
Das Buch
Die zentrale These dieses Buches lautet: Der Mensch braucht mehr Zeit (S. 98).
Den Hintergründen für diese Formulierung und dem Zusammenhang zur Ausgangsfrage, warum der Mensch nicht handlungsfähig (genug) ist, um den dringenden Aufgaben der heutigen Zeit gerecht zu werden, gehen die Autoren mit verschiedenen Aspekten nach.
Der Mensch zeigt sich den Personen, Dingen oder Tätigkeiten gegenüber verantwortlich, zu denen er eine Bindung hat bzw. eine Verbindung spürt. Fühlt er sich verantwortlich, ist er bereit sich einzusetzen. Je weniger eine persönliche Bindung oder auch direkte Ansprache besteht, desto mehr kommt das Verantwortungsgefühl oder die Handlungsbereitschaft abhanden.
In Bezug auf die dringenden Fragen unserer Zeit wie z.B. den Umgang mit dem Klimawandel, der abnehmenden Biodiversität der Natur, Umweltverschmutzung oder Ressourcenbegrenztheit gibt es seit Jahrzehnten reichlich Fakten und erkannte Zusammenhänge aus der Wissenschaft. Es werden zudem von namhaften Wissenschaftlern und Ökonomen mögliche Lösungswege aufgezeigt und Bücher darüber verfasst. Daran mangelt es nicht. Woran dann?
Die Autoren ziehen hier einen Zusammenhang zu der heute üblichen Lebensweise der Menschen in einem sozio-ökonomisch-technischen System, welches von der Wissenschaft, Technik und Wirtschaft beherrscht wird. Es wirkt sich auf fast alle Lebensbereiche aus und es geht u.a. darum, mehr Profit und Rendite in immer kürzerer Zeit herauszuholen. Wirtschaftswachstum ist das hoch angestrebte Ziel. Rationalität wird in diesem System als Grundlage gesehen und als Rechtfertigung für „richtiges“ Handeln verwendet. Beispielhaft anhand des Mineralölkonzerns ExxonMobil (S. 64) wird aufgezeigt, dass die Wirklichkeit auch das Gegenteil beweist und hoch irrationales Handeln zugunsten von Profit im Hintergrund wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen steht. Das bekannte Wissen um die Folgen, welche die Verbrennung fossiler Energie hat, wird schlicht ausgeblendet.
Der einzelne Mensch spielt in der Welt solcher Entscheidungen keine Rolle mehr. Er wird immer mehr zum funktionierenden Teil des Systems. Darüber hinaus ist der Mensch heute durch die zunehmende Digitalisierung damit konfrontiert, dass zum Teil die Arbeit und auch andere Lebensbereiche noch schneller und vor allem unpersönlicher abgewickelt werden. Die Folge ist, dass das Verantwortungsgefühl der Menschen gegenüber den Entscheidungen oder Ergebnissen von Entscheidungen, die auf höheren oder auch globalen Ebenen getroffen werden, abnimmt.
Zurück zur These, dass der Mensch mehr Zeit braucht.
Der Mensch braucht wieder mehr Zeit und auch Raum, um in Kontakt zu kommen. Zum einen ist damit der Kontakt zu sich selbst gemeint, zum anderen der Kontakt zu anderen Menschen und damit das Erkennen, dass jeder für sich genommen nicht existieren kann. Der Kontakt zur Natur ist wichtig und die Wahrnehmung dessen, was sie in einem auslöst. Auch die Erkenntnis, dass der Mensch von der Natur abhängig ist und das Leben auf der Erde nur mit ihr funktioniert, kann auf diese Weise klarer werden.
Durch ein „dahin spüren“ entsteht wieder eine Verbundenheit, was beispielsweise dazu führen kann, dass der Mensch mehr Mut aufbringt, Dinge zu tun, die er wirklich für richtig hält. Hier wird Kant erwähnt mit seiner Forderung, den Mut aufzubringen, um sich des eigenen Verstandes zu bedienen (S. 53).
Eine wesentliche Voraussetzung, für diese Art Wahrnehmung oder ein in Kontakt kommen ist neben Zeit und Raum auch Ruhe. Vor allem durch die zunehmende Digitalisierung wird das Leben immer schnelllebiger und ist voll von Ablenkungen wie z.B. in Form von ständiger Erreichbarkeit. Momente, sich um sich selbst zu kümmern und in Kontakt zu treten sind in der heutigen Welt rar und müssen bewusst gestaltet und gesucht werden.
Eine Art Rahmenhandlung des Buches bildet das fiktive Zusammentreffen der Wissenschaftler Alexander von Humboldt, Neil Armstrong und Hannah Arendt mit dem Autor Harald Lesch selbst. Es werden Gespräche geführt oder Handlungen erdacht, in denen die Wissenschaftler jeweils ihre unterschiedlichen Sichtweisen und Gedanken auf die aktuellen Fragen einfließen lassen. Dadurch wird beispielsweise deutlich, wie klar Alexander von Humboldt bereits zu seiner Lebenszeit im 18. Jahrhundert das Wesen der Natur und die Folgen, die menschliche Eingriffe in die Natur haben, erkannt hat. Oder dass ein Perspektivwechsel, wie die Erde vom Mond aus zu betrachten, einschneidende Folgen auf das weitere persönliche Handeln haben kann.
Fazit
Dieses Buch ist sehr lesenswert und spricht wesentliche Themen an in Bezug auf die Bewältigung der zahlreichen und herausfordernden Probleme und Fragestellungen dieser Zeit. Wie lassen sich wirkliche Veränderungen umsetzen und welche Rolle hat jeder einzelne Mensch darin? Welche Rolle spielt das Mensch-Sein in einem durch Wirtschaft und Technik geprägten System? Wie kommen wir Menschen wieder mehr mit unserer Umwelt und der Natur in Kontakt und wofür ist das wichtig?
Was mich an diesem Buch begeistert, ist die Zusammenführung wissenschaftlicher Aspekte mit philosophischen – es regt zum Nachdenken und Nachempfinden an. So lässt sich der Bogen noch weiter spannen und es werden z.B. auch Verbindungen zu gesundheitspsychologischen Themen unserer Zeit deutlich wie hoher Krankenstand durch Erschöpfung, Depression und Stress. Auch hier ist ein wesentlicher therapeutischer Ansatz, durch geeignete Übungen mit sich selbst in Kontakt zu kommen.
Literaturverzeichnis:
1. Lesch, H., & Kamphausen, K. (2022). Über dem Orinoco scheint der Mond. Penguin Verlag.
Bildquelle: https://unsplash.com/de/fotos/vollmond-h6IRVS4x7hU