Barrierefreiheit und Inklusion sind Begriffe, die in den letzten Jahren in vielen Bereichen Einzug erhalten haben. So auch in den Bereich der Architektur. Für Menschen mit Behinderung geht es jedoch häufig über die Barrierefreiheit hinaus. Ein wichtiger Faktor für alle Menschen ist, dass wir uns wohlfühlen. Dieses Gefühl, dass wir uns gern an einer Stelle aufhalten, hat Einfluss auf unser Verhalten. Somit beeinflusst uns die Umgebung und wie diese gestaltet ist. Dies wiederum hat einen Einfluss auf die gesellschaftliche Teilhabe der Menschen. Aus diesem Grund soll in diesem Beitrag beleuchtet werden, wie Räume gestaltet werden können, um sich positiv auf die Verhaltensmodulation auszuwirken.
Der Einfluss der Akustik
Den Raum um uns herum nehmen wir meist unbewusst mit all unseren Sinnen wahr. Räume können uns Geborgenheit und Sicherheit vermitteln, jedoch auch beim Betreten Stress auslösen. Dies kann so weit gehen, dass die Gesundheit nachhaltig gefährdet wird (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 5). Die Stressfaktoren wie Lärm und schlechte Akustik können zu negativem Verhalten führen. Dabei spielen Dauer und Intensität des Geräusches, wie auch die Art, eine entscheidende Rolle. Weiter sind die persönlichen Faktoren wie die eigene Lärmempfindlichkeit und die Akzeptanz der Lärmquelle ausschlaggebend. Harte Oberflächen besitzen eine Nachhallzeit, die sich störend auswirkt. Abhilfe kann hier durch absorbierende Oberflächen, wie Textilien und Pflanzen, geschaffen werden, da sie diesen störenden Akustikeffekt minimieren können. Weiter wirkt sich eine ausgewogene Anzahl von Möbelstücken im Raum positiv auf die Akustik aus (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 89). Ebenfalls negativ auf das Wohlbefinden und die Aggressionsbereitschaft können sich Enge und ein schlechter baulicher Zustand auswirken (Glasow, 2022, S. 31–34). Somit ist zu sehen, dass die Gestaltung der Umgebung einen Einfluss auf die Menschen hat, die sich in ihr aufhalten.
Reizmodulation durch architektonische Gestaltung
Durch die Architektur gestaltete Objekte lösen unterschiedliche Empfindungen aus. Erstmals bewusst wurde das Thema „Psychologie in der Architektur“ bei der Gestaltung von Labyrinthen aufgenommen. Im Allgemeinen wir jedoch der psychologische Aspekt in der Architektur vernachlässigt und ist selten in architektonischen Entwürfen zu finden (Gleiter, 2021). Somit wird wenig berücksichtigt, dass unsere Sinnesorgane ein Gesamtsystem bilden, für das die Natur das richtige Reizniveau bietet. Die Natur reduziert negative Eigenschaften wie Anspannung, Gereiztheit und Stress. Dagegen wird das Sicherheitsempfinden des Menschen erhöht. Dazu tragen visuelle Wahrnehmung, Düfte und Geräusche bei (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 92–93). Somit ist es wichtig diese natürlichen Elemente in die Umgebung zu integrieren. Jeder Mensch ist verschieden, so sind auch seine Bedürfnisse an seine Umgebung unterschiedlich. Eine Einbindung aller Betroffene in die Planung sollte daher bereits zu einem frühen Zeitpunkt erfolgen. In einem EU-geförderten Projekt hat sich gezeigt, dass die Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in die Planung ihres Lebensumfeldes, zu innovativen Lösungen in Architektur und Design führten. Wodurch sich ihre Lebensqualität verbessert und sich eine positive Verhaltensänderung zeigte (KATHOLIEKE UNIVERSITEIT LEUVEN, 2013).
Zimmergestaltung für verhaltensauffällige Menschen
In den Niederlanden wurden bereits einige Räume für Menschen mit aggressiven Verhalten gestaltet. In diesem Zusammenhang wird häufig über das „Zimmer für Dolf“ gesprochen. Dabei war das gezeigte Verhalten für den Menschen selbst und sein Umfeld sehr herausfordernd. Die Räumlichkeiten werden meist ohne die Betroffenen gestaltet. Die Menschen mit herausfordernden Verhalten leben häufig in sehr kahlen und gewaltbeständigen Zimmern mit einer massiven und meist verschließbaren Türe. Die Möbel sind auf ein Minimum reduziert und aus stabilen und einfach zu reinigende Materialen hergestellt. Für das Verhalten wird meist eine Lösung im medizinischen, pflegerischen oder pädagogischen Bereich gesucht. An die Anpassung der gebauten Umgebung wird häufig nicht gedacht. Ein gestalterischer Ansatz benötigt viel Zeit und meist auch finanzielle Ressourcen. Für die Umsetzungen und Planung wird das Verhalten der Menschen unvoreingenommen beobachtet. Daraus erfolgt die räumliche Planung des Lebensumfeldes. Bei Menschen, deren sprachliche Kommunikation nicht vollständig vorhanden war, wird viel durch Beobachtung erarbeitet. Wichtige Plätze der Menschen mit Behinderung werden bei der Gestaltung der Räumlichkeiten aufgegriffen und zu angenehmen Orten ausgebaut, unter der Berücksichtigung der persönlichen Bedürfnisse. Durch die Zusammenarbeit von Architektur und Pädagogik kann ein ansprechendes Umfeld für Menschen mit starken Verhaltensauffälligkeiten geschaffen werden, in dem sie sich wohlfühlen. Die Kosten für die Planungen und Umbaumaßnahmen sind hoch, jedoch reduzieren sich die Kosten für das Personal und die Reparaturen (Möhn, 2021).
Fazit
Die Umsetzungen in den Projekten in den Niederlanden haben gezeigt, dass durch die Gestaltung des Umfeldes das Verhalten von Menschen beeinflusst werden kann. Selbst bei stark geistig behinderten Menschen können durch Beobachtung viele Erkenntnisse und Informationen gewonnen werden. Bei einer Berücksichtigung derer in der Planung, kann sich das Verhalten entsprechend verändern. Dies ist sowohl durch Veränderung von Bestandbauten wie auch bei Neubauten möglich und sinnvoll. Durch architektonische Gestaltung können Menschen zur Selbständigkeit angeregt werden, dadurch fühlen sie sich selbst weniger abhängig (Kirch & König, 2022, S. 28–29). Dazu müssen die Betroffenen, die sich später dort wohlfühlen sollen, bereits zu Beginn in die Planung einbezogen werden. „Der Mensch ist und bleibt – aller Technologisierung zum Trotz – Bestandteil der Natur. Gerade aus diesem Grund ist die Wahrnehmbarkeit der Natur, der Jahreszeiten und des Wetters eine wichtige Erfahrung des Menschen […].“ (Röttgen & Uher, 2022, S. 117). Dies sollte sich sowohl in den Verbindungen nach draußen in die Natur und Umgebung wie auch in der Wahl der Materialien und Farben widerspiegeln. Durch die architektonische Gestaltung kann das herausfordernde Verhalten von Menschen positiv beeinflusst werden. Die laufenden Kosten reduzieren sich, da weniger Reparaturen nötig sind. Durch die Zusammenarbeit der richtigen Stellen kann so eine Umgebung geschaffen werden, die den Menschen gerecht wird und somit den Weg zur gesellschaftlichen Teilhabe ermöglicht. Dieser Ansatz sollte häufiger umgesetzt werden.
Literaturverzeichnis
Glasow, N. (2022). Die drei Säulen der therapeutischen Umweltgestaltung. In L. Hofrichter, M. Köhne, A. Kuckert-Wöstheinrich & J. Kirch (Hrsg.), Soul in space. Psychiatrie trifft Architektur (S. 31–38). Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
Gleiter, J. H. (Bund Deutscher Architekten BDA, Hrsg.). (2021). Effekt und Affekt. Psychologie in der Architektur, Zugriff 08.11.2024. Verfügbar unter: http://derarchitektbda.de/effekt-und-affekt/
KATHOLIEKE UNIVERSITEIT LEUVEN (Europäische Kommission, Hrsg.). (2013). Architectural design In Dialogue with dis-Ability Theoretical and methodological exploration of a multi-sensorial design approach in architecture, Zugriff 23.11.24. Verfügbar unter: https://cordis.europa.eu/article/id/188434-engaging-disabled-people-in-improving-architectural-design/de
Kirch, J. & König, K. (2022). Architektur als Ausdruck des therapeutischen Konzeptes. In L. Hofrichter, M. Köhne, A. Kuckert-Wöstheinrich & J. Kirch (Hrsg.), Soul in space. Psychiatrie trifft Architektur (S. 23–30). Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
Möhn, A. (Bund Deutscher Architekten BDA, Hrsg.). (2021). Ein Zimmer für Dolf. Raumgestaltung als Therapieansatz, Zugriff 08.11.2024. Verfügbar unter: http://derarchitektbda.de/ein-zimmer-fuer-dolf/
Purkarthofer, B. & Friehs, B. (2022). Mensch und Raum, eine glückliche Beziehung? Wohnpsychologie als Planungsgrundlage für Humanes Bauen. Wiesbaden: Springer. Verfügbar unter: http://www.springer.com/
Röttgen, H. & Uher, M. B. (2022). Freiraumgestaltung in geschlossenen Abteilungen: Wie viel „Soul“ passt in einen „Closed Space“? In L. Hofrichter, M. Köhne, A. Kuckert-Wöstheinrich & J. Kirch (Hrsg.), Soul in space. Psychiatrie trifft Architektur (S. 117–124). Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
Titelbildquelle
Titelbild von Octavian lordache veröffentlicht am 14.04.2022 über https://www.pexels.com/de-de/foto/schwarz-und-weiss-schwarzweiss-stuhl-verlassenes-haus-11816755/, abgerufen am 16.02.2025
Nutzungsbedingungen unter https://www.pexels.com/de-de/lizenz/, abgerufen am 16.02.2025