Langweilig, öde, fad – dass Langeweile einen für das Individuum eher unerwünschten Zustand beschreibt, ist gemeinhin unbestritten. Noch dazu ist sie höchst unpopulär: wer will heutzutage zugeben, dass er oder sie sich langweilt. Obwohl Langeweile paradoxerweise aus psychologischer Sicht tatsächlich einen Stressfaktor darstellt (siehe dazu unten) scheint „Stress zu haben“ und dies nach außen zu zeigen in unserer Gesellschaft doch viel eher der eigenen Reputation dienlich. Lediglich ihre jüngsten Mitglieder genieren sich nicht, diese unverblümt und lautstark zu beklagen um schließlich äußere Anregung bei ihren Erziehenden einzufordern.
In der Psychologie sind die negativen Seiten des Konzepts bisher hinlänglich erforscht.[1] Langeweile geht einher mit Freudlosigkeit in der Arbeit, animiert zu ungesundem Verhalten, welches nicht selten in die Sucht kippt, ist ursächlich für verminderte Sexualaktivität und vieles mehr. Auf der Suche nach stärkeren Reizen verantwortet sie in der Folge eine Reihe psycholgischer und sozialer Fehlfunktionen wie Depressionen, Essstörungen, risikoreiches Autofahren, Aggressionen, Spielsucht etc. und treibt nicht nur so genannte Sensation Seeker in höchst risikobehaftete Gefilde. Dabei hat Langeweile durchaus Potenzial uns Individuen in der persönlichen Entwicklung weiter zu bringen. Es lohnt also, den Benefits von Langeweile auf die Spur zu kommen. Dies versucht dieser Beitrag nach einer Begriffsbestimmung.
Konzept der Langeweile
Grundsätzlich unterscheidet die empirische Psychologie bei der Langeweile zwischen einem temporären, situationsbezogenen Zustand (State Boredom) und dem Persönlichkeitsmerkmal, das sich auf Schwelle, Häufigkeit und Intensität bezieht, wie Langeweile vom Individuum erlebt wird (Trait Boredom).[2] Die nunmehrige Auseinandersetzung fokussiert auf der Zustandsbeschreibung, wobei in der Psychologie hierzu bereits vielerlei Aspekte herausgearbeitet worden sind. Als Charakteristika von Langeweile wurden bereits die zeitliche Begrenztheit und der Situationsbezug genannt. Wesentlich ist zudem die Koppelung an die – individuell unterschiedlich erlebte – Sinnhaftigkeit von Tätigkeiten. Diese ist wiederum kulturhistorisch geprägt vom „moralischen Imperativ, sich adäquat gestaltend“ zu verhalten.[3] Kurz: wenn das Individuum einer Tätigkeit nachgeht, die es als subjektiv sinnentleert empfindet, langweilt es sich.
Vier Komponenten
Der Philosoph Elpidorou Andreas hat sich in jüngster Zeit intensiv mit dem Phänomen auseinandergesetzt und weist der Langeweile vier Ebenen zu: die affektive, die kognitive, die physiologische und die Ebene des Willens.[4]
- Die affektive Komponente
Wie eingangs erwähnt, wird Langeweile meist aversiv erlebt, „als das unangenehme Gefühl, eine zufriedenstellende Aktivität ausführen zu wollen, aber nicht zu können.“[5] Langeweile kann als temporäres Unbehagen angesehen werden, langfristig aber auch einen chronischen Stressor darstellen, der in Verbindung mit Depression und Angststörungen und anderen psychischen Belastungen und Verhaltensstörungen in Verbindung gebracht wird. Dem aversiven Merkmal wird außerdem das subjektive Empfinden der Bezugslosigkeit, einem zerstörerischen Sinnverlust[6], zu Grunde gelegt.
- Die kognitive Ebene
Diese bezieht sich darauf, dass „Lange-Weile“ (im wahrsten Sinne des Wortes) als zeitverlangsamend erlebt wird und eine beunruhigende Leere beim Individuum hervorbringen kann.[7]
- Die physiologische Ebene
Hinsichtlich der Aktivität des zentralen Nervensystems gibt es widersprüchliche Ergebnisse, die bei Langeweile sowohl ein steigendes als auch sinkendes Arousal(=Aktivierungs)-Niveau attestieren.[8]
- Die Ebene des Willens
Die Ebene des Willens beschreibt den natürlichen Drang des Individuums, sich der Langeweile durch Änderung der Situation zu entziehen.[9] Diese Ebene bildet die Grundlage für die positiven Auswirkungen von Langeweile, auf die nunmehr der Schwerpunkt gelegt werden soll.
Existenzielle und regulative Funktion
Langeweile kann als psychischer Zustand mit regulativer Wirkung beschrieben werden. Sie weckt bei uns Menschen den Impuls nach adäquater Anregung gegen eine Situation[10], die von Wiederholungen, bedeutungslosen Aufgaben, Unter- oder Überforderung gekennzeichnet ist.[11] Durch diese Selbstregulationsfunktion bekommt Langeweile einen existenziellen Charakter.[12] In einer Studie von Tilburg u.a. (2016) wurde erhoben, dass diese selbstregulierende Funktion beim Individuum auch positive, insbesondere intrapersonale Wirkungen hervorbringt. Langeweile ist als Emotion demnach weder gut oder schlecht, sondern hat vielmehr eine persönliche und soziale Funktion inne. Die Studie geht von der Annahme aus, dass Langeweile Individuen in ihren prosozialen Absichten und darin bestärkt, sich bedeutungsvollen Tätigkeiten zuzuwenden. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass die Studienteilnehmenden in Situationen, die von diesen als sinnentleert erlebt wurden, nach zielgerichteten, bedeutungsvollen Tätigkeiten strebten und vor allem Bereitschaft signalisierten, sich sozial zu engagieren. Je höher dabei der Zweck eines Engagements dabei bewertet wurde, desto eher stieg die individuelle Bereitschaft, sich dafür zu verwenden.[13]
Resümee
Der Wert der Langeweile kann demnach darin zusammengefasst werden, dass sie zum einen die Sensibilität für das eigene Tun fördert und zum zweiten in ihrer Impulsfunktion, das eigene Leben wieder mit Sinn zu füllen.[14]
Es lohnt also durchaus, sich mit dieser vielversprechenden Facette von Langeweile auseinanderzusetzen, um sie künftig vielleicht bewusst für die persönliche Weiterentwicklung zu instrumentalisieren.
[1] Vgl. Van Tilburg, W. A. P. / Igou, E. R. (2016): S. 3
[2] Vgl. Schinkel, S. (2020): S. 175
[3] Vgl. Schinkel, S. (2020): S. 177
[4] Vgl. Elpidorou, A. (2018): S. 457 f.
[5] Vgl. Eastwood, J. D. u.a. (2012)
[6] Vgl. Schinkel, S. (2020): S. 175
[7] Ebenda
[8] Vgl. Schinkel, S. (2020): S. 176
[9] Ebenda
[10] Vgl. Eastwood, J. D. u.a. (2012)
[11] Vgl. Van Tilburg, W. A. P./ Igou E.R. (2016): S. 4
[12] Vgl. Schinkel, S. (2020): S. 175
[13] Vgl. Van Tilburg, W. A. P./ Igou E.R. (2016): S. 1 -15
[14] Vgl. Van Tilburg, W. A. P./ Igou E.R. (2016): S. 9
Quellenangaben:
Eastwood, J. D. u.a. (2012): The unengaged mind: Defining boredom in terms of attention. Perspectives of Psychological Science. 7/5, S. 482 – 495.
Elpidorou, A. (2018): The bored mind is a guided mind: toward a regulatory theory of boredom. In: Phenomenology and the cognitive Sciences, Jg. 17, Heft 3, S. 455 – 484.
Schinkel, S. (2020): Langeweile. In: Schinkel, S./ Hösel, F./ Köhler, S. u.a. (Hrsg.): Zeit im Lebensverlauf. Ein Glossar. Bielefeld: transcript Verlag. S. 173 -178. https://doi.org/10.14361/9783839448625
Van Tilburg, W. A. P./ Igou E.R. (2016): Can Boredom help? Increased prosocial intentions in response to boredom. Self and Identity, 1-15
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