Jede Person hat Vorurteile, auch wenn sie sich dessen nicht immer bewusst ist. Vorurteile begegnen der einen Person seltener, der anderen häufiger. Sie können zu sozialer Ungerechtigkeit führen und es können psychische Auswirkungen für die Betroffenen folgen.1 In ihrer stärksten Ausprägung, der Diskriminierung, können sie uns gefährlich werden. Schon dies sind Argumente genug, um sich für den Abbau von Vorurteilen einzusetzen. Doch ist dies überhaupt möglich?
Die Kurzantwort: Ja! Die längere Antwort und wie dies bewerkstelligt werden kann, folgt in diesem Beitrag.
Was sind überhaupt Vorurteile?
Ein Vorurteil ist zuerst einmal eine Einstellung zu sozialen Gruppen2 und diese Einstellung bestimmt das Denken, Fühlen und Handeln der Person3.
Ein Vorurteil besteht aus drei Komponenten4:
- die kognitive Komponente/ das Stereotyp: sozial geteilte Überzeugungen über eine Gruppe5
- die affektive Komponente: das Gefühl zum Vorurteil
- die Verhaltenskomponente
Für ein echtes Vorurteil müssen die kognitive und affektive Komponente zusammen auftreten.6 Zeigt jemand zu seinem Vorurteil ablehnendes oder aggressives Verhalten, so ist dies Diskriminierung.7
Vorurteile gehen einher mit negativen Gefühlen8 und sind negative, ablehnende Bewertungen von Personen und Gruppen9. Die Bandbreite der Direktheit von Vorurteilen reicht dabei von offenkundig bis subtil.10
Bemerkenswert ist, dass sich Personen, obwohl sie der gleichen Kultur angehören, in der affektiven Komponente unterscheiden können. Gleichzeitig teilen sie dennoch das Stereotyp durch ihre Zugehörigkeit zu ihrer Kultur.11 Ein Beispiel wäre hier der in Deutschland bekannte Stereotyp „Frauen können nicht Auto fahren“. Ich bin mir sicher: Würde ich 100 Personen aus Deutschland befragen, würde jeder dieses Stereotyp kennen, es würden jedoch vermutlich viele ein unterschiedliches Gefühl zu diesem Stereotyp haben.
Und noch eine wichtige Erkenntnis der Forschung: Ein Vorurteil ist auf irgendeiner Weise den Interessen der Person mit Vorurteil nützlich.12 Sei es um sich selbst besser zu fühlen oder sich von einer anderen Gruppe abzugrenzen oder, oder, oder. Zum Weiterlesen zu den Erklärungen von Vorurteilen eignen sich hierbei die Stichworte „Ambiguitätsintoleranz“, „Theorie der sozialen Dominanz“, „soziale Identität“ und „soziale Kategorisierung“ sowie „Eigengruppenbegünstigung“, „Gruppenkontinuität“, „Distinktheit der Gruppe“ und „negative Interdependenz zwischen Gruppen“.
Wie können Vorurteile nun abgebaut werden und warum ist das so schwer?
Vielleicht begegnete Ihnen schon einmal ein Vorurteil und Sie haben versucht es mit Beispielen oder sogar Statistiken und Studien zu widerlegen. Wie hat die andere Person mit dem Vorurteil reagiert? Hat sie sich von ihrem Vorurteil abgewendet? Ich vermute: Nein. Und dies liegt an der affektiven Komponente, dem Gefühl zum Vorurteil. Ist dieses zu stark, bleibt das Vorurteil bestehen13 – egal ob Sie der Person 2 oder 200 Studien sachlich darlegen.
Für den Abbau von Vorurteilen brauchen wir somit einen anderen Weg und dieser muss die affektive Komponente beeinflussen. Die Antwort gibt die Kontakthypothese.14 Sie besagt, dass durch den gesteigerten Kontakt zwischen Personen mit Vorurteil und den bevorurteilten Personen die für den Abbau entscheidende affektive Komponente verändert wird. Darunter zählt auch der erweiterte Kontakt: Ein Mitglied der eigenen Gruppe hat Kontakt zu einem Fremdgruppenmitglied.15
Darüber hinaus verringert eine Übernahme der Perspektive eines Mitglieds der Fremdgruppe und die Förderung der Empathie für das Mitglied ebenfalls Vorurteile.16
Eine Person mit dem Vorurteil, Frauen könnten nicht Auto fahren, könnte dieses Vorurteil abbauen, indem:
- sie häufiger PKW-Insasse von verschiedenen fahrenden Frauen ist (Kontakt)
- sich mit den Frauen über das Fahren austauscht und verschiedene Ansichten akzeptiert (Persepektive)
- versucht zu verstehen, wie sich Frauen fühlen, wenn sie das Vorurteil hören (Empathie)
- mit anderen Personen spricht, die regelmäßig PKW-Insasse von fahrenden Frauen sind (erweiteter Kontakt)
Die Kontakthypothese nennt sechs Bedingungen, die nach neuesten Erkenntnissen nicht notwendig sind, jedoch deutlich den Abbau verbessern.17
Interessanterweise sagt die Kontakthypothese nichts darüber aus, ob dieser Kontakt selbst gewählt sein muss. Ein positives Beispiel hierfür ist das seit über 25 Jahren bestehende Programm Dancing Classrooms des Tanzlehrers Pierre Dulaine18: Kinder aus einer Schule erhalten einen 10-wöchigen Kurs in Gesellschaftstanz, dabei werden die Tanzpaare vom Lehrer zusammengestellt. So tanzen Kinder zusammen, die vorher eventuell noch nie miteinander gesprochen haben, oder – wie im Fall des Kurses in Jaffa mit palästinensischen und israelischen Kindern – Kinder, die zu Anfang des Kurses den Tanzpartner noch nicht einmal berühren wollten.
Warum ist es manchmal dennoch so schwer, Vorurteile zu begegnen und abzubauen? Eine Person muss bis zu einem gewissen Grad die Motivation besitzen vorurteilsfrei zu handeln.19 Auch ist die Anwendung von Vorurteilen stimmungsabhängig und eine Person in positiver Stimmung, die über ihre Vorurteile Bescheid weiß, wendet diese seltener an.20
Des Weiteren gibt es verschiedene Mechanismen, die Vorurteile aufrecht erhalten, wie die illusorische Korrelation21, die Bildung von Subtypen eines Stereotyps22, die selbsterfüllende Prophezeiung23 und normenverankerte Vorurteile einer Gesellschaft24. Doch auch hierbei hilft am meisten der Kontakt zwischen Personen um Vorurteile abzubauen.
Um es zusammenzufassen: Vorurteile hat jede Person. Schon allein zu denken, man selber hätte keine, ist im Grunde ein Vorurteil gegenüber anderen Personen. Vorurteile können krank machen und verletzten. Ziel einer wohlwollenden Gesellschaft und Ziel eines jeden mitfühlenden Menschen sollte es daher sein, Vorurteile abzubauen. Glücklicherweise sind einige Möglichkeiten dafür bekannt und die hilfreichste davon ist der Kontakt.
Meine Empfehlung an Sie, liebe*r Leser*in: Treten Sie in Kontakt mit denen, denen gegenüber Sie Vorurteile hegen, tauschen Sie sich aus, sehen Sie das Individuum hinter der Person und entdecken Sie die vielen Ähnlichkeiten untereinander. Und hat jemand Vorurteile gegenüber Ihnen? Machen Sie das Gleiche und gehen Sie proaktiv auf diese Person zu. Wer weiß, vielleicht können Sie diese Personen bald zu Ihren Freunden zählen.
Fußnoten
1Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 378
2Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 206
3Vgl. Wänke/Bohner (2006), S. 404; Werth/Mayer (2008), S. 206; Orth/Koch (2017), S. 109
4Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 379-380; Orth/Koch (2017), S. 101;
5Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 379; Orth/Koch (2017), S. 210
6Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 380
7Vgl. Orth/Koch (2017), S. 101
8Vgl. Otten (2006), S. 437
9Vgl. Aronson/Wilson/Akert (2014), S. 513; Orth/Koch (2017), S. 101
10Vgl. Spears/Tausch (2014), S. 508-510
11Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 387
12Vgl. Spears/Tausch (2014), S. 511; Orth/Koch (2017), S. 103
13Vgl. Aronson/Wilson/Akert (2014), S. 481
14Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 415-418; Spears/Tausch (2014), S. 548-553; Orth/Koch (2017), S. 106
15Vgl. Spears/Tausch (2014), S. 559-560; Orth/Koch (2017), S. 106
16Vgl. Spears/Tausch (2014), S. 560
17Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 417; Spears/Tausch (2014), S. 552
18Vgl. https://dancingclassrooms.org/
19Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 395-396
20Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 399-400
21Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 419-420; Orth/Koch (2017), S. 103
22Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 423
23Vgl. Werth/Mayer (2008), S. 426-435; Orth/Koch (2017), S. 104-105
24Vgl. Orth/Koch (2017), S. 104
Literaturverzeichnis
https://dancingclassrooms.org/
Aronson, E./Wilson, T./Akert, R. (2014), Sozialpsychologie, 8., aktualisierte Auflage, Pearson. Hallbergmoos.
Orth, H./Koch, A. (2017), Sozialpsychologie, 3. Auflage, Studienbrief der SRH Fernhochschule Riedlingen, Riedlingen.
Otten, S. (2006), Vorurteil. In: Bierhoff, H.-W./Frey, D. (Hrsg.), Handbuch der Sozialpsy cholgie und Kommunikationspsychologie, Hogrefe. Göttingen, S. 437-443.
Spears, R./Tausch, N. (2014), Vorurteile und Intergruppenbeziehungen. In: Jonas, K./Strobe, W./Hewstone, M. (Hrsg.), Sozialpsycholgie, 6., vollständig überarbeitete Auflage, Springer. Berlin, S. 507-564.
Wänke, M./Bohner, G. (2006), Einstellungen. In: Bierhoff, H.-W./Frey, D. (Hrsg.), Handbuch der Sozialpsycholgie und Kommunikationspsychologie, Hogrefe. Göttingen, S. 404-414.
Werth, L./Mayer, J. (2008), Sozialpsychologie, Springer. Berlin.
Beitragsbild: Diana Grüger / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)