By Published On: 23. März 2023Categories: Kommunikation, Psychologie

„Ich fühle mich heute ganz schön depri“, diesen Satz kennen wir alle. Von Bekannten oder vielleicht haben wir ihn auch selbst schon genutzt. „Depri“ ist eine Verniedlichung von depressiv, also einer psychischen Erkrankung. Meistens hat die Person keine entsprechende Diagnose, sondern möchte damit ausdrücken, dass sie einen schlechten Tag hat. Dieser und andere Fachbegriffe haben ihren Einzug in die Alltagssprache gefunden und werden häufig außerhalb des fachlichen Kontextes genutzt. (Weber, 2022). Warum der inflationäre Gebrauch von Fachbegriffen im Alltag und in den Medien problematisch ist, wird im folgenden Beitrag dargestellt.

Warum ist das problematisch? 

Psychische Gesundheit ist ein relevantes Thema und erfährt eine große Präsenz in den Medien. Es ist gut und wichtig, dass eine zunehmende Auseinandersetzung der Gesellschaft mit psychischen Problemen und Erkrankungen stattfindet. Durch den erhöhten Austausch in den Sozialen Medien werden Fachbegriffe verstärkt in der alltäglichen Sprache verwendet. Es wird davon ausgegangen, dass das Gegenüber zumindest intuitiv versteht, was damit gemeint ist. Allerdings werden diese Begriffe oft missverstanden oder im schlimmsten Falle mit einer Diagnose verwechselt. Sie werden zu leichtfertig und vor allem zu häufig verwendet. In den 1980er Jahren wurde z. B. durch die Beschreibung „schizophren“ etwas abgewertet. Heute scheint ein Verständnis für Betroffene mitzuschwingen. Dennoch schadet diesen ein solcher Gebrauch, denn: wenn alle „depressiv“, „traumatisiert“ oder „schizophren“ sind, kann es doch so schlimm nicht sein (Geiser, 2023). So kann ein falsches Bild von psychischen Erkrankungen entstehen. Werden Fachbegriffe als Beleidigung genutzt, schadet dies denjenigen, die tatsächlich darunter leiden. Oft besteht eine hohe Schwelle für Betroffene, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, gleichzeitig sehen sie sich mit scheinbar „einfachen“ Lösungen konfrontiert: „Geh doch mal an die frische Luft, dann geht es dir besser“. (Bozic, 2022).

Sprache beeinflusst das Denken. Wenn psychische Erkrankungen im Alltag präsenter sind, könnte dies zum Verlust ihres Stigmas beitragen. Allerdings sollte bei der Nutzung der Fachbegriffe deren Tragweite und Bedeutung berücksichtigt werden, eben um Stigmatisierung zu vermeiden. Wird beispielsweise schlechte Laune, die harmlos ist, mit Depression, einer ernsthaften psychischen Erkrankung, sprachlich gleichgesetzt, festigt dies das Stigma. Die Erkrankung wird auf die leichte Schulter genommen, wenn so getan wird, als könnte man Depression durch einen Spaziergang heilen. Betroffenen können solche Verharmlosungen als verletzend empfinden (Weber, 2022). Durch die inflationäre Nutzung psychologischer Fachtermini werden psychisches Leiden und Erkrankungen heruntergespielt (Geiser, 2023).

Warum machen wir das?

Menschen denken psychologisch. Sie versuchen, das eigene Verhalten und das anderer Personen zu erklären: wie und warum tritt ein bestimmtes Verhalten, Handeln oder Erleben auf oder bleibt aus. Ein Beispiel in der alltäglichen sozialen Interaktionen ist z.B. der Gedanke „so wie diese Person an der Bushaltestelle steht, ist sie bestimmt schüchtern“. Hierfür hat sich der Begriff „Alltagspsychologie“ oder auch „Küchenpsychologie“ etabliert (Fraissl, 2022, S. 87-88). Denn Menschen wollen andere Menschen verstehen. Hierzu werden Annahmen über deren Psyche getroffen. Dazu zählt etwa Gefühlsäußerungen korrekt zu identifizieren, Motive und Eigenschaften in einen sinnigen Zusammenhang stellen oder Handlungsmuster treffend deuten. Das ist sehr aufwändig, wenn alle Aspekte planvoll und bewusst überprüft werden. Hierfür ist meist keine Zeit, kürzer ist der Weg über die Küchenpsychologie. Interessant ist, dass manches „Wissen“ Jahrzehnte oder länger überlebt, obwohl es nach fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen als Unsinn widerlegt wurden. Die Alltagspsychologie hat keine Zugangsbeschränkungen, kein fundiertes Hintergrundwissen und keine erkenntnisleitende Methodik. Warum also greifen Menschen darauf zurück? Weil es manches leichter macht, zumindest kurzfristig. Das Leben ist komplex, wiederkehrende Muster sparen Zeit und Energie, entsprechend nachhaltig werden diese neurobiologisch im Gehirn eingeprägt. Eine durchgehende psychologische, wissenschaftliche Analyse wäre komplett überfordernd. Muster hingegen, die in der Umwelt erkannt werden, bieten Sicherheit und eine schnelle Erklärung (Rohde, 2018).

Was kann man tun?

Auch wenn es passend erscheint, ist es nicht richtig, ein*e Kolleg*in als „autistisch“ oder narzisstisch“ zu beschreiben. Dies ist einerseits aus fachlicher Sicht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit falsch. Gleichzeitig bietet Sprache eine Vielfalt an Alternativen, die angemessener sind. Besonders Fachkundigen kommt eine erhöhte Verantwortung zu. Ist dieser Ausdruck wirklich nötig oder gibt es ein anderes Wort der Alltagssprache, das passt? Statt „Ich fühle mich heute etwas depri“ wäre z.B. „ich habe heute einen schlechten Tag“ eine Alternative (Geiser, 2023). Sinnvoll ist es, die eigene Verwendung solcher Begriffe, wie z.B. narzisstisch, depressiv, schizophren etc., im Alltag zu reflektieren. Ebenso ist eine fundierte Auseinandersetzung mit den Krankheitsbildern nützlich, um sich und das eigene Umfeld zu sensibilisieren. Bei Kopfschmerzen wird auch nicht direkt von einem Hirntumor gesprochen, ebenso wenig wird ein gebrochenes Bein beklagt, nachdem man sich den Fuß am Couchtisch gestoßen hat. Auf diese Art sollten auch psychologische Begriffe genutzt werden (Bozic, 2022). Dies ist in der Alltagssprache zu berücksichtigen, um bewusster und sensibler zu formulieren. Denn nur, weil es die gewünschte Hose nicht mehr in der richtigen Größe gab, handelt es sich noch nicht um ein Trauma (Weber, 2022).

Zusammenfassung

Psychologische Fachbegriffe und Erkrankungen haben sprachlichen Einzug in den Alltag gefunden. Dies ist einerseits positiv, um zu Entstigmatisieren und zu Sensibilisieren. Gleichzeitig ist der inflationäre Gebrauch dieser Begriffe problematisch: häufig sind sich Menschen der Tragweite nicht bewusst, wodurch psychische Erkrankungen verharmlost und stigmatisiert werden können. Daher ist ein reflektierter und angemessener Umgang unabdingbar. Insbesondere Fachleuten kommt hier eine erhöhte Verantwortung bei der Verwendung derartiger Begriffe zu, denn ihnen sollte bewusst sein, dass ein Unterschied zwischen „sich depri fühlen“ und einer Depression besteht.

Literatur

Bozic, F. (2022). 7 psychologische Begriffe in der Alltagssprache, die Krankheiten verharmlosen. Warda. Verfügbar unter: https://warda.at/magazin/lifestyle/7-psychologische-begriffe-verharmlosung-sprache/

Fraissl, D. (2022). Psychologische Bildung. Eine philosophische Annäherung. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37696-3

Geiser, E. (2023). „Ich fühle mich heute etwas depressiv“. Neue Zürcher Zeitung. Verfügbar unter: https://www.nzz.ch/wissenschaft/sychologische-fachbegriffe-werden-heute-inflationaer-verwendet-ld.1721044

Rohde, S. (2018). Mythen der Küchenpsychologie. Psychologie Heute. Verfügbar unter:  psychologie-heute.de/gesellschaft/artikel-detailansicht/39375-mythen-der-kuechenpsychologie.html    

Weber, B. (2022). Toxisch, Trauma, Trigger. Warum wir Mental-Health-Begriffe nicht leichtfertig verwenden sollten. Deutschlandfunk Nova. Verfügbar unter: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/trauma-trigger-toxisch-warum-wir-mental-health-begriffe-nicht-leichtfertig-verwenden-sollten

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