Die Psychologie der Preisgestaltung ist weit mehr als nur eine Nebensächlichkeit im Geschäftsbetrieb. Sie ist eine vielschichtige Disziplin, die an der Kreuzung von Verkaufsstrategien, Verbraucherverhalten und kognitiver Psychologie angesiedelt ist. In einer dynamischen Geschäftswelt und einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft wird die Bedeutung dieses Forschungsfelds immer deutlicher (Kumar & Pandey, 2017).
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Die Psychologie hinter Preisen
Traditionelle ökonomische Modelle, die auf der Annahme basieren, dass Verbraucher stets rational handeln, greifen hier zu kurz. Tatsächlich zeigt die empirische Forschung, dass Emotionen und kognitive Verzerrungen erheblichen Einfluss auf Kaufentscheidungen haben. Beispielsweise kann der sogenannte Lockvogeleffekt, bei dem eine weniger attraktive Option in ein Angebot aufgenommen wird, die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die attraktivere Option gewählt wird (Laja, 2021).
Diese Verzerrungen machen Preisentscheidungen zu einem komplexen Prozess, bei dem subjektive Faktoren wie das Empfinden eines „fairen Preises“ eine Rolle spielen. Infolgedessen sind die traditionellen Methoden der Preisfindung oft nicht mehr ausreichend (Laja, 2021).
Glücklicherweise gibt es verschiedene Werkzeuge und Taktiken, die darauf abzielen, diesen Herausforderungen zu begegnen. So sind „Charm Preise“, die auf der Ziffer 9 enden, im Durchschnitt 24% effektiver als objektiv niedrigere Preise (Laja, 2021). Und das Prinzip der „Ankerung“ hat sich als wirksam erwiesen, um die Preiswahrnehmung zu beeinflussen (Asamoah & Chovancová, 2011).
Trotz des Erfolgs dieser Strategien ist die wissenschaftliche Grundlage in einigen Fällen noch nicht vollständig etabliert (Schindler & Wiman, 1989). Dennoch werden sie in der modernen Geschäftspraxis bereits intensiv eingesetzt. Sie unterstreichen die aktive Rolle des Verbrauchers im Entscheidungsprozess und zeigen, dass Verkaufsstrategien, die die Psychologie der Preisgestaltung berücksichtigen, in der heutigen komplexen Marktlandschaft unverzichtbar sind.
Egal, ob Sie Marketer, Verkaufsprofi oder Forscher sind, die Erkenntnisse in diesem Bereich bieten wertvolle Perspektiven. Sie können dazu beitragen, nicht nur den Verkauf und die Rentabilität zu steigern, sondern auch ein tieferes Verständnis für das Zusammenspiel von Verhalten, Kognition und ökonomischer Entscheidungsfindung zu entwickeln.
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Manipulation durch Preise
In einer Welt, die von komplexen wirtschaftlichen Faktoren und wechselhaftem Verbraucherverhalten geprägt ist, werden agile Preisstrategien immer wichtiger. Verschiedene Faktoren wie die Branche, das Produkt und die Zielgruppe beeinflussen die Wirksamkeit einer Preisstrategie, und auch soziodemografische Faktoren wie Alter und Geschlecht können eine Rolle spielen (Kumar & Pandey, 2017). Angesichts dieser Komplexität wollen wir einige verbreitete Preisstrategien und ihre zugrunde liegenden psychologischen Mechanismen beleuchten.
Decoy Pricing: Das Prinzip des Lockvogeleffekts (Decoy Pricing) zeigt, wie das Hinzufügen einer weniger attraktiven Option die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Verbraucher die teurere, aber wertvollere Option wählen (Laja, 2021). Dieser Effekt veranschaulicht, wie der Wert von Optionen oft relativ zu ihren unmittelbaren Alternativen bewertet wird.
Das Kontrastprinzip: Diese Strategie zielt darauf ab, die Preiswahrnehmung durch das Nebeneinanderstellen von drastisch unterschiedlichen Optionen zu beeinflussen. So erscheint ein Steak für $50 viel ansprechender, wenn es neben einem $150 teuren Burger präsentiert wird (Laja, 2021).
Neun-Endpreis-Strategie: Die Endung eines Preises mit der Ziffer 9 kann die Verkäufe signifikant steigern. Diese sogenannten „Charm Preise“ sind effektiver als objektiv niedrigere Preise und können Verkäufe durchschnittlich um 24% steigern (Ortega & Tabares, 2022).
Ungerade und Gerade Preisendungen: Die Wahl der Endziffern kann ebenfalls strategisch wichtig sein. Während Luxusmarken oft auf 00-Endungen setzen, verwenden Discountläden meist 99-Endungen, um die Preiswahrnehmung der Kunden zu beeinflussen (Stiving & Winer, 1997).
Pay What You Want (PWYW): Diese Strategie legt den Preis in die Hände des Kunden und ist besonders in Märkten mit niedrigen Grenzkosten effektiv. Sie baut auf das individuelle Fairness-Empfinden des Kunden auf (Laja, 2021).
„Pennies-a-day“-Strategie: Indem der Preis als kleine tägliche Ausgabe dargestellt wird, kann die psychologische Barriere für den Kauf gesenkt werden (Laja, 2021).
Verankerungseffekt: Dieses Prinzip basiert auf dem Einsatz eines höheren Referenzpreises als Ausgangspunkt, um die Kaufentscheidungen der Kunden positiv zu beeinflussen (Kotler & Keller, 2005).
Zusätzlich zu diesen Strategien können auch kleinere Veränderungen, wie das Weglassen von Währungssymbolen, die Bereitschaft der Kunden zum Kauf beeinflussen. Kontinuierliche Tests und Anpassungen sind entscheidend, um effektive Preisstrategien in einer sich ständig verändernden Marktlandschaft zu entwickeln.
Fallbeispiele der Preispsychologie
Um dieses komplexe Thema zu illustrieren, lassen sich konkrete Fallbeispiele anführen, die die Effektivität bestimmter Preisstrategien zeigen.
Beginnen wir mit dem „Pay What You Want“ (PWYW)-Modell, welches besonders interessant ist, da es die Preisgestaltung in die Hände der Kunden legt. Die Band Radiohead hat diese Strategie meisterhaft eingesetzt, um die starke emotionale Bindung zu ihren Fans in Gewinn umzumünzen. Ähnlich erfolgreich war die Restaurantkette Panera Bread, obwohl sie sich Herausforderungen wie kulturellen Normen und Missbrauch durch einige Kundengruppen gegenübersah (Laja, 2021). Das Altruismus-Element, bei dem ein Anteil des Preises an wohltätige Zwecke geht, scheint die Zahlungsbereitschaft der Kunden weiter zu erhöhen (Laja, 2021).
In einem ganz anderen Kontext hat Starbucks die Preisgestaltung durch Branding und Produktplatzierung revolutioniert. Durch die Einführung von speziellen Produktbezeichnungen wie „Pike’s Place Brew“ oder „Caramel Macchiato“ konnte das Unternehmen eine neue Preiskategorie etablieren und so den Umsatz ankurbeln (Laja, 2021).
Auch der Verankerungseffekt, bei dem ein höherer Ausgangspreis als Referenzpunkt dient, kann erhebliche Auswirkungen haben. Diese Strategie zielt darauf ab, den mentalen Aufwand der Preisbewertung zu reduzieren und lenkt die Wahrnehmung der Kunden positiv (Kotler & Keller, 2005).
Die Wahl der Endziffern in den Preisen spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle in der Wahrnehmung von Qualität und Wert. Während runde Preise in Luxussegmenten als Qualitätsindikator gesehen werden (Ortega & Tabares, 2022), neigen Basismarken in der Konsumgüterindustrie dazu, die sogenannten „Charm Preise“ mit einer Endung von 99 Cent zu verwenden, um die Verkaufszahlen zu erhöhen (Ngobo et al., 2010).
Wichtig ist, dass Preisstrategien nicht isoliert betrachtet werden sollten. Die erfolgreiche Anwendung dieser Methoden erfordert ein umfassendes Verständnis von Marktbedingungen, sozialen Normen und individuellen Präferenzen. Daher ist eine ganzheitliche Herangehensweise, die sowohl analytische als auch emotionale Einsichten berücksichtigt, entscheidend für den Erfolg in der modernen Geschäftswelt.
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Fazit
Die bearbeiteten Quellen verdeutlichen eindrucksvoll, wie facettenreich und entscheidend die Psychologie der Preisgestaltung in der modernen Wirtschaft ist. Von traditionellen ökonomischen Modellen bis zu innovativen Ansätzen wie „Pay What You Want“ und dem Verankerungseffekt zeigt sich, dass die erfolgreiche Preisbildung weit mehr erfordert als bloße Kostenkalkulationen. Sie ist vielmehr ein komplexer Prozess, der die emotionale und kognitive Landschaft des Verbrauchers berücksichtigen muss.
Während zahlreiche Strategien in der Praxis bereits erfolgreich angewendet werden, ist die wissenschaftliche Fundierung in einigen Fällen noch ausbaufähig. Zukünftige Forschung sollte daher darauf abzielen, die Mechanismen hinter den vorgestellten Preisstrategien weiter zu erforschen und zu validieren.
Angesichts der sich stetig verändernden Marktlandschaft und des Fortschritts in der Verhaltensforschung können wir erwarten, dass die Psychologie der Preisgestaltung auch in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen wird. Es ist für Marketer, Verkaufsprofis und Forscher gleichermaßen entscheidend, sich kontinuierlich in diesem Bereich weiterzubilden, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den sich verändernden Anforderungen der Verbraucher gerecht zu werden.
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Literaturverzeichnis
Ortega, M. A. & Tabares, A. F. (2022). Psychological pricing: Myth or reality? The impact of nine-ending prices on purchasing attitudes and brand revenue. ScienceDirect. Zugriff am 11.09.2023 Verfügbar unter https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0969698922002995
Ngobo, P. V., Legohérel, P. , Guéguen N. (2010). A cross-category investigation into the effects of nine-ending pricing on brand choice. ScienceDirect. Zugriff am 11.09.2023 Verfügbar unter https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0969698910000330
Kumar, S. & Pandey, M. (2017). The impact of psychological pricing strategy on consumers‘ buying behaviour: A qualitative study. International Journal of Business and Systems Research. Zugriff am 11.09.2023 Verfügbar unter https://www.researchgate.net/publication/312011520_The_impact_of_psychological_pricing_strategy_on_consumers’_buying_behaviour_A_qualitative_study
Laja, P. (2021). Pricing Experiments You Might Not Know, But Can Learn From. CXL. Zugriff am 11.09.2023 Verfügbar unter https://cxl.com/blog/pricing-experiments-you-might-not-know-but-can-learn-from/
Kotler, P. & Keller, K.L. (2005) Marketing Management, 12th ed., Prentice Hall, USA.
Asamoah, E.S. & Chovancová, M. (2011) ‘The influence of price endings on consumer behavior: an application of the psychology of perception’, Acta Universitatis Agriculturae et Silviculturae Mendelianae Brunensis, Vol. 59, No. 7, pp.29–38.
Schindler, R.M. & Wiman, A.R. (1989) ‘Effects of odd pricing on price recall’, Journal of Business Research, November, Vol. 19, No. 3, pp.165–177.
Gendall, P. (1998) ‘Estimating the effect of odd pricing’, Journal of Product and Brand Management, Vol. 7, No. 5, pp.421–432.
Stiving, M. & Winer, R.S. (1997) ‘An empirical analysis of price endings with scanner data’, Journal of Consumer Research, Vol. 24, No. 1, pp.57–67.
Bildnachweis
Bild 1: https://www.pexels.com/de-de/foto/schwarze-geschenkboxen-mit-rabattschildern-5872348/