By Published On: 21. Januar 2017Categories: Wiki
Abb. 1: Digitale Medien – Fluch oder Segen?

Abb. 1: Digitale Medien – Fluch oder Segen?

Smartphone, Tablet, Laptop und damit eng verbunden Google, Facebook, Twitter und Co. sind aus dem heutigen Leben nicht mehr weg zu denken. Sowohl der Arbeitsalltag als auch der private Bereich werden zunehmend von digitalen Medien bestimmt. Neue Technologien erleichtern und vereinfachen an vielen Stellen die Arbeit und ermöglichen eine rasante Abwicklung in viererlei Hinsichten. Allerdings gibt es auch Kritiker dieser technologischen Entwicklungen, die für viele mittlerweile selbstverständlich geworden sind. Mit seinem Buch „Digitale Demenz – Wie wir uns und unsere Kinder um den Versand bringen“ hat Manfred Spitzer, populärer Gehirnforscher und Psychiater, auf negative Auswirkungen und Gefahren digitaler Medien aufmerksam gemacht. Welche Erkenntnisse und Behauptungen der Autor dabei aufgestellt hat, beleuchte ich im folgenden Beitrag.

 

Wortherkunft

„Digitale Demenz“ ist eine Wortschöpfung von Spitzer. Dabei versteht er unter „Demenz“ nicht nur Vergesslichkeit, sondern er schließt das gesamte Spektrum von geistiger Leistungsfähigkeit über das Denken bis hin zur Kritikfähigkeit und dem Zerfall der Persönlichkeitsstruktur ein, welche sich allesamt im Gehirn abspielen.[1] Sofern dieses nicht kontinuierlich trainiert wird (beispielsweise im Rahmen von Lernen, Wiederholen oder aktivem Überlegen), vermindert sich der geistiger Zustand mit fortschreitender Zeit.[2] Es werden weniger Synapsen gebildet, welche wichtige Informationen von Nervenzelle zu Nervenzelle übertragen bis letztendlich sogar Nervenzellen im weiteren Verlauf gänzlich verkümmern. „Digital“ dagegen inkludiert alle digitalen Medien und die damit zusammenhängende digitale Kommunikations- und Informationstechnologie, welche Spitzers Ansicht nach Auslöser der „Digitalen Demenz“ sind.[3]

Miteinander verknüpft figuriert die „Digitale Demenz“ somit einen Rückgang der geistigen Leistungsfähigkeit bedingt durch die Nutzung digitaler Medien.

 

Spitzers Sicht auf die digitale Welt

Abb. 2: Geht es überhaupt noch ohne digitale Hilfsmittel?

Abb. 2: Geht es überhaupt noch ohne digitale Hilfsmittel?

Als Gehirnforscher hat Spitzer die hier vorliegende Thematik aus Sicht der Neurowissenschaft erörtert. Er vertritt konsequent die Meinung, dass digitale Medien zu einer systematischen Verdummung der nächsten Generationen führen werden.[4] Zur Stützung seiner These führt er unter anderem folgende Argumente an, welche er in seinem Buch explizit mit Studien belegt:

»  Geistige Leistungen werden auf mobile Endgeräte wie Smartphones, Laptops, Tablets, etc. ausgelagert (z.B. Erinnerungsfunktionen im Smartphone, Navigationshilfe über das Navigationssystem,…) und nehmen Menschen die Arbeit im negativen Sinne ab. Dadurch, dass man sich zu sehr auf digitale Hilfsmittel verlässt, wird dem Gehirn indiziert, dass es keine Informationen mehr einspeichern muss.[5]  Da die Informationen in diversen Medien jederzeit abrufbar sind, setzen sich Menschen mit dem Inhalt nicht mehr auseinander – die Erinnerungsleistung nimmt ab und die „neuronale Hardware“ verkümmert.[6]

»  Eine mangelnde Verarbeitungstiefe beispielsweise durch die oft genutzte Copy-and-Paste-Funktion oder eine Mitschrift einer Vorlesung am Laptop ist zugegen, welche dafür sorgt, dass Inhalte nicht im Gedächtnis gespeichert werden und somit langfristiges Erinnern unmöglich machen.[7] Hinzu kommt nach Spitzers Meinung, dass in den digitalen Medien eine außerordentliche Oberflächlichkeit vorherrscht. Es gibt dort kein Wissen, sondern nur Informationen – Wissen muss eigenständig aufgebaut und angeeignet werden, um es zu behalten und um es mit anderen Gedächtnisinhalten verknüpfen zu können.[8]

»  Da soziale Kontakte (face-to-face) durch die Nutzung neuer Medien zunehmend vernachlässigt werden und somit die Entwicklung des Sozialverhaltens gerade bei jungen Menschen eingeschränkt ist, entwickeln sich Gehirnareale, welche dafür zuständig sind, atypisch.[9] Das Spielen von Videospielen kann sogar soweit führen, dass Kindern und Jugendlichen jegliche Art von Mitgefühl und Empathie verloren geht.[10]

Weitere gesundheitliche Folgen des Konsums digitaler Medien sind insbesondere Schlaflosigkeit[11], Stoffwechselstörungen einhergehend mit Übergewicht und Diabetes sowie Stress und Depressionen.[12] Folglich rät Spitzer allen eisern, digitale Medien zu meiden. Insbesondere Kinder gilt es, davor zu schützen.[13]

 

Widersprüche und Kritik

Gegenstimmen zu seinen Ansichten bekommt Spitzer von verschiedenen Richtungen. Psychologen wie Small, Stone und Storm widerlegten in ihren Studien Spitzers Aussagen in Bezug auf mangelnder Erinnerung bei Auslagerung von Wissen auf digitale Medien. Ihren Forschungsergebnissen nach wird dadurch offensichtlich Kapazität für weitere Informationen freigeräumt und das Lernen neuer Informationen erleichtert.[14] Auch Studien des „Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet“ zufolge kann nicht bestätigt werden, dass die Nutzung digitaler Medien negative Folgen auf das Sozialverhalten junger Menschen hat. Digitale Kommunikation wird stets um soziale Kontakte ergänzt und diese Kombination fördert laut der Forscher die soziale Integration in Freundeskreis und Familie umso stärker.[15] Weitere Kritiker enttarnen auch analoge Medien als oberflächlich, weshalb dies nicht nur ein Phänomen der digitalen Welt ist. Gesundheitliche Folgen wie Übergewicht, Diabetes und Stress sind zudem nicht allein auf digitale Medien zurückzuführen.[16]

Außerdem raten sie wiederum von einer gänzlichen Abschottung von digitalen Medien ab. Vielmehr muss eine gezielte Auseinandersetzung mit ihnen erfolgen sowie ein gezieltes Heranführen mit begleitenden Gesprächen insbesondere mit Kindern stattfinden, um auf eine zunehmend digitalisierte Zukunft ausreichend vorbereitet zu sein.[17]

 

Fazit und Empfehlung

Abb. 3: Google – „mein Freund und Helfer“

Abb. 3: Google – „mein Freund und Helfer“

Die Ausführungen von Spitzer sind für viele nachvollziehbar, da sie aus neurowissenschaftlicher und sozialpsychologischer Sicht durch diverse Studien belegt sind. Auch ist es für jeden im Alltag offensichtlich, dass Suchmaschinen wie Google vermehrt bei den einfachsten Fragen zum Einsatz kommen oder Shazam[18] kurzerhand zur Hilfe gezogen wird, wenn man nicht gleich auf den Titel des Songs kommt, der im Radio gespielt wird. Trotz der ausgeführten Risiken darf nicht unbedacht bleiben, dass die digitalen Medien auch vielfältige Chancen mit sich gebracht haben. Sie ermöglichen uns einen unkomplizierten Austausch mit der ganzen Welt und können schwere körperliche Arbeit abnehmen. Eine Welt ohne digitale Medien ist aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäß und undenkbar. Wie in allen Bereichen müssen extreme Entwicklungen jedoch stets kritisch hinterfragt werden und ein verantwortungsvoller und sachgerechter Umgang mit digitalen Medien gepflegt werden.

Dennoch ist die Lektüre des Buches „Digitale Demenz“ von Manfred Spitzer lohnenswert. Darüber hinaus gebieten interessante Diskussionen Einblick in Spitzers Persönlichkeit und sein bedingungsloses Meinungsbild, wie beispielsweise in der Talkrunde „Anne Will“ vom 30.10.2016:

http://daserste.ndr.de/annewill/archiv/Der-Fall-Al-Bakr-Ist-der-Staat-dem-Terror-gewachsen,erste11278.html

 

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