By Published On: 27. September 2024Categories: Gesundheit, Nachhaltigkeit, Psychologie

Die Menschheit hat sich evolutionär über Jahrtausende in einem relativ stabilen Klima entwickelt und an einen engen Temperaturbereich angepasst (Metzen & Ocklenburg, 2023, S. 17). Doch seit den 1950er Jahren steigen die globalen Temperaturen ungewöhnlich schnell. Die Folgen der menschengemachten Klimakrise wie Naturkatastrophen, dem Schmelzen der Polkappen und dem damit einhergehenden Anstieg des Meeresspiegels etc. sind bekannt. Eine Beeinträchtung, die vielleicht nicht direkt mit der Klimakrise assoziiert wird, sind Auswirkungen auf die Psyche (Metzen & Ocklenburg, 2023, S. 1). 

Abb. 1: Durchschnittliche jährliche globale Temperaturschwankungen von 1850 bis 2022

Abb. 1: Durchschnittliche jährliche globale Temperaturschwankungen von 1850 bis 2022


Die Durchschnittskörpertemperatur von gesunden Menschen liegt bei ungefähr 36°C und die Durchschnittstemperatur des Gehirns ist aufgrund der Stoffwechselrate 1-2°C höher. Dabei liegt die optimale Umgebungstemperatur für das Gehirn deutlich unter seiner Kerntemperatur. So beginnt die kognitive Leistungsfähigkeit schon oberhalb von 23-27°C zu leiden. Wenn es noch heißer ist, fällt es dem Gehirn zunehmend schwerer, körperliche Regulationsprozesse aufrecht zu halten. Die Hirntemperatur kann sich von innen bspw. durch Fieber oder von außen bspw. bei einem Sonnenstich erhöhen. Aber auch weniger drastische Hitze beeinflusst das empfindliche Gehirn. So konnten bisher schon einige Hirnareale identifiziert werden, die durch erhöhte Umgebungstemperaturen negativ beeinflusst werden. Die Auswirkungen von Hitze können jene Areale beeinflussen, die an höheren kognitiven Funktionen und Schlaf beteiligt sind (Metzen & Ocklenburg, 2024, S. 64; Zhao et al., 2023, S. 6). Bei starker Hitze fällt es den meisten Menschen deutlich schwerer ein- und durchzuschlafen. Der Grund dafür ist, dass unser Schlafrhythmus an den zirkadianen Temperatur-Rhythmus gekoppelt ist. Bei steigender Temperatur über einen bestimmten Bereich schafft es die körpereigene Thermoregulation nicht mehr, für ausreichend Abkühlung zu sorgen. Damit wird es schwierig, einen gesunden Schlafrhythmus und psychische Gesundheit aufrecht zu erhalten. Schlafdefizite sind assoziiert mit verringerter kognitiver Leistungsfähigkeit, Depressivität, verringerter Produktivität und gehäuften Arbeitsunfällen und können somit zu deutlichen psychischen und auch physischen Beeinträchtigungen führen (Metzen & Ocklenburg, 2023, S. 19). 

Auch von Hitzestress betroffen sein kann die natürliche Barriere der Blut-Hirn-Schranke. Das Blut transportiert lebensnotwendige Nährstoffe und Sauerstoff. Darin befindliche Toxine oder Keime werden durch die Blut-Hirn-Schranke am Eindringen ins Zentralnervensystem gehindert. Die notwendige Filterfunktion kann durch erhöhte Körpertemperatur infolge extremer Hitze gestört werden. Die in das Gehirn diffundierenden Schadstoffe werden vom Immunsystem bekämpft, wobei es – mit dem Ziel, das Gehirn zu schützen und Eindringlinge schnell zu vernichten – zu einer Entzündungsreaktion von Hirngewebe, der sog. Neuroinflammation, kommen kann. Bei einer besonders hohen Anzahl an Toxinen kann es zu einer überschießenden Abwehr kommen, die die Hirnzellen angreift. Die Folgen können dramatisch sein, da es zu schweren neurologischen Schäden kommen kann. Zusätzlich kann es durch lange Hitzewellen und andauernder Trockenheit zu einer Zunahme von Waldbränden und einer Austrocknung der oberen Bodenschicht kommen. Die dadurch entstehende Schadstoffbelastung der Luft führt dazu, dass mehr Toxine ins Blut und durch eine geschädigte Blut-Hirn-Schranke entsprechend auch ins Gehirn gelangen. Dies zeigt die Gefahr für die Funktion der Blut-Hirn-Schranke, wenn Hitzetage stetig zunehmen (Metzen & Ocklenburg, 2024, S. 66-67). 

Die Auswirkungen von Hitze auf die psychische Gesundheit zeigt sich darüber hinaus in einem Anstieg der Hospitalisierungsrate von bereits erkrankten Personen bei Hitzewellen. Eine mögliche Erklärung dafür sind Wechselwirkungen mit Medikamenten. So können bspw. Antipsychotika oder Antidepressiva die Thermoregulation stören (Metzen & Ocklenburg, 2023, S. 18). Sehr direkte Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Menschen zeigen Waldbrände, Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen. Sie gehen einher mit einer Erhöhung der Prävalenz von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen (Metzen & Ocklenburg, 2023, S. 23).

Fazit

Das alles zeigt, dass es sich bei der Klimakrise nicht nur um eine ökologische Katastrophe, sondern auch um eine dramatische Bedrohung für die psychische Gesundheit der Menschen weltweit handelt (Metzen & Ocklenburg, 2023, S. 33). Natürlich können sich die meisten Menschen individuell an heißen Tagen schützen, um eine weitere Belastung zu vermeiden, jedoch sollten wirksame Klimamaßnahmen initiiert und konsequent umgesetzt werden (Metzen & Ocklenburg, 2024, S. 67). Um die psychische Gesundheit der Menschen zu schützen, empfiehlt die World Health Organization (WHO) u. a. Schritte wie die Einbeziehung der Folgen des Klimawandels bei der Entwicklung von Programmen zur psychischen Gesundheit, Investitionen in Forschung und auch Notfallpläne für Naturkatastrophen (Savage, Villalobos Prats, Campbell-Lendrum & Dazé, 2021, S.13).

Auch wenn sich das individuelle Wohlfühlklima einer Person deutlich von dem anderer Personen unterscheiden kann, ist der Temperaturbereich, in dem der menschliche Körper und das Gehirn bestmöglich funktionieren können, erstaunlich schmal. Es ist deutlich geworden, dass durch den Klimawandel und die Erderwärmung negative Folgen für die psychische Gesundheit entstehen und ein dringender Handlungsbedarf in der Gesundheitsversorgung besteht. Dieser bezieht sich insbesondere auf die psychologische und neurowissenschaftliche Forschung. Die Klimakrise als enormer Auslöser psychischer Erkrankungen in den nächsten Jahrzehnten benötigt eine Klimaneurowissenschaft, die sich einerseits mit Ursachen und aufrechterhaltenden Faktoren der Klimakrise und andererseits mit den Mechanismen der Entstehung psychischer und physischer Belastungen der Klimakrise neurowissenschaftlich auseinandersetzt. Das wäre eine gute Grundlage, um sinnvolle Gegenmaßnahmen gegen den Anstieg psychischer und physischer Belastungen und Erkrankungen durch die Klimakrise zu finden (Metzen & Ocklenburg, 2023, S. 37, 41; Metzen & Ocklenburg, 2024, S. 63). 

Literaturverzeichnis

Metzen, D. & Ocklenburg, S. (2023). Die Psychologie und Neurowissenschaft der Klimakrise: wie unser Gehirn auf Klimaveränderungen reagiert (essentials). Berlin [Heidelberg]: Springer.

Metzen, D. & Ocklenburg, S. (2024). Wenn das Hirn heiß läuft (Gehirn & Geist), (07/2024).

Savage, A., Villalobos Prats, E., Campbell-Lendrum, D. & Dazé, A. (2021). Health in national adaptation plans: review. Geneva: World Health Organization; Zugriff am 14.7.2024. Verfügbar unter: https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/340915/9789240023604-eng.pdf?sequence=1

Zhao, N., Chung, T. D., Guo, Z., Jamieson, J. J., Liang, L., Linville, R. M. et al. (2023). The influence of physiological and pathological perturbations on blood-brain barrier function. Frontiers in Neuroscience17, 1289894. https://doi.org/10.3389/fnins.2023.1289894

Abbildungen

Titelbild: Hitzewelle (2023), Phira Phonruewiangphing, Stock-Fotografie-ID:1491429605, Zugriff am 15. Juli 2024, von https://www.istockphoto.com/de/foto/vorderansicht-porträt-eines-gestressten-teenagers-der-einen-hitzschlag-erleidet-gm1491429605-515776105

Abb. 1: National Oceanic and Atmospheric Administration. (18. Juli, 2023). Durchschnittliche jährliche globale Temperaturschwankungen von 1850 bis 2022 (in Grad Celsius). In Statista. Zugriff am 14. Juli 2024, verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1073559/umfrage/durchschnittliche-temperaturschwankungen-land-meer/

Teile diesen Artikel