Fremdenfeindlichkeit ist ein weltweit verbreitetes Phänomen. Beginnend bei aversiven unausgesprochenen Gedanken, über abfällige Bemerkungen, hin zu Hetze und Gewaltverbrechen, nehmen Feindlichkeiten und Hass gegen „das Fremde“ einen bedrohlichen Charakter an. Dabei sind alle Menschen Ausländer – fast überall. In jedem Urlaub wird der Urlauber selbst zum fremden Objekt. Dennoch persistieren Gedanken des Fremdenhasses darüber hinaus. Obgleich er in der klinischen Psychologie nicht unerheblich sein mag, sind seine Bezüge und Erklärungsansätze weitestgehend in der analytischen Psychologie verankert.[1]
Gegenstand
Der Begriff „Hass“ setzt sich in seinem Kern aus diversen Affekten zusammen. Wenn man ihn auf diese herunterbricht, schafft man einen Zugang zu einem andernfalls sehr schwer begreifbaren Gefühl. Zu den Affekten zählen beispielsweise Wut, Furcht, Ressentiment, Abscheu und Verachtung. Hass ist immer mit Groll, Jähzorn oder Leid assoziiert – er soll verletzen, bestrafen, abgrenzen, das Selbstwertgefühl steigern. Meist ist ihm eine aggressive Handlungskomponente innewohnend.[2] Er ist ein „bequemes“ Gefühl, da er insgesamt leichter (als beispielsweise Empathie) zu produzieren und zu lenken ist.[3] Maßgeblich für die Entstehung von Hass ist die Situationsinterpretation. Gerade bei stark ideologisch denkenden Menschen, die Sündenböcke für Dinge brauchen, die nicht ihren Ideologien entsprechen, sind Individuen oder auch ganze ethnische Gruppen ein notweniges Ziel, auf das sie ihren Hass richten können. Aggressive oder hasserfüllte Handlungen gegen fremdländische Personen sind somit ein komplexes Zusammenspiel biopsychosozialer Mechanismen, darunter genetische Prädispositionen im Sinne des Ärger regulierenden Serotoninsystems sowie spezifische situative Gegebenheiten und deren Interpretation, aus denen Ärger in Hass und Hass in affektiv-aggressives Verhalten umgewandelt werden.[4] Nicht zuletzt ist Hass nicht nur ein individuelles Geschehen, sondern ebenso ein kollektives. So kann sich eine ganze fremdenfeindliche Gruppe bilden, dessen Mitglieder sich in Bezug auf das Hassobjekt positionieren und gegenseitig beflügeln.[5]
Erklärungsansätze
Fremdenhass stellt ein enormes gesellschaftliches Problem dar – ein geradezu regressives Verhalten, wenn man bedenkt, dass wir in einer globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts leben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass man versucht, Erklärungsansätze zu finden.
Die neurowissenschaftliche Forschung geht von einer natürlichen Neigung des Menschen zur Differenzierung zwischen einem „wir“ und einem „sie“ (die anderen) aus, wobei es sich der Theorie zufolge mehr um einen Automatismus als um bewusste Engstirnigkeit oder Fanatismus handelt. Evolutionstheoretisch hat eine solche Unterscheidung einen Überlebensvorteil: Man zieht eine Grenze zwischen Freund und Feind, zwischen denjenigen, denen wir vertrauen und mit welchen wir unsere Ressourcen teilen und solchen, denen wir besser misstrauen.[6] Es wäre problematisch diese automatischen – wenn auch eklatanten – Differenzierungsvorgänge als eine Art von rassistischer Veranlagung zu betrachten und demnach als unumkehrbar anzunehmen. Dass Menschen eine Veranlagung haben, Unterscheidungen zu treffen, die sich dem Bewusstsein entziehen, mag korrekt sein, jedoch sind diese Veranlagungen per se nicht fremdenfeindlich. Vielmehr dienen die Erkenntnisse dazu, solche Mechanismen aufzudecken und im Sinne der positiven Psychologie seine Gedanken bewusst zu steuern.[7]
Ein in seiner Aktualität durchweg beständiger Erklärungsansatz, der die Gültigkeit der neurowissenschaftlichen Überlegungen nicht ausschließt, stammt aus der analytischen Psychologie nach Jung. Das jungianische Persönlichkeitsbild ist von Polaritäten geprägt (z.B. bewusst-unbewusst oder aktiv-passiv oder gut-böse) und unterliegt einer Aufspaltung des Ichs in eine Persona und einen Schatten. Die Persona meint die weitestgehend bewusste, mühelose Seite der menschlichen Psyche – im Grunde ist sie die Persönlichkeit, die wir an den Tag legen und ist somit in einem Geflecht von persönlichen Wunschvorstellungen, sozialen Rollen und Normen, Lernprozessen und Erwartungen verwurzelt.[8] Unter dem Schatten werden jene Persönlichkeitszüge, Einstellungen oder Verhaltensweisen verstanden, die vor der Außenwelt verborgen liegen. Grund hierfür können beispielsweise Scham oder Angst sein, Dinge, die wir uns selber nicht eingestehen oder nicht akzeptieren möchten. Zum Teil können Schatten selbst vor der eigenen Person verborgen sein. Die Persona ist folglich der überdeckende, konventionelle Schleier im alltäglichen Leben.[9] Unsere Schattenseite wird uns primär durch Affekte bewusst, die in gegebenen Situationen aufsteigen, so z.B. auch Wut und Hass.[10] Dieser Schatten, von dem ausgegangen wird, dass jeder Mensch ihn in sich trägt, stellt das zentrale Problem dar, indem er vom Subjekt als etwas „Fremdes“ in ihm wahrgenommen wird, das projiziert oder delegiert werden muss. Real fremde Personen oder ethnische/ soziale Gruppen bieten hiernach das ideale Ventil für das Ausleben seines Schattens. Fremdenhass als ebensolche Abwehr des eigenen Schattens kann auf zwei verschiedenen Wegen entstehen: zum einen als Folge einer Schattenprojektion, d.h. das Subjekt erkennt eigene, verachtenswerte Schattenaspekte im Anderen, oder infolge von Schattenkonfrontationen, also dem Ausleben von Schattenanteilen durch den Fremden, wozu sich das Subjekt selber nicht traut und es daher als anmaßend empfindet.[11]
Fazit
Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhass sind ein menschheitsimmanentes Phänomen, für welches unterschiedliche Erklärungsansätze aus verschiedenen Perspektiven existieren. Aus ihnen zusammen lässt sich ein ganz wesentlicher Aspekt ableiten: Abneigungen, diskriminierende Gedanken oder aversive Emotionen/ Affekte können durchaus empfunden werden – und werden z.T. nicht bewusst gesteuert, wie Forschungsergebnisse zeigen – solange sie sich nicht im Verhalten (nach außen) niederschlagen.[12] Viel essenzieller ist die Auseinandersetzung mit solchen Bewusstseinslagen im Sinne der Anerkennung seiner fehlerhaften Gedanken und Automatismen sowie der Wille zur Veränderung ebendieser durch Interaktion mit dem fremden Mitbürger zum Zwecke eines kulturellen Austauschs, der Entdeckung von Gemeinsamkeiten und letztlich Widerlegung seiner Vorurteile in Bezug auf Diversität.
[1] Vgl. Vogel (2018), S. 105
[2] Vgl. Kernberg (2016), nach Vogel (2018), S. 107-108
[3] Vgl. von Braun (2018), S. 127
[4] Vgl. Wahl (2009), S. 76
[5] Vgl. Haubl/Caysa (2007), S. 14-15
[6] Vgl. Expert Q&A mit Prof. Mendoza-Denton (2015), Are We Born Racist?
[7] Vgl. Fiske (2010), Part I
[8] Vgl. Vogel (2018), Kap. 3.8.3
[9] Vgl. Kast (2017), S. 20
[10] Vgl. Vogel (2018), Kap. 3.8.3
[11] Vgl. Vogel (2018), S. 109
[12] Vgl. Wagner (2000), S. 11-12
Quellenverzeichnis
Braun, C. von (2018). Behagen im Hass. Psychotherapeut, Vol. 63, 120-128.
Fiske, S. T. (2010). Are We Born Racist? In Marsh, J./ Mendoza-Denton, R./ Smith, J. A. (Hrsg.), Are we born racist? New Insights from Neuroscience ans Positive Psychology (Part I). Boston: Beacon Press.
Haubl, R./ Caysa, V. (2007). Hass und Gewaltbereitschaft. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Kast, V. (2017). Wi(e)der Angst und Hass. Das Fremde als Herausforderung zur Entwicklung. Ostfildern: Patmos.
Kernberg, O. (2016). Hass, Wut, Gewalt und Narzissmus. Stuttgart: Kohlhammer.
Mendoza-Denton, R. (2015). Peter Jaret questioning Rodolfo Mendoza-Denton, PhD, about the his book „Are We Born Racist?“ [Expert Q&A]. Berkeley Wellness. Abgerufen am 25.08.2020 von https://www.berkeleywellness.com/article/are-we-born-racist
Vogel, R. (2018). Der Hass, das Fremde und die Gegenüberstellung. Psychotherapeut, Vol. 63, 105-111.
Vogel, R. (2018). Analytische Psychologie nach C. G. Jung. Stuttgart: Kohlhammer.
Wagner, U. (2000). Sozialpsychologische Analysen und Erklärungen von Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Zeitschrift für Sozialpsychologie, Vol. 32, 59-79.
Wahl, K. (2009). Aggression und Gewalt. Ein biologischer, psychologischer und sozialwissen-schaftlicher Überblick. Heidelberg: Spektrum.
Beitragsbild: CC0 von https://pixabay.com/de/photos/verschiedene-nationalitäten-kinder-1124477/