Knapp 90% unserer Lebenszeit verbringen wir in geschlossenen Räumen (Perfahl, 2022, S. 10). Der immense Stellenwert unseres Wohnraumes wurde uns spätestens während der Covid-19-Pandemie bewusst. Vor diesem Hintergrund kann das Wohnen als eine der wohl intimsten Beziehungen beschrieben werden, die ein Mensch mit seiner Umwelt eingehen kann (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 5). Als kleiner Forschungszweig der Psychologie geriet die Wohnpsychologie lange Zeit sowohl für die Öffentlichkeit als auch die Einrichtungsbranche in Vergessenheit. Nun erfährt sie zunehmend Beachtung (Perfahl, 2022, S. 6).
Was genau ist Wohnpsychologie?
Als Teilbereich der Umweltpsychologie erforscht die Architekturpsychologie das Erleben und Verhalten von Menschen in gebauten Umwelten wie z.B. Arbeitsräumen oder Krankenhäusern (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 6). Als Unterbereich der Architekturpsychologie untersucht die Wohnpsychologie hingegenwipub, inwiefern die individuelleWohnumwelt das Verhalten und Erleben von uns Menschen prägt (Perfahl, 2022, S. 10). Sie gibt einerseits Antworten auf die Frage, welche Wohnfaktoren und ‑komponenten unser Wohlbefinden beeinflussen (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 5). Und wie andererseits eine Raumgestaltung aussehen muss, um den unterschiedlichen Anforderungen einer Wohnumwelt zu genügen (Perfahl, 2022, S. 6). Außerdem betrachten Wohnpsycholog*innen ein Wohnumfeld mit dem Nutzerblick und dem Fokus auf menschlichenBedürfnissen (Perfahl, 2022, S. 13). Somit können sie Raumstrukturen zur Förderung oder Vermeidung spezifischer Verhaltensmuster empfehlen (IWAP – Institut für Wohn- und Architekturpsychologie, 2020). Grundsätzlich vereint die Wohnpsychologie damit die Erkenntnisse der Psychologie (insb. Sozial-, Entwicklungs‑, Wahrnehmungs- und Neuropsychologie) mit Erkenntnissen technisch-planender Fachbereiche (vorrangig Architektur, Innenraumgestaltung, Städtebau, Raumplanung) (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 6). Jedoch dient Wohnpsychologie nicht der Persönlichkeitsanalyse oder der spekulativen Erkenntnisfindung, gemäß dem Motto „Zeige mir wie du wohnst und ich sage dir, wer du bist.“. Wohnräume können Persönlichkeitsaspekte widerspiegeln, bieten aber niemals die Grundlage für psychologische Analysen (Deinsberger-Deinsweger, 2014, S. 96).
Und was erzielt die Wohnpsychologie? Neben menschenfreundlicher Raumgestaltung intentioniert sie die Lebensqualität von Menschen in ihren Lebensräumen zu optimieren. Im Idealfall sollte damit, unter Einhaltung finanzieller und örtlicher Bedingungen, die humane Nachhaltigkeit von Wohnbaustrukturen erhalten und verbessert werden (Deinsberger-Deinsweger, 2014, S. 96; Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 7).
Womit beschäftigt sich Wohnpsychologie?
Die Inhalte der Wohnpsychologie sind vielfältig. Schauen wir uns ihre acht Wirkungsebenen genauer an (IWAP – Institut für Wohn- und Architekturpsychologie, 2020):
① Der sensorische Einfluss eines Raumes kann anhand des Stimulationsniveaus (auch: Reizniveau) eingeschätzt und beeinflusst werden. Letzteres kann u.a. Denk- und Handelsmuster beeinflussen (z.B. indem es die Konzentration fördert).
② Die soziale Ebene der Wohnpsychologie beschäftigt sich mit zwischenmenschlicher Interaktion im räumlichen Kontext. Die Struktur, Gestaltung und Anordnung von Räumen kann auf soziale Interaktionen sowohl harmonisierend als auch konfliktfördernd wirken.
③ Neben Aspekten zum Schutz der Privat- und Intimsphäre ist auch das Sicherheitsbefinden von Wohnenden ein wichtiger, wohnpsychologischer Aspekt. Der Fokus liegt hier insb. auf räumlich-strukturellen und gestalterischen Einflussfaktoren. Ein besonders bedeutsamer Faktor ist z.B. die Kontrolle über den eigenen Wohnraum.
④ Ein weiteres Kerngebiet der Wohnpsychologie stellt, neben der Förderung einer Ortsbindung, die Unterstützung von Gestaltungs– und Aneignungsprozessen dar. Mit Aneignung ist im wohnpsychologischen Sinne jegliche Interaktion mit der Wohnumgebung gemeint. Das Heimatgefühl zeigt sich bspw. durch eine emotionale Ortsbindung, welche durch Personalisierungsprozesse hervorgerufen wird.
⑤ Ein wesentliches Ziel der Wohnpsychologie ist die Unterstützung von Erholungs– und Regenerationsprozessen. Um eine Stressreduktion auf unterschiedlichen Ebenen zu fördern, beschäftigt sich die Wohnpsychologie mit Fragen rund um den Schutz, das Kontrollbedürfnis (z.B. starke Exponiertheit durch Glaskonstruktionen), sensorische Qualitäten sowie Naturnähe.
⑥ Die Wohnpsychologie betrachtet Lebensräume als Quelle individueller Entwicklung, Reifung und Entfaltung. Hier werden insb. die Hauptlebensphasen wohnpsychologisch untersucht und gefördert (z.B. Leben als Single, im Homeoffice, als älterer Mensch, mit Kindern, etc.).
⑦ Auf der siebten Ebene untersucht die Wohnpsychologie die Kongruenz zwischen Wohnräumen und menschlichem Verhalten. Ziel ist es, die angestrebte Verhaltensweise (z.B. ungestörtes Arbeiten) durch räumliche Strukturen (z.B. minimalistische Raumgestaltung) zu unterstützen. Die Dimensionierung, Ausstattung und Einrichtung eines Raumes beeinflusst Menschen in ihrer Bewegung, Handlung und der Raumnutzung.
⑧ Ein Wohnsetting sollte gesundheitsfördernde Prozesse unterstützen, indem es langfristig das Wohlbefinden steigert. Dies kann bspw. durch die Erfüllung von Schutz- und sensorischen Kontaktbedürfnissen geschehen, aber auch durch die Wirkung von Licht, Pflanzen, Materialien, Klimatisierung etc.
Methoden der Wohnpsychologie
Die Wohnpsychologie findet ihr wissenschaftliches Fundament in der empirischen Psychologie (Perfahl, 2022, S. 19). Dabei bedient sie sich den klassischen, psychologischen Forschungsmethoden (u.a. Experimente, Testinstrumente, Befragungsmethoden, Verhaltensbeobachtungen, etc.). Inhaltlich befasst sie sich u.a. mit der allgemeinen Wohnzufriedenheit, der Raumwirkung, dem Verhalten in spezifischen Wohnumfeldern oder der Frage nach Kriterien für eine humane Lebensraumgestaltung (Perfahl, 2022, S. 20). Darüber hinaus untersucht sie Faktoren, anhand derer Menschen ihre geografischen und baulichen Wohnräume aussuchen und verändern (Perfahl, 2022, S. 11). Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Basis ist die Wohnpsychologie deutlich von nicht-evidenzbasierten Lehren wie z.B. Feng Shui, Vastu etc. abzugrenzen (Deinsberger-Deinsweger, 2014, S. 96). Dennoch zeigt sie, mit ihrer raren Popularität und entsprechenden Studienlage, deutliche, inhaltliche Lücken. Das Wissen über die Zusammenhänge von Raum und Mensch kann somit noch immer als bruchstückhaft beschrieben werden (IWAP – Institut für Wohn- und Architekturpsychologie, 2020). Auch Purkarthofer und Fries (2022) merken kritisch an, dass die Forschung in der Wohnpsychologie keine allgemein gültige Vorgehensweise bereithält und sich dadurch teilweise als schwierig erweist (S.73).
Zusammenfassung & Ausblick
Als Teilgebiet der Umweltpsychologie bietet die Wohnpsychologie evidenzbasierte Grundlagen, um unsere menschlichen Lebensräume nicht nur analysieren, sondern auch planen und gestalten zu können (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 7). Sie leistet mit der Untersuchung spezifischer Faktoren (z.B. Sicherheit, Interaktion, Gesundheit, Entwicklung) einen wichtigen Beitrag zu einer humanen, nachhaltigen Lebensraumgestaltung (IWAP – Institut für Wohn- und Architekturpsychologie, 2020). Gerade vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie und der hohen Bedeutung unserer Wohnumgebung kann das Forschungspotential der Wohnpsychologie als immens wichtig und vielleicht sogar zwingend notwendig betrachtet werden.
Doch was genau schenkt uns gemütliche Geborgenheit und schützende Sicherheit? Das erfahren Sie im nächsten Beitrag „Wohnpsychologie – können wir uns zufrieden wohnen? Wie unser Zuhause unsere Stimmung beeinflusst (Teil II)“.
Literaturverzeichnis
Deinsberger-Deinsweger, H. (2014). Wohnpsychologie. Wer/Was/Warum. Wohnbau-journal: Daheimsein, 94–97.
IWAP – Institut für Wohn- und Architekturpsychologie (Hrsg.). (2020). Architektur- und Wohnpsychologie. Eine Human-Wissenschaft und ihre Bedeutung für unser Leben. Zugriff am 03.01.2024. Verfügbar unter: https://www.iwap.eu/wp-content/uploads/2020/05/Architektur-und-Wohnpsychologie.pdf
Perfahl, B. (2022). Wohnpsychologie für die Praxis. Wie aus Räumen ein Zuhause wird. Taunusstein: Blottner Verlag.
Purkarthofer, B. & Friehs, B. (2022). Mensch und Raum, eine glückliche Beziehung? Wohnpsychologie als Planungsgrundlage für Humanes Bauen. Wiesbaden, Heidelberg: Springer.
Bildquellen:
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Abbildung „Die acht Ebenen der Wohnpsychologie“ Eigene Darstellung
Bild „Gesundheitsförderliche Wohnumgebung“ von Pexels (https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-portrat-couch-drinnen-4151865/)