Schauen Sie sich in dem Raum um, in dem Sie sich gerade befinden. Fühlen Sie sich wohl? Sind Sie zufrieden?
Was evolutionär gesehen als Schutz vor Bedrohungen diente, wurde im Laufe der Menschheitsgeschichte zu einem hochkomplexen Konstrukt: Heutzutage dient unser Wohnraum nicht nur unserer Sicherheit. Er soll darüber hinaus auch unsere Bedürfnisse befriedigen (Flade, 2020, S. 7). Indem jeder Raum über eine ganz eigene Qualität verfügt, löst er spontane Zu- oder Abneigung aus (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 5). Welche Wohnfaktoren unsere Gefühle und Stimmungen beeinflussen, beantwortet uns die Wohnpsychologie (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 5).
Wohnzufriedenheit
2018 waren in Deutschland mehr als 50% der Bevölkerung mit ihrer Wohnsituation unzufrieden. In der Schweiz war es jede zweite Person und in Österreich knapp die Hälfte der Bevölkerung (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 21). Was macht unsere Wohnzufriedenheit aus?
Die Wohnzufriedenheit lässt sich objektiv nur bedingt betrachten, denn sie ist maßgeblich von den Wohnbedürfnissen und dem Anspruchsniveau der Bewohnenden abhängig. Und diese sind, wie sich vermuten lässt, grundverschieden (Flade, 2020, S. 139). Ob wir mit unserer Wohnsituation zufrieden sind, lässt sich anhand von drei Komponenten klären: Der kognitiven Komponente (‚Was denke ich über meine Wohnung und wie bewerte ich sie?‘), der emotionalen Komponente (‚Was mag ich an meiner Wohnung?‘) und der Verhaltenskomponente (‚Wie wohne ich in meiner Wohnung?‘) (Perfahl, 2022, S. 75). Für Sie als Lesende bedeutet dies also: Bevor Sie Wohnelemente verändern, sollten Sie sich darüber bewusst sein, mit welchen Wohnfaktoren Sie (un-) zufrieden sind und Ihre Vorstellungen zu Wohnqualität und -bedürfnissen reflektieren (Perfahl, 2022, S. 77).
Wohnpsychologische Empfehlungen
Ob ein Raum auf uns positiv wirkt, entscheiden neben den lebensraumbezogenen Bedürfnissen (Sicherheits- und Schutzbedürfnis, Interaktionsbedürfnis, etc.) v.a. seine sichtbaren Eigenschaften (Perfahl, 2022, S. 80; Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 51). Deshalb ist es wichtig, während der Raumkonzipierung das richtige Reizniveau zu finden (IWAP – Institut für Wohn- und Architekturpsychologie, 2020). Dieses ist eines der wichtigsten Kriterien dafür, wie ästhetisch wir einen Raum finden (Perfahl, 2022, S. 85). Damit wir uns in einem Raum wohlfühlen sollte die Reizexposition eines Raumes nicht zu stark und nicht zu gering ausgeprägt sein (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 42). Ein stimmiges Reizniveau gelingt uns, indem die Reizstärke zunächst auf die jeweilige Raumfunktion abgestimmt wird. So darf ein kreativer Arbeitsplatz bspw. mehr Reize enthalten, als ein Platz an dem strategisch gearbeitet wird (Perfahl, 2022, S. 84).
Aufgrund von Gewöhnungseffekten ist uns häufig nicht bewusst, wie stark die Reize in unserer Wohnumgebung und damit unsere Reizbelastungen sind. Um das Reizniveau zu verringern, kann es sich als sinnvoll erweisen, mindestens 50% aller dekorativen Gegenstände eines Raumes zu entfernen. Die Wirkung des Raumes verändert sich – und so kann mit der Ergänzung von Gegenständen gespielt werden, um das optimale Reizniveau zu finden. Hier sollten v.a. freie Flächen (Regalböden, Kommoden, Tische, etc.) geschaffen werden (Perfahl, 2022, S. 82–84). Um das Reizniveau eines Raumes zu regulieren, sollten wir außerdem Zusammenhänge schaffen. Dies gelingt uns z.B. durch das Gruppieren von Gegenständen. Eine symmetrische oder nahe Anordnung kann so viel bewirken, wie die Anordnung in Zonen. Indem man Gegenstände auf Unterlagen (bspw. Tabletts) gruppiert, Möbelstücke durch Teppiche verbindet oder Bereiche beleuchtet, werden einzelne Teilbereiche der Wohnumgebung definiert (Perfahl, 2022, S. 87–89). Wie erleben unsere Wohnumwelt kohärent (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 31).
Eine komplexere Form, um das Wohlfühlen zu steigern sind Farbkonzepte. Ein eindeutiges, durchgängiges Farbkonzept individualisiert einen Raum, reduziert das Reizniveau, erleichtert die Orientierung, und lässt eine Räumlichkeit hochwertiger wirken (Perfahl, 2022, S. 90). Die Aussagekraft und Wirkung von Farben sind sehr individuell und unbedingt von ihrer Helligkeit, Sättigung, Farbkombination und Temperatur abhängig. Dabei sorgen warme Farben für eine eher nahe, kalte Farben für eine eher distanzvolle Stimmung. Helle Farben lassen einen Raum eher geräumig und offen wirken, bunte Räume enthalten ein hohes Reizniveau und wirken meist weniger behaglich. Wo einzelne Farben Ordnung und Übersichtlichkeit symbolisieren, vermitteln viele Farben einen unruhigen Eindruck (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 90–91).
Weitere Gestaltungmöglichkeiten und warum sie uns besser fühlen lassen
Orte mit einem optimalen Reizniveau kennen wir bereits. Die Natur wirkt entspannend und anregend zugleich, hat einen stressreduzierenden Effekt und vermittelt Sicherheit. Und dies gilt auch für eine natürliche Inneneinrichtung, die anhand von Elementen wie Naturbildern, Zimmerpflanzen, natürlichen Materialien (z.B. Holz, Kork, Naturfasern) und auch Düften (z.B. Sandelholz) oder Geräuschen (z.B. Vogelgezwitscher) integriert werden kann. Der unterschwellige Geruch von natürlichem Holz wirkt bspw. regulierend auf das autonome Nervensystem (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 92–93).
Welche Materialien und Formen nehmen Sie in dem Raum wahr, in dem Sie sich gerade befinden? Um uns geborgen und sicher zu fühlen, helfen uns weiche und warme Materialien. Diese bilden besonders in architektonisch modernen, geradlinigen Räumlichkeiten einen aufbrechenden Gegensatz. In Räumen, in denen wir uns zurückziehen und wohlfühlen wollen, können spitze Ecken oder Kanten unbewusste Gefahrensignale senden und sollten entsprechend vermieden werden (Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 94). Zusammenfassend postuliert das Institut für Wohn- und Architekturpsychologie (2020), dass eine treffende Wohnumwelt zu einem erfüllteren Leben, gestärktem Selbstwertempfinden und einer erhöhten Lebenszufriedenheit führt.
Fazit
Zunächst sollten wir festhalten, dass unser Wohlfühlen in einem Raum tatsächlich durch Gestaltungsmaßnahmen begünstigt werden kann! Dies geschieht, indem wir durch gezielte Gestaltungsregeln das Reizniveau senken und unser Hirn entlasten (Perfahl, 2022, S. 86–87). Dabei können wir mit bereits kleinen, räumlichen Adaptationen recht große (Wirkungs-)Veränderungen erreichen.
Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass eine Raumgestaltung so individuell ist, wie es die Menschen, die darin leben sind. Empfehlungen für die Einrichtung können also niemals allgemeingültig sein. Außerdem muss angemerkt werden: Eine ausschließlich physisch-räumliche Betrachtung der Wohnzufriedenheit ist nicht ausreichend, denn viele, weitere Faktoren beeinflussen sie. Darunter u.a. die Wohnumgebung, die Nachbarschaft, der Preis und die Wohnungsgröße (Flade, 2020, S. 138; Purkarthofer & Friehs, 2022, S. 22).
Literaturverzeichnis
Flade, A. (2020). Wohnen in der individualisierten Gesellschaft. Psychologisch kommentiert. Wiesbaden, Heidelberg: Springer.
IWAP – Institut für Wohn- und Architekturpsychologie (Hrsg.). (2020). Architektur- und Wohnpsychologie. Eine Human-Wissenschaft und ihre Bedeutung für unser Leben. Zugriff am 03.01.2024. Verfügbar unter: https://www.iwap.eu/wp-content/uploads/2020/05/Architektur-und-Wohnpsychologie.pdf
Perfahl, B. (2022). Wohnpsychologie für die Praxis. Wie aus Räumen ein Zuhause wird. Taunusstein: Blottner Verlag.
Purkarthofer, B. & Friehs, B. (2022). Mensch und Raum, eine glückliche Beziehung? Wohnpsychologie als Planungsgrundlage für Humanes Bauen. Wiesbaden, Heidelberg: Springer.
Bildquellen
Titelbild: https://www.pexels.com/de-de/foto/person-sitzung-boden-lacheln-7552370/
Abbildung ‚Arbeitsplatz mit geringem Reizniveau.‘ von Pexels (https://www.pexels.com/de-de/foto/silberner-imac-auf-dem-schreibtisch-265129/)
Abbildung ‚Arbeitsplatz mit erhöhtem Reizniveau.‘ von Pexels (https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-kunst-kreativ-bleistift-6808140/)
Abbildung ‚Zusammenhänge durch das Schaffen von Ordnung.‘ Eigene Darstellung
Abbildung ‚Gruppierungen und die Anordnung in Zonen regulieren das Reizniveau.‘ Eigene Darstellung
Abbildung ‚Stimmiges Farbkonzept.‘ von Pexels (https://www.pexels.com/de-de/foto/licht-kreativ-tasse-becher-5490336/)
Abbildung ‚Reizarme Umgebung mit natürlichen Materialien.‘: von Pexels: (https://www.pexels.com/de-de/foto/weisse-pfingstrosen-im-vasen-herzstuck-des-klaren-glases-nahe-einer-weissen-keramik-becher-nahaufnahme-fotografie-1110562/)