Deutschland wird immer älter. Eine Auswertung des Statistischen Bundesamtes (2022) ergab, dass Frauen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 78,5 Jahren, Männer eine von 83, 4 Jahren aufweisen. Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass die Zahl neurodegenerativer Erkrankungen wie Demenz, die vor allem ältere Generationen betrifft, von Jahr zu Jahr steigt.
Im Jahr 2021 ergab eine deutschlandweite Zählung, dass innerhalb des Landes ca. 1,7 Millionen Menschen an Demenz erkrankt sind, überwiegend Menschen jenseits ihrer 60er. Zwei Drittel von ihnen sind weiblich. Neben der erhöhten Lebenserwartung von Frauen spielen auch weibliche Sexualhormone eine zentrale Rolle bei der Erstmanifestation der Erkrankung. Pro Jahr werden über 430.000 Demenz-Neuerkrankungen gezählt. Die Zahlen wachsen und könnten bis zum Jahr 2050 um ein weiteres Drittel steigen, sofern mehr Neuerkrankungen als Sterbefälle von bereits Demenz Erkrankten auftreten. Dies könnte zu einer Prävalenz von über 9 Prozent führen (Deutsche Alzheimer Gesellschaft, 2022).
Auch wenn bereits einige Medikamente zur Behandlung von Demenz im Einsatz sind, ist die Liste der Nebenwirkungen lang und auch die Resultate könnten zufriedenstellender sein. Dennoch lassen neueste Erkenntnisse wieder Hoffnung im Kampf gegen die Erkrankung aufkeimen. Wie nahe sind wir dran, an einem Heilmittel gegen Alzheimer und Co?
Charakteristik und Demenzformen
Charakteristisch für eine Demenz ist der pathologische Abbau kognitiver Leistungen. Dabei sind vor allem jene Nervenzellen geschädigt, die sich in Bereichen der Hirnrinde befinden. Damit eine Demenz diagnostiziert werden kann, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
- Einschränkungen des Kurz- und Langzeitgedächtnisses
- eine zusätzliche Beeinträchtigung von mindestens einer kortikalen Funktion wie das Vorliegen einer Aphasie (Sprechstörung), Agnosie, eine Störung des abstrakten Denkens oder eine erkennbare Veränderung der Persönlichkeit
- Eine nachteilige Beeinflussung von sozialen oder beruflichen Fähigkeiten
- Die Beeinträchtigungen sind nicht nur auf ein Delir oder andere Bewusstseinsstörungen zurückzuführen (Block, 2018, S. 138)
In der Therapie wird Demenz üblicherweise in primär degenerative, vaskuläre und sekundäre Formen unterteilt. Die häufigste Form von Demenz stellt dabei Morbus Alzheimer dar. Diese ist gekennzeichnet durch eine Zellschädigung im Bereich des Hippocampus und des Temporallappens. Neuropathologische Untersuchungen ergaben, dass Amyloid Ablagerungen (β-Amyloid Proteine, die sich zu schädlichen Amyloidplaques zusammenlagern) und Neurofibrillen als Ursache für das Absterben der Nervenzellen identifiziert werden konnten. Die Ansammlung solcher Beta-Amyloide im Gehirn kann bereits Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome von Alzheimer erfolgen. Alzheimer weist dadurch einen langsamen, progredienten Verlauf auf und führt besonders in späteren Stadien zu massiven Beeinträchtigungen des Alltags bis hin zu Verhaltensänderungen, wie plötzlich einsetzende Aggressionsausbrüche, Wahnvorstellungen oder sexuelle Dysfunktionen. Neben Morbus Alzheimer existieren noch weitere Formen von Demenz, wie beispielsweise eine vaskuläre Demenz (VD), welche aufgrund einer Durchblutungsstörung im Gehirn, konkreter durch eine Schädigung der Blutgefäße, die zu einer mangelnden Sauerstoff- und Nährstoffversorgung von Hirnregionen führt, entsteht. Die vaskuläre Demenz kann auch als Mischform in Verbindung mit der Alzheimer-Demenz auftreten. Neben diesen Varianten existieren noch weitere Demenzformen, die auch komorbid zu anderen Erkrankungen auftreten. Aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz werden im nachfolgenden Absatz ausschließlich Forschungsergebnisse der Alzheimer Demenz dargestellt (Völzke, 2020, S. 27-31).
Donanemab – ein Meilenstein in der Forschung?
Ein neues, vom US-Pharmakonzern Eli Lilly hergestelltes Alzheimermedikament konnte in einer Studie den Degenerationsprozess der Alzheimer-Krankheit im frühen Stadium verlangsamen. Die Entstehung der sogenannten Alzheimer-Plaques ist zurückzuführen auf eine Spaltung des Amyloid-Vorläufer-Proteins (APP) durch bestimmte Enzyme (Sekretasen). Donanemab ist ein monoklonaler Antikörper, der in der Alzheimer-Forschung entwickelt wurde und dessen Aufgabe es ist, sich an die entstandenen Beta-Amyloide zu heften und diese zu beseitigt. Neben Donanemab existieren noch weitere Antikörper, die sich an unterschiedliche Stadien der Beta-Amyloid Zusammenlagerung anhängen. Dazu zählen unter anderem Gantenerumab vom Pharmakonzern Genentech-Roche und Aducanumab von Biogen-Eisai (Abbott, 2022, S. 50).
In einer Phase-III-Studie des Herstellers Eli Lilly erhielten über 1700 Patienten, die sich noch im Frühstadium der Alzheimer Erkrankung befanden und somit nur leichte kognitive Einschränkungen aufwiesen, entweder das Medikament Donanemab oder ein Placebo. Die Beobachtung der Medikamentenstudie mit Teilnehmer*innen zwischen 60 und 85 Jahren belief sich auf 18 Monate. Daraus resultierte, dass sich die klinische Progredienz der Alzheimersymptome, verglichen mit der Placebogruppe, um 35 Prozent verlangsamte. Zudem waren die Patient*innen der Medikamentengruppe um 40 Prozent weniger beeinträchtigt bei Alltagstätigkeiten wie der Regelung der eigenen Finanzen, Auto fahren oder bei der Unterhaltung über aktuelle Themen (Edwards & Corkill, 2023, S. 2342-2344).
Kritik
Während andere Antikörper wie Lecanemab das unter dem Handelsnamen Leqembi vermarktet wird, bereits im Januar 2023 von der US-Arzneimittelbehörde FDA zur medikamentösen Behandlung von Alzheimer Zulassung erhalten hat, berufen sich die aktuellen Daten zu Donanemab lediglich auf den Angaben des Herstellers Eli Lilly. Eine defensivere Bewertung des Antikörpers mit kritischer Begutachtung und möglichen Einschränkungen können vor allem noch nach einer Peer Review publiziert werden. Eine ausführliche Version der Resultate wird von Eli-Lilly-Forschern auf einem Alzheimerkongress im Sommer 2023 präsentiert. Zudem sei die Dauer der Eli-Lilly-Studie zu kurz, um Prognosen über die Langzeiteffekte des Antikörpers zu ziehen. Darüber hinaus gelten die Nebenwirkungen des Medikaments hinsichtlich dessen Zulassung, die in seltenen Fällen zu Hirnblutungen und Hirnschwellungen führen können, als besonders hoch zu gewichten (Bartens, 2023).
Fazit
Obzwar Donanemab kein wahrer „Gamechanger“ hinsichtlich der Behandlung von Alzheimer sein wird so zeigt sich, dass es zumindest ein Schritt in die richtige Richtung ist. Die Erkrankung wird durch die Behandlung mit dem Antikörper zwar nicht geheilt, allerdings verlangsamt es den progredient verlaufenden kognitiven Degenerationsprozess mit 36 Prozent effektiver als der Antikörper Lecanemab mit 27 Prozent. Aufgrund der genannten Nebenwirkungen und der hohen Kosten von Donanemab wird in der Branche über die Entwicklung von einfacheren niedermolekularen Medikamenten spekulieren, die vor allem kostenärmer in ihrer Herstellung sind. Experten sind sich außerdem einig, dass die Behandlung von Demenz über die Beseitigung von dem langsam schwelendem Neurotoxin Beta-Amyloid hinausgehen muss, da die Erkrankung eine zu hohe Komplexität aufweise. Zudem sind nur zwei Drittel aller Demenzerkrankungen des Alzheimer-Typen, wobei die Hälfte von ihnen eine gemischte Pathologie aufzeigt. Neben Tau Proteinen und Amyloid-Plaques konnten in den Gehirnen von verstorbenen Alzheimer Patienten auch noch Blutgefäßschäden und andere toxische Eiweiße gefunden werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Alzheimer-Forschung weiterhin von entscheidender Bedeutung sein wird, um das Verständnis dieser komplexen Erkrankung zu vertiefen, neue Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln und letztendlich Hoffnung für die betroffenen Personen und ihre Familien zu bieten.
Literaturverzeichnis
Abbott, A. (2022). Behandeln, bevor es zu spät ist. Gehirn und Geist, 10, S. 48-53.
Bartens, W. (2023). Alzheimer-Medikament macht zarte Hoffnung. Zugriff am 09.06.2023. Verfügbar unter https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/antikoerper-alzheimer-demenz-medikamente-nebenwirkungen-1.5838812
Block, F. (2018). Praxisbuch neurologische Pharmakotherapie. Berlin: Springer Nature. doi https://doi.org/10.1007/978-3-662-55838-6
Deutsche Alzheimer Gesellschaft. (1. August, 2022). Anzahl der Demenzkranken in Deutschland nach Alter und Geschlecht im Jahr 2021 (in 1.000) [Graph]. In Statista. Zugriff am 24. Mai 2023. Verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/246028/umfrage/anzahl-der-demenzkranken-in-deutschland-nach-alter-und-geschlecht/
Edwards, M. & Corkill, R. (2023). Disease-modifying treatments in Alzheimer’s disease. Journal of Neurology, 270, S. 2342-2344. doi https://doi.org/10.1007/s00415-023-11602-8
Statistisches Bundesamt. (2022). Lebenserwartung von Männern und Frauen bei der Geburt in Deutschland im Zeitraum der Jahre 1871 bis 2021 (in Jahren) [Graph]. In Statista. Zugriff am 24. Mai 2023, Verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/185394/umfrage/entwicklung-der-lebenserwartung-nach-geschlecht/
Völzke, Volker. (2020). Patienten mit Gedächtnisstörungen. Wiesbaden: Springer Nature.
Bildnachweis
Titelbild: https://www.pexels.com/de-de/foto/mann-menschen-frau-hand-4226139/