By Published On: 20. Mai 2020Categories: Psychologie

Zwangsstörungen sind die vierthäufigste psychische Krankheit in Deutschland.[1] Einige Ausprägungen dieser Störung, wie beispielsweise Kontaminationsangst oder Wasch- und Putzzwänge, weisen Parallelen zu in der Coronakrise empfohlenen Verhaltensweisen auf und es stellt sich die Frage, welche Wechselwirkungen es hier geben könnte und ob Zwangsstörungen aufgrund der Corona-Pandemie möglicherweise befördert werden.

Allgemeines Störungsbild

Im Fernsehen sind Zwänge zuweilen lustig. So leidet zum Beispiel der bekannte TV-Ermittler Adrian Monk an einer schweren Zwangsstörung. Den Produzenten der TV-Serie ist es gelungen, dieser dadurch ein Gutteil ihres Witzes zu geben und, wenngleich nicht völlig frei von Klischees, eine bestimmte Ausprägung des Störungsbilds darzustellen, ohne sich darüber lustig zu machen.[2] Auf Youtube finden sich hierzu einige Videos unter den Begriffen „Monk OCD“. „OCD“ (obsessive compulsive disorder) ist die englischsprachige Bezeichnung für „Zwangsstörung“. Die beiden Begriffe „obsession“ (Zwangsgedanke) und „compulsion“ (Zwangshandlung) machen besser als der deutsche Begriff „Zwangsstörung“ deutlich, auf welchen Ebenen sich Zwänge abspielen können.

Bei Zwängen kommt es zu sich wiederholenden Handlungen und/oder Gedanken, die sich den Betroffenen aufdrängen. Häufig existiert dabei ein katastrophierender Gedanke (z.B.: „Vielleicht habe ich vergessen, den Herd auszustellen, und es kommt in der Küche zu einem Feuer. Dann wird unser Haus abbrennen und meine Familie wird sterben und vielleicht fangen auch die Nachbarshäuser noch Feuer und auch die Nachbarn kommen in den Flammen um.“) und negative Gefühle wie Angst, Ekel oder Scham treten auf. Durch die Zwangshandlung kann die negative Erregung kurzfristig gemildert werden, wird aber gleichzeitig langfristig aufrechterhalten. Die, rational betrachtet, fehlende Sinnhaftigkeit des zwanghaften Tuns oder Denkens ist den Betroffenen bewusst, sie kommen aber trotzdem nicht umhin, dem Zwang nachzugeben. Nach jüngeren Untersuchungen beträgt die Einjahres-Prävalenz der Zwangsstörung in Deutschland 3,6%.[1] Zwangsstörungen können in allen erdenklichen Formen auftreten und Betroffene, die häufig einen großen Leidensdruck haben, verstecken ihre Problematik oft vor der Außenwelt.

Therapie

Übliches Mittel der Wahl zur Behandlung von Zwangsstörungen ist die Verhaltenstherapie mit Reizexposition und Reaktionsverhinderung.[3] Hierbei wird der Patient dem zwangsauslösenden Reiz ausgesetzt (im obigen Beispiel könnte dies z.B. das Verlassen der Wohnung sein) und die übliche zwanghafte Reaktion (hier die mehrmalige Rückkehr in die Küche und das Kontrollieren des Herds) verhindert. Die Verhinderung der Reaktion kann der Patient als „Hausaufgabe“ aus einer Therapiesitzung mitnehmen, oder der Therapeut kann den Patienten dabei persönlich begleiten.

Wichtig ist, dass der Patient die Aufgabe aus eigenem Antrieb durchführt und nicht, weil der Therapeut ihm sagt, dass er es „muss“. Im Erfolgsfall sieht der Patient, dass das Unterlassen der Zwangshandlung keine negativen Folgen hat, und kann die vormals mit seinen Zwangsgedanken verbundene negative Erregung fortan besser aushalten. Der Teufelskreis aus Zwangsgedanken und die Erregung kurzfristig mildernden aber langfristig aufrechterhaltenden Handlungen ist unterbrochen. Die psychotherapeutische Behandlung kann gegebenenfalls medikamentös durch selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) unterstützt werden, deren Wirksamkeit als gut eingeschätzt wird.[4]

Zwänge und Coronakrise

In der aktuellen Coronasituation wird manches Verhalten, das zu anderen Zeiten als zwanghaft bezeichnet würde, zur Norm. Zu denken sei z.B. an ständiges Händewaschen, Desinfizieren von Türklinken und anderen Gegenständen, Tragen von Mund-Nase-Masken, Vermeiden sozialer Kontakte oder das Tragen von Hygienehandschuhen. Neben einer negativen Auswirkung von Social-Distancing-Maßnahmen auf die psychosoziale Situation vieler Menschen und einer Zunahme psychischer Krankheiten [5], lassen sich auch Zusammenhänge speziell zur Zwangsstörung beobachten.

Zunächst kann man sich vergegenwärtigen, dass die aufgrund aktueller Verbote und Empfehlungen herrschenden Zwänge einen ersten Eindruck davon vermitteln, wie der Alltag von Zwangserkrankten bereits in normalen Zeiten aussieht; auch eine Zunahme der Anzahl Zwangserkrankter wird erwartet.[6] Denkbar ist weiterhin, dass die Coronasituation zu mehr Unsicherheit, Befürchtungen und anderen Ängsten führt, die aufgrund reduzierter sozialer Kontakte weiter verstärkt werden könnten, und dass manche Menschen diese Ängste nicht akzeptieren und aushalten können, sondern stattdessen versuchen, solche Empfindungen gänzlich zu vermeiden, was zur Entwicklung einer psychischen Störung führen kann.[7] Ein positiver Aspekt der Coronakrise könnte hingegen sein, dass das gegenwärtige „zwanghafte“ Verhalten gesunder Menschen dazu führt, dass es den von einer Zwangsstörung Betroffenen leichter fällt, ihre Zwänge nicht mehr zu verheimlichen und offener mit der Problematik umzugehen.[6]

 

[1] Vgl. Lakatos/Reinecker (2016), S. 18
[2] Wenngleich es auch negative Einschätzungen zur Darstellung der Zwangsstörung in der TV-Serie bei „Monk“ gibt; vgl. hierzu Wortmann (2013)
[3] Vgl. Ciupka-Schön (2017), S. 12
[4] Vgl. Kordon/Lotz-Rambaldi/Muche-Borowski/Hohagen (2013), S. 55
[5] Vgl. Ärzteblatt (2020)
[6] Vgl. Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V. (2020)
[7] Vgl. stuttgarter-nachrichten.de

 

Quellen

Ärzteblatt (2020), „Viele psychische Krankheiten können durch die Pandemie forciert werden“, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/111097/Viele-psychische-Krankheiten-koennen-durch-die-Pandemie-forciert-werden, abgerufen am 15.05.2020.

Ciupka-Schön, B. (2017), Zwänge bewältigen, 1. Aufl., Ostfildern: Patmos.

Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V. (2020), Deutschland erlebt die Welt der Zwangserkrankungen, http://www.zwaenge.de/Pressetext_300320.pdf, abgerufen am 14.05.2020.

Kordon, A./Lotz-Rambaldi, W./Muche-Borowski, C./Hohagen, F. (2013), S3-Leitlinie Zwangsstörungen, https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/29d7ea6c2c635d3626ddaf70eabf31386b9bbda8/S3-Leitlinie%20Zwangsstörungen%20Langversion%20Endversion%2014%2005%202013.pdf, abgerufen am 15.05.2020.

Lakatos, A./Reinecker, H. (2016), Kognitive Verhaltenstherapie bei Zwangsstörungen, 4. Aufl., Göttingen: Hogrefe.

stuttgarter-nachrichten.de, Krank durch die Corona-Krise. Daran erkennen Sie eine Zwangsstörung, https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.krank-durch-die-corona-krise-daran-erkennen-sie-eine-zwangsstoerung.f0881d3d-072e-4642-ab58-8029160513b1.html, abgerufen am 15.05.2020.

Wortmann, F. (2013), Why „Monk“ Stunk, https://www.psychologytoday.com/us/blog/triggered/201305/why-monk-stunk, abgerufen am 15.05.2020.

 

Beitragsbild von Gerd Altmann auf Pixabay, https://pixabay.com/images/id-4957154/

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